Zeitungsmarkt:Eine Frau kauft ein

Simone Tucci-Diekmann, Verlagschefin der PNP

Passauer Verlegerin Tucci-Diekmann: Auf dem Weg zur Monopolistin mit einer Auflage von 350 000 Stück.

(Foto: Michael_Leis)

Simone Tucci-Diekmann ist Geschäftsführerin der Verlagsgruppe Passau, die ihrer Familie gehört. Sie steht für radikales Wachstum. Kritiker sagen: Um jeden Preis.

Von Thomas Balbierer

Das Verb "verlegen", so steht es in etymologischen Wörterbüchern, bedeutete im Mittelhochdeutschen so viel wie "Geldauslagen machen". Geldausgeben, das war lange Zeit die vornehmste Tätigkeit deutscher Zeitungsbesitzer. Sie schufen große Redaktionen, die in teuren Verlagszentralen arbeiteten und oft aufwendige Recherchereisen unternahmen. Das Geld floss, auch weil der Anzeigenteil an manchen Tagen solche Ausmaße annahm, dass die Zeitung so viel wog wie eine Packung Mehl. Vorbei.

Da ist es zunächst hoffnungsstiftend, wenn es Verlegerinnen wie Simone Tucci-Diekmann gibt, die trotzdem kräftig Geld auf dem deutschen Zeitungsmarkt ausgeben. Ende Juli wurde bekannt, dass ihre Verlagsgruppe Passau, in der die Passauer Neue Presse (PNP) erscheint, ein paar Jahre nach dem Ingolstädter Donaukurier (DK) nun auch die Mittelbayerische Zeitung (MZ) in Regensburg übernehmen will. Die Hoffnung, hier päpple jemand großzügig Zeitungen auf, verflüchtigt sich allerdings, sobald man das verlegerische Handeln Tucci-Diekmanns näher betrachtet.

Ihr gehe es, das sagen Branchenkenner und Mitarbeiter, vor allem um eines: ökonomisches Wachstum um jeden Preis. Das treibe sie bisweilen ohne Rücksicht auf journalistische Vielfalt und Angestellte voran. Schon vor Jahren stieg der Verlag aus dem Tarifvertrag für Redakteure aus, Verhandlungen mit Gewerkschaften boykottiert die Chefin, unbequeme Mitarbeiter würden schon mal gegen ihren Willen versetzt, erzählen PNP-Insider. "Sie führt ein Regime, in dem es dir gut geht, wenn du dich gutstellst", sagt Hubert Denk. "Wer sich querstellt, kriegt die rote Karte und wird auch dementsprechend behandelt." Denk begann in den Neunzigerjahren seine journalistische Karriere bei der PNP, damals war Tucci-Diekmann noch nicht Verlegerin. Anfang der 2000er verließ er die Zeitung und gründete das kleine Passauer Lokalmagazin Bürgerblick. Immer wieder berichtet Denk seitdem kritisch über den alten Arbeitgeber. Etwa über die Protestwelle 2016, als Teile der Redaktion für die Rückkehr zum Tarifvertrag demonstrierten - was die Verlegerin aber abbügelte. "Man nennt sie im Haus auch die 'eiserne Lady'", sagt er.

"Wir wurden wie eine Festung geschleift", heißt es beim 2016 übernommenen "Donaukurier"

Seit die Juristin 2009 die Geschäftsführung des Familienverlags übernommen hat, befindet sie sich auf Shoppingtour durch die bayerische Zeitungslandschaft: 2012 kaufte sie das Trostberger Tagblatt, 2014 das Reichenhaller Tagblatt und den Freilassinger Anzeiger, 2016 den Donaukurier (DK). Die nun geplante Übernahme der MZ sei, so Tucci-Diekmann in einer Hausmitteilung, ein "logischer Wachstumsschritt". Sie glaube "fest an die Zukunft der Regionalzeitung". Welche publizistischen Ansprüche die Verlegerin mit ihrem Kurs verfolgt, bleibt allerdings fraglich. Mehrere Anfragen der SZ, auch zu Aussagen ihrer Kritiker, ließ sie unbeantwortet. Anders als der konservativ-katholische Zeitungsgründer Hans Kapfinger, fällt seine Erbin, Jahrgang 1973, kaum durch journalistische Ambitionen auf. "Zeitungen sind für sie ein reines Wirtschaftsobjekt", sagt ein ehemals führender Redakteur aus dem Verlag.

Verlagsgebäude der ´Mittelbayerischen Zeitung"

Übernahme perfekt: Verlagsgebäude der "Mittelbayerischen Zeitung".

(Foto: Andrea Rieder/picture alliance/dpa/Mittelbayerische Zeitung)

Mit dem Anschluss der Mittelbayerischen würde Tucci-Diekmann die Lokal- und Regionalberichterstattung im Donau-Dreieck Passau-Regensburg-Ingolstadt dominieren. Der Verbund hätte eine täglich verkaufte Auflage von fast 350 000 Zeitungen und würde seine Monopolstellung ausbauen. Nebenwirkung: Werbekunden aus der Großregion hätten kaum noch eine regionale Alternative für Inserate. Für Journalistinnen und Journalisten gäbe es in dem Gebiet nur noch einen großen Arbeitgeber. Der Zusammenschluss, da sind sich viele Beobachter einig, ist für den Journalismus keine gute Nachricht. Warum, das fragt man am besten in Ingolstadt.

"Wir wurden wie eine Festung geschleift", sagt ein Donaukurier-Kenner, der die Fusion ab 2017 miterlebt hat. In der Redaktion herrsche seit dem Kauf das Gefühl, publizistische Eigenständigkeit und regionale Identität verloren zu haben. Ressorts wurden vereint, Stellen und Kompetenzen gestrichen. "Die Redaktion gleicht einer verunsicherten, geprügelten Mannschaft." Der Politikteil der Zeitung stamme heute zum Beispiel aus Passau, dafür produziere Ingolstadt den Sport für die Kollegen in Niederbayern mit. Auch in der Berichterstattung über Landespolitik habe der DK seine "eigene Stimme eingebüßt". Für beide Blätter berichtet nur noch ein Landtagskorrespondent aus München: ein Kollege der PNP. Dessen Fokus liege eher auf niederbayerischen Themen und Personen. "Andere Aspekte, die uns in Ingolstadt besonders interessieren würden, gehen verloren."

Medienökonomisch ist der Kauf sinnvoll, die Redaktion wartet ab, was kommt, und schweigt

Dass sich Tucci-Diekmann im Januar 2017 in einem Interview noch mit dem Satz "Der Donaukurier wird der Donaukurier bleiben" zitieren ließ, wird in der Redaktion heute zynisch kommentiert. "Das stimmt hinten und vorne nicht", sagt eine Lokalredakteurin. Sie kritisiert, dass Geschäftsstellen und kleine Lokalbüros geschlossen worden seien. Frei werdende Stellen würden oft gar nicht oder nur durch Teilzeitstellen ersetzt. Sie spricht von einem "schleichenden Stellenabbau", unter dem auch die Qualität der Zeitung leide.

Im Umfeld des Passauer Verlags hört man nun oft, dass die DK-Übernahme eine "Blaupause" für Regensburg sein könnte. "Für uns besteht kein Zweifel daran, dass es Synergieeffekte geben wird, die alle Abteilungen des Zeitungsverlags in Regensburg betreffen könnten", sagt Christa Hasenmaile, Landesfachbereichsleiterin Medien bei Verdi in Bayern. "Die Redaktion hat das noch gar nicht verarbeitet." Dass vorab nicht einmal der Betriebsrat über die Übernahme informiert gewesen sei, passe "ins Bild und vor allem auch zum Stil des Hauses". Der Rückzug der Familie Esser nach 75 Jahren habe in Regensburg trotz anhaltender Gerüchte viele überrascht.

Kontaktversuche blocken MZ-Redakteure derzeit ab. Man wolle keinesfalls Spekulationen befeuern, ist zu hören. Der Betriebsrat antwortet nicht, ein führender Journalist lehnt eine Stellungnahme per SMS ab: "Man liebt den Verrat und hasst den Verräter." Niemand möchte es sich schon jetzt mit dem neuen Arbeitgeber verscherzen.

Der ostbayerische Verleger Martin Balle hat beim Kartellamt Widerspruch gegen die Übernahme eingelegt

Eine Woche nach der Übernahmeankündigung startete der Straubinger Verleger Martin Balle überraschend ein kleines Konkurrenzblatt zur MZ: die Regensburger Zeitung. "Das ist unser Heimatmarkt", sagt der Chef der Mediengruppe Attenkofer (Straubinger Zeitung, Abendzeitung). "Wir wollen das Feld nicht den Passauern überlassen." Balle, einer der letzten regionalen Konkurrenten in Ostbayern, blickt mit großer Skepsis auf den entstehenden Zeitungsriesen. Er hält das schnelle Wachstum für nicht nachhaltig und verweist darauf, dass die Passauer erst vor Kurzem ihre Beteiligung an dem polnischen Medienunternehmen Polska Press an einen Staatskonzern abgestoßen haben. Zuvor waren auch schon die Aktivitäten in Tschechien und der Slowakei eingestellt worden. Balle hat gegen die Übernahme Widerspruch beim Kartellamt eingelegt, "weil das für die Medienvielfalt nicht gut ist", wie er sagt. Dass die Behörde den Deal aber noch verhindert, halten Experten wie der Passauer Medienrechtler Kai von Lewinski (siehe Interview) für unwahrscheinlich.

"Medienökonomisch ist die Übernahme ein kluger Schachzug", sagt einer, der den Verlag gut kennt. So lasse sich die Relevanz der Marke wie auch die Position am Werbemarkt stärken. Außerdem bringe die MZ eine digitale Kompetenz in den Verlag, die in der Branche als vorbildlich gilt. Zum Kaufpreis wird offiziell geschwiegen.

Ein langjähriger PNP-Redakteur hat deshalb das "Gefühl, dass die ökonomische Zukunft der Lokalzeitung gesichert wird". Die Redaktion wisse zu schätzen, dass es in der Vergangenheit keine betriebsbedingten Kündigungen gegeben habe und Gehälter bei steigender Inflation angepasst würden. Während der Corona-Krise sei die Redaktion, anders als in anderen Verlagen, nicht in Kurzarbeit geschickt worden. "Aber", sagt der Journalist, "romantische Gefühle empfinden wir bei der Übernahme nicht."

In etymologischen Wörterbüchern steht: Verlegen bedeutete früher nicht nur Geld ausgeben, sondern auch "verdrängen". Beides umreißt die Marktstrategie von Simone Tucci-Diekmann ziemlich gut.

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