Matthias Matschke im Portrait:Grenzmanisch? Ich widerspreche nicht!

Lesezeit: 3 min

Was würden seine Kollegen Professor T. (Matthias Matschke) wohl attestieren, wenn sie wüssten, dass er mit seiner toten Ex (Marie Rönnebeck) spricht? (Foto: ZDF)

Kaum einer wechselt so unbeschwert zwischen ernsten und komischen Rollen wie Matthias Matschke. Sein Antrieb ist das Imitieren, seine Grundlage das Beobachten - und das Fernsehen seine Spielwiese.

Von David Denk

Matthias Matschke sitzt draußen vor dem Café, direkt an der Oranienburger Straße - und er sitzt da gern. Als der 49-Jährige vor mehr als 25 Jahren aus Hessen nach Berlin zog, war er von der Großstadt "regelrecht schockiert". Das hat sich gelegt. Mehr noch: Er ist zum Bewunderer ihrer "hässlichen Schönheit" geworden. Und dafür ist das kein schlechter Platz, diese bei Touristen wie Autofahrern beliebte Verbindungsachse zwischen Hackeschem Markt und Friedrichstraße. Matschke will hier nicht mehr weg, also hier genau nach dem Interview doch schon, aber in seinem Kiez um die Ecke ist er heimisch geworden. "Im Moment gilt ja Potsdam als der heiße Scheiß", sagt er, "aber das wäre mir schon zu wenig urban."

Berlin sei ihm gerade so groß genug, sagt Matschke, den es auch auf Reisen immer wieder in Metropolen zieht, die Fotokamera immer im Anschlag. Er habe da gerade von einem Extremläufer gelesen, der gesagt habe, er könne überhaupt nicht verstehen, warum die Leute im Urlaub nur am Strand liegen. Dabei lerne man doch gar nichts. "Das fand ich relativ überzeugend", sagt Matschke, der sich selbst einen "Unrast-Spleen" attestiert. Und zitiert ein Volkslied: "Mich brennt's in meinen Reiseschuh'n fort mit der Zeit zu schreiten."

Die besten neuen TV-Serien
:Diese Serien sollten Sie sich ansehen

"Lost in Space" reanimiert klassische Science Fiction. Und in "Die Einkreisung" jagt Daniel Brühl einen Verbrecher durch New York. Vier Serien, die sich gerade lohnen.

Von den SZ-Fernsehkritikern

Mehr als 15 Jahre ist es mittlerweile her, dass Anke Engelke ihn für Ladykracher zum Fernsehen holte. Von diesem Freitag an ist Matschke wieder als Professor T. zu sehen: Der schwer neurotische, aber überaus angesehene Kriminalpsychologe mit den blauen Plastikhandschuhen, Titelheld der gleichnamigen ZDF-Serie, ist eine der Hauptrollen, die untermauern, dass Matschke in die erste Reihe deutscher Fernsehschauspieler vorgedrungen ist; eine andere ist die von Hauptkommissar Dirk Köhler, offen, kommunikativ, freundlich, gewissermaßen die Antithese zu Professor T., im Polizeiruf 110 aus Magdeburg. Außerdem spielt Matschke Bastian Pastewkas schlurfigen Halbbruder Hagen in der Comedyserie Pastewka. Und dann gehört er noch zum Ensemble von Heute-Show und Sketch History. Matschke möchte spielen, spielen, spielen. "Ich bin dieser Adidas-Universalstiefel aus den 80ern", sagt er, "ich mache irgendwie alles mit." Als man ihn "grenzmanisch" nennt, entgegnet er amüsiert: "Darf ich den Begriff haben? Find ich super. Ich würde sagen: Ich widerspreche nicht." Es gibt Leute, denen alles schnell zu viel wird - und es gibt Typen wie Matschke, die so schnell nicht genug kriegen.

Um die Nachfrage der Fernsehleute bedienen und seiner Neugier nachgeben zu können, hat Matschke, Ende der 90er an der Berliner Volksbühne gefeiert, seine Bühnenkarriere ausgesetzt. "Momentan habe ich keine Entzugserscheinungen", sagt er. Und was ist mit dem von Theaterleuten viel beschworenen "Prozess"? Vermisst er das wochenlange Geprobe denn gar nicht? "Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich den Prozess hasse", sagt Matschke. Er habe genug von seiner ewigen Angst vor dem "Übermensch Zuschauer, an dem man nur scheitern kann", weswegen er immer den "realen Kontakt mit dem Publikum herbeigesehnt" habe.

"Entschuldigung, ich will nicht stören." Eine ältere Dame tritt an den Tisch. "Herr Matschke, ich wollte Ihnen einfach mal sagen: Ich finde, Sie sind ein großartiger Schauspieler." Matschke bedankt sich, aber die Dame ist nicht zu bremsen: "Ich finde, Sie haben so eine Bandbreite und sind immer überzeugend." Matschke sagt, er fühle sich sehr geehrt. Man verabschiedet sich. Kurze Stille am Tisch. Frage an Matschke: War die Lobhudelei bestellt? Antwort: "Meine Mutter."

"Ich habe Lust, mich durch Komik zu widersetzen"

Ein Witz, trocken wie Rom im August, aber Matschke kann nicht verhehlen, wie ihn diese Zufallsbegegnung freut: "Was kann man mehr wollen?" Für ihn gibt es kaum ein größeres Kompliment, als Jahre danach noch auf eine bestimmte Rolle, eine bestimmte Inszenierung von Castorf oder Marthaler angesprochen zu werden.

Der Volksbühne verdankt Matschke auch sein Coming-out als Komiker. "Komik ist immer mein innerster Antrieb", sagt er. Die Erkenntnis musste jedoch erst reifen. In jungen Jahren dachte Matschke, man müsse sich zwischen U und E entscheiden - bis er an die Volksbühne kam. Dort durfte man nicht nur mal lustig sein, es gehörte unbedingt dazu - und man blieb trotzdem als Schauspieler satisfaktionsfähig. Dieses selbstverständliche Sowohl-als-auch hat Matschke ins Fernsehen rübergerettet, wo er Uwe Barschel verkörperte und Joseph Goebbels parodiert. "Ich habe Lust, mich durch Komik zu widersetzen", sagt er und beklagt "eine unfassbare Verkonservatisierung unseres Landes, offenbar aus Angst vor der AfD. Daraus müssen wir uns wieder befreien."

Für Professor T., erzählt Matschke gern, habe eine andere Fernsehfigur Pate gestanden. Aber kein Mensch, sagt er nun. Ein Tier? Matschke löst das Rätsel nicht auf, sondern spricht lieber allgemeiner übers Nachahmen: "Grundlage meiner Arbeit ist es, Spanner zu sein." Und damit wären wir wieder beim Reisen, denn unterwegs sammelt Matschke Menschen samt ihrer Gesten und Verhaltensweisen, wovon er dann in seiner Arbeit zehrt. Mit Magie habe Schauspielerei nichts zu tun, sondern mit Zuschauen, Erfahren und Imaginieren sowie dem Kombinieren dieser Mosaiksteine. "Eigentlich imitiere ich das Leben", sagt Matschke, dem es dabei zugute kommt, "dass ich mich noch genau an die Art erinnern kann, wie der eine Typ beim Umsteigen in Mailand 1986 die Zigarette genommen und daran gezogen hat." Es ist ein wesentlicher Teil der Kunst des Matthias Matschke, dass er seine Kamera gar nicht braucht, um Schnappschüsse mitzubringen.

Professor T. , ZDF, 20.15 Uhr.

© SZ vom 04.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Nico Semsrott
:Der Ernstwähler

Nico Semsrott war erst depressiv und dann einer der wichtigsten Satiriker des Landes. Jetzt macht er Politik. Und die beängstigende Frage lautet: Warum fühlt es sich an, als sollte man ihn wählen?

Porträt von Jakob Biazza
Jetzt entdecken

Gutscheine: