Süddeutsche Zeitung

Joachim Gauck im TV-Kreuzverhör:Der Pastor lässt seinen Charme spielen

Er weiß, dass er keine Chance hat - und tut alles, um sie zu nutzen: Zwei Tage nach Christian Wulff beweist Herausforderer Joachim Gauck im ARD-Talk, dass er der bessere Bundespräsident wäre.

W. Jaschensky

Der Wahlkampf um das Amt des Bundespräsidenten ist eine seltsame Sache. Für den Erfolg ist nicht erheblich, die knapp 82 Millionen Bundesbürger zu überzeugen - es genügt einem Kandidaten letztlich, die einfache Mehrheit der 1244 Mitglieder der Bundesversammlung auf seine Seite zu ziehen. Und dann ist da ja noch die viel zitierte Würde des Amtes, die Kandidaten stets zu der Behauptung veranlasst, überhaupt keinen Wahlkampf zu veranstalten.

Nun haben sich die beiden Nicht-Wahlkämpfer trotzdem in ein Fernsehstudio der ARD begeben, um in eigener Sache zu werben. Allerdings nicht in einem direkten Duell, wie die Zuschauer das von Wahlkämpfen vor Bundestags- oder Landtagswahlen kennen, sondern zwei Tage versetzt in der ARD-Sendung Farbe bekennen.

Christian Wulff, der Kandidat der schwarz-gelben Koalition war bereits am Mittwoch auf Sendung, Joachim Gauck, von SPD und Grünen ins Rennen geschickt, nun am Freitag. Erstaunlicherweise ist dieses Fernduell aufschlussreicher als manch direkter Schlagabtausch der vergangenen Jahre.

Den beiden Fragestellern Ulrich Deppendorf und Thomas Baumann gelang es zwar nicht, einen der Kandidaten ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. Doch wer die zwei Mal 15 Minuten verfolgt hat, kann doch erhebliche Unterschiede bei den beiden Kandidaten feststellen. Nicht nur bei inhaltlichen Punkten, sondern vor allem in der B-Note.

Während Polit-Profi Wulff sich mit der ganzen Erfahrung aus 35 Jahren Parteiarbeit und unzähligen TV-Auftritten geschickt, aber doch bieder und brav durch die Fragen laviert, zeigt der Pastor aus Rostock, dass er mit seinen 70 Jahren in einer Antwort mehr Verve, Charme und Charisma packen kann, als sein Herausforderer in der gesamten Sendung.

Auch bei provokanten Fragen ehrlich

Vor allem aber erweckte Gauck den Eindruck ehrlich zu antworten - gerade bei provokanten Fragen. Mit einem knappen "Ja" antwortet der 70-Jährige auf die Frage, ob er eitel sei und schiebt dann nach: "Aber nicht mehr als andere, die im öffentlichen Raum rumspringen."

Dem 20 Jahre jüngeren Schwiegermüttertraum ist die Frage nach der Eitelkeit erspart geblieben. Hätte er sie gestellt bekommen, sähe seine Antwort aber wohl in etwa so aus: "Wissen Sie, Eitelkeit ist keine Eigenschaft, die einem Bundespräsidenten gut zu Gesicht steht. Ich will mich als Bundespräsident für die Weltfinanzordnung, das Weltklima und den Weltfrieden einsetzen."

Dies zählte der CDU-Mann übrigens tatsächlich auf, als er in seinem Vorstellungsgespräch nach seinem Leitmotiv gefragt wurde. Bevor er sich zu dieser Gutmenschen-Trias hinreißen ließ, erklärte Wulff, das Thema seines Wahlkampfes sei die Zukunft.

Ein schönes Thema für den Teflon-Kandidaten, schließlich ist die Gefahr recht gering, dass Kritiker kontern: "Herr Wulff, Sie sollten sich mehr um die Vergangenheit kümmern."

Gauck hat die Freiheit zum Thema seiner möglichen Präsidentschaft gemacht. Mutig für einen Kandidaten der SPD, schließlich betonen die Sozialdemokraten stets die Solidarität mehr als die Freiheit. Doch Gauck gelingt es, diese beiden Pole deutscher Parteienräson zu versöhnen.

Freiheit sei ihm wichtiger als Solidarität, bestätigt Gauck. Er propagiere aber nicht eine Freiheit, die den Leitsatz habe "Ich darf alles", sondern die "Freiheit der Erwachsenen". Ein anderes Wort für diese Freiheit sei Verantwortung. "Wer Freiheit so definiert, wird automatisch zu einem Maß an Solidarität gelangen, das anderen hilft zu helfen und die eigenen Chancen zu nutzen", sagt Gauck. Deshalb verbinde sich der Freiheitsbegriff mit der solidarischen Gesellschaft. "Ich möchte die Ermächtigung des Einzelnen, ein Bürger zu sein."

Direktwahl-Debatte ohne Vision

Doch nicht immer argumentiert Gauck so überzeugend wie in dieser Frage. Der SPD-Kandidat äußert Sympathien für eine Direktwahl des Bundespräsidenten. Freilich ist Gauck klug genug, um zu wissen, dass ein solcher Schritt gravierende Auswirkungen auf die Statik des politischen Systems der Bundesrepublik hätte. Doch Gauck liefert weder eine Vision, wie ein direkt gewählter Präsident agieren sollte, noch erklärt er, warum solch eine weitreichende Verfassungsänderung überhaupt notwendig sein soll.

Erhofft sich Gauck in dieser Frage, die in weiten Teilen der Bevölkerung geteilt wird, Beifall vom Publikum? Sicher jedenfalls ist, dass der Provokateur in anderen Fragen so klar antwortet, dass er fürchten muss, manch Wahlmännerstimme zu verschenken.

DDR war "Unrechtsstaat"

Anders als die zweimalige SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan nennt der Bürgerrechtler Gauck die DDR einen "Unrechtsstaat" und verteidigt den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Gauck betont seine Sympathie für Angela Merkel und lässt keinen Zweifel daran, dass er gerne von einem breiteren Parteienbündnis aufgestellt worden wäre. Von den Linken wird er dafür keinen Beifall erhalten.

Andererseits biedert sich Gauck auch nicht bei der Koalition an. Er erklärt, dass er sparen für wichtiger hält als Steuersenkungen und lässt vorsichtig durchblicken, dass er das Sparpaket der Bundesregierung nicht für besonders sozial ausgewogen hält.

Bei Christian Wulff bleibt die Überparteilichkeit ein Lippenbekenntnis. Der amtierende niedersächsische Ministerpräsident verweist auf historische Vorbilder und erklärt seine Unabhängigkeit schlicht zur "Selbstverständlichkeit".

Christian Wulff weiß allerdings auch, dass er diese Selbstverständlichkeit nicht weiter beweisen muss, um in das angestrebte Amt gewählt zu werden. Sollte seine Wahl tatsächlich scheitern, dann sicher nicht wegen seines TV-Auftrittes, sondern nur, weil die Koalition ihre Selbstzerfleischung munter bis zum 30. Juni fortgesetzt hat.

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