Pressefotografie auf dem Maidan:"Sehr nah, sehr heftig"

Protests Continue In Kiev As The Opposition Calls For A Snap Election

Ein typisches Bild während der Proteste auf dem Maidan: die müden, rußgeschwärzten Gesichter der Demonstranten.

(Foto: Getty Images)

Die Fotoagentur Epa war während der Proteste in Kiew mit sieben Mann auf dem Maidan vertreten. Im Interview spricht ihr stellvertretender Chefredakteur Frank Bengfort über das Fotografieren in Krisengebieten und die Ästhetik von brennenden Autoreifen.

Von Daniel Hofer

Die Epa (European Pressphoto Agency) ist ein Zusammenschluss einiger der führenden europäischen Nachrichtenagenturen. Neben dem Nachrichten-Bilderdienst seiner Mitgliedsagenturen führt sie hauptsächlich Pressefotografien aus eigener Produktion, wobei sie auf ein eigenes weltweites Netzwerk von ca. 350 festen und freien Fotografen zurückgreift. Frank Bengfort ist einer von drei stellvertretenden Chefredakteuren. Während der Tumulte war die Agentur mit insgesamt sieben Fotojournalisten in Kiew vor Ort.

SZ.de: Der Rauch der brennenden Reifen, der Platz, das Licht: Was machte die Bilder der heftigen Zusammenstöße vom Maidan so besonders?

Frank Bengfort: Wenn wir am Ende eines Tages die Bildausbeute begutachten, dann fällt uns natürlich der permanente Wechsel der Gegebenheiten, das wechselnde Licht, der Rauch, die offenen Feuer auf. Aber auch die Gesichter dahinter. Die rußgeschwärzten Gesichter von Leuten, die in paramilitärischer Ausrüstung unterwegs sind. Wir sehen, dass unsere Fotografen sehr nah dran sind und die Situation gut einfangen können.

Halten Sie es für denkbar, dass die brennenden Reifen gezielt angezündet worden sein könnten um einen medialen Effekt zu erzielen? Oder ist es "nur" ein Zeichensetzen: Seht her und überseht uns nicht!?

Das lässt sich von hier aus schwer einschätzen, aber ich verstehe den Sinn der Frage natürlich. Das Schwarz der brennenden Reifen ergibt einen starken Hintergrund, und der hat auch eine starke Wirkung. Aber dennoch würde ich das eher verneinen.

Inwieweit stehen Sie in Kontakt mit Ihren Fotografen?

Wir kommunizieren per Telefon, wenn das auch nicht immer so leicht ist. Auch über soziale Netzwerke tauscht man sich aus: Wie der Tag war, wie es den Kollegen geht. Sergei Doltschenko zum Beispiel ist dabei recht eigenständig unterwegs. Er entscheidet vor Ort mit seinem Team, wie dicht man rangehen kann und wann es besser ist, sich zurückzuziehen.

Am vergangenen Donnerstag starben auf dem Maidan mehr als 70 Menschen durch Schüsse von Unbekannten oder von Scharfschützen. Sind Ihre Leute alle krisenerprobte Kriegsberichterstatter?

Im Fall der Ukraine ist es so, dass alle russischen Fotografen in der Konfliktberichterstattung schon einige Erfahrung haben. Sergei Doltschenko zum Beispiel hat eine Militärausbildung, er weiß, wie man sich in solchen Situation verhalten und bewegen muss. Seit dem vergangenen Jahr haben wir das Team verstärkt und nach einem Rotationsprinzip Kollegen immer wieder ausgetauscht. Wir haben das bestmögliche getan, was die Schutzausrüstung angeht: Helme, Gasmasken, schusssichere Westen. Hundertprozentige Sicherheit wird man dadurch aber auch nicht erreichen.

Inwieweit filtern Sie das Bildmaterial? Gibt es Fotos, die Sie nicht an die Öffentlichkeit lassen?

Um einen Überblick über die Bildmengen zu geben: Wir hatten gestern (am Donnerstag) gut 250 Bilder im Dienst, am Mittwoch waren es um die 150 Bilder. Gestern zum Beispiel diskutierten wir über das Bild, das die Asche eines verbrannten Menschen auf dem Maidan zeigte. Sehr nah, sehr heftig, sehr schockierend. Bei der Frage, ob das ein Dienst-Bild ist (ein Bild, das den Medien zur Verfügung gestellt wird), haben wir uns dagegen entschieden. Solche Entscheidungen diskutieren wir im Team öfter und machen uns das auch nicht leicht. Denn auch die Frage, ob man dadurch, das man solche Bilder zurückhält, die Wahrnehmung eines Konfliktes manipuliert, ist durchaus gerechtfertigt. Den Schockmoment, das Reißerische wollen wir aber auf keinen Fall bedienen.

"Wir müssen so etwas darstellen"

Am Wochenende gab es viele Leichen auf den Bildern zu sehen, auch solche, die nicht durch besondere Härte schockierten. Sind Sie der Meinung, Medien sollten solche Bilder zeigen?

Ich habe gerade dieses Bild vor mir, eine Frau, die mit einem von Schmerz und Trauer gezeichneten Gesicht vor einer Reihe Leichen kniet. An solchen Momentaufnahmen kommen wir gar nicht vorbei, wollen wir auch gar nicht. Wir müssen so etwas darstellen.

Anti-government protests in Ukraine

Eine Frau kniet vor einer Reihe getöteter Demonstranten auf dem Maidan in Kiew.

(Foto: Sergey Dolzhenko/EPA/dpa)

Wie lange dauert es, bis im Tumult des Tages ein Foto aus der Kamera des Fotografen in die Bildsysteme der Agenturen eingelaufen ist?

Die Fotos werden aus der Kamera über Wifi an einen Transmitter gefunkt, den der Fotograf am Körper trägt. Von dort aus geht das Bild über eine schnelle Internetverbindung direkt ins Moskauer Büro. Dort wird es verschlagwortet, also mit den Grundinformationen (Fotograf, Ort, Kategorie, Datum) belegt, von einem Mitarbeiter textlich nacheditiert und dann weiter nach Frankfurt verschickt. Wenn weitere Informationen für die korrekte Verschlagwortungen nötig sind, kommen die per Telefon oder SMS vom Fotografen. In Frankfurt werden die Bilder dann nochmal gesichtet, nacheditiert und gehen über Bildfunk an die Kunden. Eine andere Variante geht so, dass der Fotograf oder ein Assistent die Bilder aus der Kamera bzw. dem Speicherchip entnimmt, sie selber editiert und direkt nach Frankfurt schickt. Diese Vorgehensweise ist jedoch zeitaufwändiger und erfordert eine Pause im Ablauf.

In welchem Umfang werden die Bilder bearbeitet? Macht das der Fotograf oder geschieht das in Frankfurt?

Sollte es Bedarf geben, dann bearbeitet der Fotograf seine Bilder selber mit Photoshop, an seinem eigenen Rechner. Aber die Idee ist, dass der Fotograf ein sendefertiges Bild produziert, so dass wir das Bild nicht nochmal anfassen müssen. Die Tools, die sie benutzen dürfen sind sehr beschränkt, Bildinhalte dürfen keinesfalls verändert werden. Es wird automatisiert mittels so genannter Action-Keys geringfügig am Kontrast und an der Sättigung geschraubt.

Wo ist Ihrer Meinung nach die Grenze zur unzulässigen Bearbeitung, wo endet die Legitimität, Bilder beispielsweise durch erhöhte Kontraste zu bearbeiten, wenn das Bild dadurch einen Zuwachs an Dramatik erfährt?

Wo die Absicht erkennbar wird, ein Bild ästhetisierend zu verändern, da ist die Grenze schon überschritten. Unsere Firmenpolitik geht dahin, dass das auf keinen Fall passieren darf.

Hinterfragen Sie Bilder hinsichtlich der Möglichkeit, dass Fotografen inszenierend auf das Geschehen Einfluss nehmen könnten?

Der Standpunkt der Epa ist, und das wissen alle Fotografen, die für uns arbeiten, dass die richtige Positionierung des Fotografen natürlich erlaubt und auch erwünscht ist. Mit der Einschränkung, dass die Wahrhaftigkeit des Bildes dadurch nicht berührt werden darf. Ein absolutes No-Go wäre es, wenn ein Fotograf im Kontext der Demonstrationen oder der Zusammenstöße Einfluss nimmt, wenn er versucht, Leute zu dirigieren oder Szenen nachstellt.

Eine Kernfrage, die sich uns als Bildverwendern derzeit stellt: Sollten wir angesichts Dutzender Toter nicht auf Bilder verzichten, die Gestaltungskriterien entsprechen, die also ästhetischen Ansprüchen genügen? Es könnte der Eindruck entstehen, dass aus dem Leid anderer Menschen Kapital geschlagen wird.

Wir denken, es ist in Ordnung, das "Schöne" im Leid und in der Zerstörung darzustellen, solange wir uns nicht darauf beschränken. Dafür sollte man sich die komplette Produktion eines Tages in der Rückschau betrachten. Wir dokumentieren alles, auch das Drumherum: die Demonstranten, die auf dem Weg zum Maidan-Platz sind, oder den Handschlag beim Aufeinandertreffen westlicher Diplomaten mit Janukowitsch. Die Freundlichkeit dieser Begrüßung inmitten der blutigen Auseinandersetzungen gehört zu dieser Geschichte dazu.

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