Süddeutsche Zeitung

Porträt:Zart am Limit

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Matthias Koeberlin macht deutsche Fernsehkrimis zum Erlebnis. Das Porträt eines auffallend unauffälligen Schauspielers.

Von Kathrin Hollmer

Matthias Koeberlin hat eine Stimme, der man am liebsten den ganzen Tag lauschen würde. Sie ist rau und weich zugleich. Man kennt sie aus vielen Hörbüchern und Hörspielen, die er regelmäßig einspricht. Im Gespräch fällt auf, dass er sich dafür nicht verstellen muss. Mit derselben sonoren Stimme stellt er alle Kollegen am Set vor, spricht über Gaffer, Zivilcourage und österreichische Politik - viel lieber als über sich selbst. In Koeberlins Wikipedia-Eintrag steht "Schauspieler und Rezitator", und mitten im Interview auf der Terrasse eines Hotels in Bregenz rezitiert er aus dem Stegreif Robert Gernhardts "Ein Gleichnis", das er einst für die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule einstudiert hat.

Matthias Koeberlin, 45, ist einer der meistbeschäftigten Schauspieler in Deutschland, gerade dreht er zwei neue Folgen der Krimireihe Die Toten vom Bodensee. Eine Weile lang war er als Actionheld in Event-Fernsehfilmen gebucht, oft spielt er Ermittler, aber nicht irgendwelche. Im Krimiland Deutschland ist er der Mann für anspruchsvolle Krimis.

Historische Figuren wie Dr. Emil Behring in der Serie "Charité" liegen ihm

Auf dem Fernseh-Polizeipräsidium in Lauterach, einer Gemeinde wenige Kilometer von Bregenz entfernt, nennen ihn alle "Matze". Koeberlin trägt Cargohosen und ein dunkles T-Shirt. Nach der Mittagspause ordert er seinen Kaffee "rehblond", mit einem guten Schuss Milch. Es sind 32 Grad, nach jedem Take tupft eine Visagistin Koeberlins sonnengebräuntes Gesicht und seinen Nacken ab. Zwischen zwei Szenen lehnt er an der Wand und klopft rhythmisch dagegen.

Seit er zwölf ist, spielt er Schlagzeug, früher in Metal-Bands. "Mit langen Haaren, Kutte, Aufnähern und allem, was dazugehört", sagt er. Heute spielt er noch privat. Das Instrument passt zu Koeberlin, der, trotz seines Berufs, lieber im Hintergrund bleibt. "Ich muss nicht vorne am Bühnenrand stehen", sagt er. Schauspieler wollte er schon gar nicht werden.

Koeberlin kommt in Mainz zur Welt und wächst in Kriegsfeld auf, einer 1000-Einwohner-Gemeinde zwischen Mainz und Kaiserslautern. Sein Vater war Landarzt, seine Mutter Hausfrau. In der Schule schreibt er Geschichten und Gedichte, später will er Journalist werden. "Ich dachte, ich decke große Verschwörungen auf, à la Watergate", sagt er. "Die Unbestechlichen" sei bis heute einer seiner Lieblingsfilme. "Wegen meines miserablen Abiturs war an Studium aber erst mal nicht zu denken." Damals habe er nicht gewusst, was er mit seinem Leben anfangen soll.

Letztlich ist alles Zufall. Nach dem Zivildienst legt ihm seine Mutter einen Artikel über die Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg auf den Tisch. Eine "Mischung aus mütterlichem Instinkt und weiblicher Intuition" müsse das gewesen sein. Koeberlin lässt sich überreden und fährt für den Eignungstest nach Berlin. Die Prüfung dauert eine Woche. Von 1500 Bewerbern bleiben zehn übrig, darunter Koeberlin. Erst bei den Aufführungen vor allen Jahrgängen und Dozenten am Ende jedes Semesters, für die man sich selbst Rollen erarbeitet, merkt er, wie er die Leute berührt und sie zum Lachen bringt.

Seinen ersten Fernsehauftritt hat er während des Studiums im Tatort als Bruder des Mordopfers. "Ich war unfassbar aufgeregt und habe mich dauernd verhaspelt", sagt Koebelin. "Peter Sodann sagte irgendwann: Lasst ihn mal, der kriegt das hin. Das hat mir als Schauspieler wahnsinnig geholfen." Bis heute sei er nervös. Atmen helfe. "Und wenn ich mich ein paar Minuten mit Musik im Ohr zurückziehe."

Nach dem Studium spielt er in 35 Folgen von In aller Freundschaft (ARD). Ein halbes Jahr gibt er sich, lernt "zu funktionieren", wie er sagt, jeden Tag gut vorbereitet zu sein. "Bei so einer Serie gibt es wenig Zeit und wenig Proben." Auf der Bühne fühlt er sich nicht so wohl wie vor der Kamera. "Das minimierte Spiel, das die Kamera braucht, liegt mir mehr." Der unmittelbare Kontakt zu den Zuschauern fehlt ihm dennoch, er findet ihn bei den Lesungen, die er regelmäßig hält. "Irgendwann möchte ich noch mal überprüfen, ob ich mich auf der Bühne immer noch so beschissen finde", sagt er.

Für seine erste Hauptrolle in der Sat.1-Romanze Ben und Maria - Liebe auf den zweiten Blick bekommt er gleich mal den Günter-Strack-Fernsehpreis. "Mich kannte keiner, gegen alle Widerstände vom Sender hat mir der Regisseur Uwe Janson die Chance gegeben", sagt Koeberlin dazu. Warum, erklärt Janson so: "Matthias war uneitel, unverstellt und so präsent, dass er gleich eine Verbindlichkeit zum Zuschauer hergestellt hat." Sein Spiel hat gleichzeitig etwas Bestechendes und Zartes. In seinen Rollen liegt oft eine gewisse Melancholie, etwas Grüblerisches und eher Leises: Das unterscheidet ihn auch von den überdrehten deutschen Fernsehkommissaren, die ihre Psychomacken und Verletzungen demonstrativ mit sich herumschleppen. Historische Figuren wie Dr. Emil Behring in der Serie Charité liegen ihm ebenso wie Komödien. Für seine Rolle in der Serie Kinder, Kinder hat er den Deutschen Comedypreis bekommen.

Anfang der Nullerjahre macht der Pro-Sieben-Zweiteiler Das Jesus Video Koeberlin nicht nur sehr bekannt, sondern auch zum neuen Action-Star des deutschen Event-Fernsehens. Er nimmt es, ebenfalls in einem Zweiteiler auf ProSieben, mit einem Tornado auf und auf RTL mit einem Vulkan. "Damals habe ich in einem Artikel gelesen: 'Wenn es irgendwo brennt, muss der Koeberlin ran'." Aus Sorge, keine anderen Rollen mehr zu bekommen, sagt er daraufhin ähnliche Angebote konsequent ab. 2007 spielt er in einer Serie und fünf Fernsehfilmen mit. "Das würde ich heute nicht mehr schaffen." Er nimmt sich bewusst Pausen, für die Familie, zum Durchschnaufen. "Es gibt auch Phasen, in denen ich mich selbst satthabe, das war mit Sicherheit so ein Jahr", sagt er. Über sein Privatleben spricht er eher ungern. Mit seiner Frau, einer Maskenbildnerin, die er bei den Dreharbeiten für die Komödie Schwer verknallt kennengelernt hat, und einem gemeinsamen Kind lebt er in Köln.

Für Kommissar Marthaler (ZDF), eine seiner wichtigsten Rollen, gibt es 2017, nach fünf Teilen, keine Romanvorlagen mehr zu verfilmen. Man habe überlegt, Autoren mit weiteren Folgen zu beauftragen. Doch für Koeberlin ist seine Figur, der Einzelgänger Marthaler, zu Ende erzählt. Parallel ermittelt er seit 2014 als bodenständiger Kommissar Micha Oberländer in der ZDF-Reihe Die Toten vom Bodensee, von der im Herbst eine neue Folge ausgestrahlt wird. 2017 überzeugt er als Carlos Benede in dem Fernsehfilm Der Polizist, der Mord und das Kind (ZDF) nach der wahren Geschichte eines Polizisten, der zwei Kinder adoptiert hat, deren Mütter von ihren Männern getötet worden sind.

Von Ermittlern hat er, obwohl er auch privat gern Krimis liest und von seinem Vater die Liebe zu Autoren wie Dashiell Hammett, Raymond Chandler, Rex Stout, Henning Mankell und Jussi Adler-Olsen geerbt hat, eigentlich genug. Für Hartwig Seeler - Gefährliche Erinnerung machte er zuletzt eine Ausnahme. In dem ARD-Film spielt er einen Privatdetektiv und ehemaligen Polizisten. "Er ist kein klassischer Ermittler, eher ein Mann, der auf der Suche ist, beruflich und privat", sagt Koeberlin. "Und der Film mehr Drama als Krimi." Ende des Jahres dreht er den zweiten Teil.

Ganz schön viel Aufmerksamkeit und Präsenz. Doch eigentlich bleibt er immer noch lieber im Hintergrund, meidet Preisverleihungen und Premieren. Facebook und Instagram? Das ist nichts für ihn. "Dabei weiß ich natürlich, dass man, je mehr Follower man hat, desto interessanter wird für viele Entscheidungsträger, weil das potenzielle Zuschauer und Kinogänger sind." Er bewundert Schauspieler, über die man wenig Privates weiß, weil man sich sonst nicht auf ihr Spiel konzentrieren kann.

Und so gibt es wohl nur eine Möglichkeit, diesen zurückhaltenden Menschen wirklich kennenzulernen: indem man ihm einfach nur beim Spielen zuschaut.

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Quelle:
SZ vom 13.07.2019
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