Präsidentschaftswahl in Frankreich:Die Rückwärtsgewandte sieht irritierend modern aus

Marine Le Pens Wahlkampfspot soll sie als einsame Heldin zeigen, die sich als Einzige um die Franzosen sorgt. Die anderen Kandidaten haben dem nur Klassisches entgegenzusetzen.

Analyse von Kathleen Hildebrand

Eine Frau steht auf einer Klippe, wahrscheinlich irgendwo an der bretonischen Küste. Sie blickt aufs Meer. Der Wind zupft an ihren Haaren und an den Zipfeln ihres schwarzen Capes. Frau vor Landschaft, fast caspardavidfriedianisch. Außer ihr ist da nur die Drohne, die über ihr kreisen muss, denn sonst gäbe es diese Bilder nicht von Marine Le Pen, der französischen Präsidentschaftskandidatin des Front National. Deren Wahlwerbespot sehen wir hier nämlich.

Was wir hören? Wellenrauschen, sanft. Einsetzende Musik, sehnsüchtig. Und dann Le Pens Stimme, nicht halb so kratzig und überhaupt nicht so aggressiv wie sonst oft. Sie sagt: "So lange ich zurückdenken kann, habe ich mich immer tief und leidenschaftlich mit unserem Land und seiner Geschichte verbunden gefühlt." Dann sagt sie, nein, sie haucht es fast: "Ich liebe Frankreich."

Anfang vergangener Woche wurden die Wahlwerbeclips der französischen Präsidentschaftskandidaten veröffentlicht. Für einen Einblick in ihre Strategien, in ihr Selbstbild, taugen diese Spots sehr gut. Der des Front National ganz besonders. Er ist der aufwendigste unter denen der vier Favoriten Le Pen, dem liberalen Emmanuel Macron, dem Linken Jean-Luc Mélenchon und dem konservativen Kandidaten François Fillon. Er ist auch der Spot, der am stärksten auf seine Kandidatin als Person setzt.

Marine Le Pen ist in den meisten Einstellungen zu sehen, oft in Zeitlupe, oft lächelnd, auch dann, wenn ihr Blick visionär aus dem Bildrahmen schweift. Man kennt das aus Abenteuerfilmen, beim Aufbruch des Helden, oder aus Werbespots für Lebensversicherungen. Marine Le Pen, die einsame Heldin, die sich als einzige um ihre Lieben, die Franzosen, sorgt.

Nachdem sie über das Meer geblickt hat, blättert Marine Le Pen in einem Buch, das wohl ihr Familienfotoalbum sein soll. Wir sehen: sie selbst als junge Frau, ihre Kinder, dann sie selbst in Anwaltsrobe. Marine Le Pen hat sich vorgenommen, ihren extrem rechten Front National vom Ruf der rassistischen Unmenschenpartei zu befreien, der ihn lange für zu viele Franzosen unwählbar machte. Deshalb das Lächeln, die sanftere Stimme, die Kinderbilder.

Le Pen steuert ein Segelschiff, wie einst ihr Vater

Dass ein paar Internet-Witzbolde ihren Clip mit Musik aus "Star Wars" unterlegt und ihr zum schwarzen Cape ein rotes Lichtschwert - also das Erkennungszeichen des absolut Bösen - in die Hand montiert haben, dürfte Marine Le Pen da gar nicht gefallen. Die düsteren Väter und Söhne der Star-Wars-Saga könnten an Le Pens eigenen düsteren Vater erinnern. Jean-Marie Le Pen ist in ihrem Familienfotoalbum nicht zu sehen. Der einzige, versteckte Hinweis auf ihn ist die Szene am Ende, in der Le Pen ein Segelschiff steuert. Mit solchen Bildern hatte sich 2002 auch ihr Vater, ein gebürtiger Bretone, in seinem Spot zur Wahl gestellt.

Marine Le Pens Spot will Vertrauenswürdigkeit vermitteln, während draußen das Chaos der Hochgeschwindigkeitsmoderne tobt. Also rasen Autos in Highspeed-Aufnahmen um den Pariser Triumphbogen. Also sitzt Le Pen im Hubschrauber, gibt Interviews, liest Unterlagen. Islamfeindlichkeit? Nicht doch. Sie hat "als Anwältin tiefen Respekt für die Grundrechte", ist nur, "als Frau" und Mutter, "angesichts des islamistischen Fundamentalismus'" besorgt. Kurz bevor der Begriff fällt, wird die Musik im Hintergrund bedrohlicher. Terrorismus, das ist in Le Pens Darstellung die große Gefahr für Frankreich. Außerdem: die lügenden, gescheiterten Politiker, die, neben ihr, zur Wahl stehen.

Fillon stellt sich den Franzosen, Mélenchon bleibt lieber unsichtbar

An der Wahl des jeweiligen Feindbilds erkennt man sehr leicht, mit welchem Teil des politischen Spektrums man es bei diesen Wahlwerbespots zu tun hat. Auch François Fillon, Kandidat der Konservativen, verweist - neben Schulden, Armut und Arbeitslosigkeit - auf die Fundamentalisten, die er "ohne Unterlass bekämpfen" werde.

Doch seine visuelle Überzeugungsstrategie ist eine ganz andere. Fillon steht in seinem Spot vor einem bis zur Unkenntlichkeit verschwommenen Hintergrund. Er will nicht mit opulenten Filmsequenzen verführen. Stattdessen: Mähdrescher, Teig, der zu Brot geformt wird, eine Kleinfamilie auf einem Feld, Aktenordner. Alles vorfabrizierte Symbolbilder. Fillon will auch nicht mit Vaterlandsliebeslyrik bezirzen wie Marine Le Pen.

Fillon, der wegen Bestechlichkeitsvorwürfen und wegen der Beschäftigung von Familienmitgliedern auf Staatskosten mittlerweile in den Umfragen abgeschlagen ist, will klar und unverstellt wirken. Teure Drohnenflüge wären da kontraproduktiv. Stattdessen sehen die Wähler sein Gesicht und sehr wenig mehr. Fillon, könnte man sagen, stellt sich den Franzosen. Er redet von nichts als seinem Programm: Staatsausgaben verringern, deregulieren, Unternehmer entlasten. Renten erhöhen, Polizei und Militär zu Respekt verhelfen. Ein starkes Europa. "Vertrauen Sie mir", sagt Fillon irgendwann tatsächlich. Dabei lächelt er leicht. Es klingt, als sei das nicht schon längst ausgeschlossen.

Die andere Frage, die von den Spots der Kandidaten beantwortet wird, lautet: Wer sind "die Franzosen"? Die Menschen, die man in Marine Le Pens Spot sieht (ihr Slogan: "im Namen des Volkes"), sind kaum zu erkennen. Meist tragen sie Anzüge, manchmal Tricolore-Schärpen. Alle sind sie weiß.

Bei François Fillon ist das schon anders. Er spricht nicht von "Volk", sondern von "uns", von "Franzosen" und "Mitbürgern". Und ein paar der Jugendlichen, deren Gesichter er, wenngleich nur kurz, zeigt, haben auch dunklere Haut.

Es ist aber der sehr linke Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon, der den Menschen, die ihn wählen sollen, die größte Präsenz in seinem Wahlkampfspot gewährt. Das Video besteht fast komplett aus Aufnahmen von der großen Demonstration für eine "sechste Republik", also für eine fundamentale Veränderung des politischen Systems in Frankreich, die Mitte März mehr als 100 000 Menschen auf die Place de la République in Paris zog. Junge und Alte sind da zu sehen, Franzosen mit verschiedensten Hautfarben. Viele mit phrygischer Mütze auf dem Kopf, dem Symbol der Jakobiner, die während der Französischen Revolution für die Abschaffung der Monarchie kämpften. Die implizierte Parallele: Mélenchon hat vor, die Befugnisse des Amts, für das er kandidiert, zu beschneiden, die "Präsidialmonarchie" abzuschaffen.

Ihn selbst sieht man im Spot erst nach knapp zwei Minuten und selbst dann nur in sehr kurzen Einstellungen. Bis dahin ist er nur zu hören - mit einer besonders poetischen Passage aus einer Wahlkampfrede. Mélenchon fordert darin Pazifismus, Solidarität und "eine Gesellschaft, die es nicht duldet, dass Armut inmitten von Überfluss existiert". Nicht er ist hier der Wichtigste, will er mit dieser Zurückhaltung wohl sagen, sondern jene sind es, die laut seinem Slogan "die Lösung für jedes Problem sind": das "Volk". Ein Begriff, der in Frankreich offenbar nicht der Rechten vorbehalten ist. Wohl aber denen, die das Pathos nicht scheuen.

Zu denen zählt Emmanuel Macron nicht. Er, der Favorit neben Le Pen, ist der jüngste Bewerber um die Präsidentschaft, der Kandidat der Mitte. Sein Spot beginnt mit ein paar Frankreich-Idyllen, viel Grün und alten Dörfern. Mehr Romantik genehmigt er sich nicht. Macron spricht, frontal in die Kamera, und er spricht weder von Volk, noch von großen Bedrohungen. Sondern von "Arbeit", und wie er hofft, sie den Franzosen wieder zu ermöglichen. Macron zeigt sich in seinem Spot mit Bürgern, hört öfter zu, als dass er spricht. Klassischer geht es kaum. Viel langweiliger allerdings auch nicht.

Die Ästhetik von Macrons Wahlkampfspot entspringt Zeiten, in denen politische Slogans und die visuelle Präsentation von Kandidaten sich kaum unterschieden. In der Extremes und zu großes Pathos verpönt waren und alle Parteien, in unterschiedlichen Schattierungen, etwas Ähnliches wollten. Der absurde Effekt: Die Fortschrittlichen wirken visuell veraltet, fast nostalgisch. Während die Kandidatin mit der rückwärtsgewandtesten Politik sich in irritierend modernen - und sehr effektiven Bildern präsentiert.

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