Süddeutsche Zeitung

Porträt:Läuft bei ihr

Anke Greifeneder entwickelte für den Pay-Kanal TNT Serie preisgekrönte Produktionen wie "4 Blocks" oder "Weinberg". Zur Entspannung schreibt sie zu Hause Liebesromane.

Von Kathrin Hollmer

Als Teenager wollte Anke Greifeneder zu Besuch bei ihren Freundinnen meistens fernsehen. In ihrem Elternhaus im Schwarzwald gab es keinen Fernseher, bis sie 17 war. "Ich war Lehrerkind", sagt sie. "Meine Eltern waren der Meinung, dass man etwas Besseres mit seiner Freizeit anstellen kann." Sie kannte das Programm bald besser, als die Freundinnen, die einen Fernseher hatten.

Heute ist Anke Greifeneder, 45, eine der erfolgreichsten Fernsehmacherinnen in Deutschland, als geschäftsführende Produzentin beim Pay-TV-Sender TNT Serie. Seit in Deutschland Pay-TV-Sender und Streamingdienste ambitionierte Eigenproduktionen starten, gewinnt die Job-Beschreibung an Bedeutung. Greifeneder entwickelte Add a Friend, die erste eigenproduzierte Serie eines Pay-TV-Senders in Deutschland. Bisher wurden alle ihre Serien ausgezeichnet, 4 Blocks zuletzt mit 14 Preisen. Woher kommt ihr gutes Gespür für Serien?

Besonders reizen sie Stoffe, von denen andere sagen, das funktioniere nicht

In der Deutschland-Zentrale von Turner in München-Schwabing sitzt Anke Greifeneder in langem Kleid und Jeansjacke "in der Insel". Bis vor einem halben Jahr hatten sie und ihr Team hier ihr Büro. "Insel" haben sie dazu gesagt, weil sie die Tür zum Großraumbüro daneben schließen und ungestört an Serienideen "rumspinnen" konnten, wie sie sagt. Auch nach dem Umzug in ein größeres Büro sitzen sie hier gern. Hinter der Couch hängt ein Aquarell mit den Hauptfiguren aus 4 Blocks, das bis zur Decke reicht. Greifeneder spricht schnell, lacht viel und sitzt kaum zwei Minuten still.

Während der Schulzeit spielte sie Theater, war Schulsprecherin und schrieb bereits Zeitungen. Sie wollte Journalistin werden und vor dem Volontariat studieren. Ein Semester lang hörte sie sich Vorlesungen in Deutsch, Englisch, Philosophie und Geschichte an und entschied sich für "etwas Handfestes", sagt sie. In Jura machte sie das Erste Staatsexamen. Statt in eine Zeitungsredaktion ging sie 1999 zum Musikfernsehen. "Ich wollte nicht zum Fernsehen, sondern zu MTV." Zum Lieblingsprogramm des Teenagers Anke vor dem Fernseher der Freundinnen.

Sie stieg als Praktikantin ein und arbeitete sich in der Sendergruppe Viacom hoch, unter anderem als Programmplanerin und Verantwortliche für Eigenproduktionen für MTV und VIVA in München und London, und sie baute in Berlin Comedy Central in Deutschland mit auf.

Im Jahr 2007 fing sie als Programmchefin bei Turner Deutschland an. Das Unternehmen gehört, wie etwa HBO und CNN, zu Time Warner. Greifeneder entwickelte und verantwortete das Programm für die Pay-TV-Sender des Unternehmens. Für TNT Serie holte sie unter anderem Game Of Thrones nach Deutschland. Sie überzeugte ihre Vorgesetzten, eigene Inhalte zu produzieren, um sich auf dem Markt zu behaupten. In den USA sind Pay-Sender wie HBO (The Sopranos, Game Of Thrones) und AMC (Mad Men, Breaking Bad) schon seit den Neunzigerjahren gerade mit eigenproduzierten Serien erfolgreich. Und noch bevor Netflix und Amazon in Deutschland richtig damit anfingen, schrieb Greifeneder auf diesem Weg Seriengeschichte. Deshalb fällt heute ihr Name oft genau dann, wenn es um das kreative Potenzial geht, das die deutsche Filmwirtschaft den globalen Erfolgsstoffen entgegenhalten kann.

Mit kleinem Budget, der Firma Wiedemann & Berg als Koproduzent sowie den Autoren Christian Lyra und Sebastian Wehlings entwickelte sie Add a Friend: Eine Art Sitcom-Kammerspiel über einen Fotografen, der nach einem Unfall vom Krankenhausbett aus über seinen Laptop Kontakt zur Außenwelt hält. Die Serie wirkte in der Ankündigung wie ein Nischenprodukt in der Nische, aber im Jahr darauf wurde sie dafür mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet. Auf einmal war ein kleiner Pay-Kanal, Ableger eines US-Konzerns, dort mit dabei, wo man ihn nicht erwartet hatte: beim eigenproduzierten deutschen Qualitätsfernsehen.

Auch mit ihren nächsten Eigenproduktionen für TNT Serie bewies Greifeneder Spürsinn: 2015 mit der Mystery-Serie Weinberg (Buch: Arne Nolting, Jan Martin Scharf) und 4 Blocks, der viel beachteten Serie aus dem vergangenen Jahr über arabische Clans in Berlin-Neukölln, geschrieben von Hanno Hackfort, Richard Kropf und Bob Konrad. Wieder gab es Grimme-Preise und weitere Auszeichnungen. Von Weinberg ist ein internationales Remake geplant. 4 Blocks lief 2017 auf ZDFneo, international kann man die Serie bei Amazon Prime sehen, von Mitte Juni an auch in Deutschland. Dazwischen produzierte sie Shows wie das Late-Night-Format Ponyhof für TNT Comedy. "Ich muss mich mindestens einmal am Tag kneifen", sagt Greifeneder, die immer betont, dass ihre Arbeit Teamwork sei.

Greifeneder folgt ihrer Intuition. "Mich hat die Innensicht des Clans interessiert", sagt sie über 4 Blocks. "Es sollte ja kein Tatort werden." Sie muss bei einem Pay-Kanal nicht für die Quote die breite Masse erreichen. Lange spürte sie Zurückhaltung und bekam nur wenige innovative Drehbücher. Dass sie es ernst meint, wenn sie sagt, dass sich Autoren und Regisseure mehr trauen sollen, und ihnen Freiheiten lässt wie in Skandinavien und den USA üblich, hat sich inzwischen herumgesprochen. Vertrauensarbeit sei das gewesen, die sich jetzt auszahlt: In Deutschland wagen neben Netflix, Amazon und Sky auch die Fernsehsender wieder größere Serienprojekte und konkurrieren um Talente vor und hinter der Kamera.

Besonders reizen sie Stoffe, von denen andere sagen, das funktioniere nicht - deutsche Sitcom, deutsche Mystery, deutsche Gangster-Action, auch wenn sie nicht nach Genres, sondern Geschichten entscheidet. Ihr Ziel ist, möglichst lange mit jeder Eigenproduktion etwas ganz anderes zu machen. Themen, die in der Luft liegen, findet sie dagegen gefährlich: "Da muss man der Schnellste sein."

Ihr jüngstes Projekt, Arthurs Gesetz, ist die erste fiktionale Eigenproduktion für TNT Comedy, die sie zusammen mit der good friends Filmproduktion entwickelt hat. Es ist wieder anders, eine schwarze Komödie. Es ist die teuerste Serie, die Turner in Deutschland je gedreht hat, mit Jan Josef Liefers, Martina Gedeck und Nora Tschirner, Christian Zübert (Lommbock) als Regisseur und Benjamin Gutsche als Headautor. "Ich habe auf einer Seite im Exposé mehr gelacht als bei Drehbüchern für ganze Staffeln", behauptet Greifeneder. Sie weiß aber auch, dass sie nach den Erfolgen unter Beobachtung steht.

Was sie bei ihren Serien so strikt vermeidet, ist bei ihren Büchern Programm: leichte Unterhaltung

Sie selbst hat seit 2004 sechs Romane veröffentlicht, die nicht so recht ins Bild der Serienrevolutionärin passen. Ihre Liebesromane heißen "Fremd flirten", "Heute, morgen und für immer" - "Flaschendrehen" hat Sat 1 verfilmt. Was sie bei ihren Serien so strikt vermeidet, ist hier Programm: leichte Mainstream-Unterhaltung. Für Greifeneder ist das Pragmatismus. "Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, ist Schreiben für mich Entspannung, etwas, für das ich mich zurückziehen kann", sagt sie. "Mich würden auch andere Themen reizen, aber da braucht es Recherche, und zum Einarbeiten fehlt mir die Zeit." Zwei Kinderbücher hat sie unter Pseudonym veröffentlicht, ihren nächsten Roman will sie wohl wieder nicht unter ihrem eigenen Namen schreiben, um ihre Arbeit als Romanautorin und Produzentin zu trennen.

Im August startet Arthurs Gesetz, im Herbst folgt die zweite Staffel von 4 Blocks. In dieser Woche beginnen in Köln die Dreharbeiten zu Andere Eltern, einer Serie im Mockumentary-Stil mit improvisierten Dialogen. Darin gründen vier Elternpaare gemeinsam eine Kita. "Viele aktuelle Bestseller beschäftigen sich mit Helikoptereltern und generell Erziehung", sagt Greifeneder, "deswegen haben wir uns entschieden, das schnell zu machen." Ihre erste internationale Koproduktion mit HBO wird gerade gedreht: Hackerville ist eine deutsch-rumänische Serie über Cyber-Kriminalität.

Das 4-Blocks-Aquarell in der "Insel" erinnert Greifeneder an die Entscheidungen, die in nächster Zeit anstehen: Wird 4 Blocks weiter verlängert? Welche Serie kommt als nächstes? Nach den düsteren Stoffen - Arthurs Gesetz ist von geradezu österreichischem Biss - könnte sie sich auch etwas Leichteres vorstellen. Vielleicht, sinniert sie ganz ernsthaft, wird es eine "wirklich gute Liebesgeschichte", nur nichts Kitschiges. Oder vielleicht auch eine Musical-Serie im Stil von La La Land. Andere würden natürlich wieder sagen, das funktioniert nicht. Aber ihre Familie, die ohne Fernseher, war immer sehr musikalisch.

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SZ vom 02.06.2018
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