Süddeutsche Zeitung

Porträt:Ganz er selbst

Der Schauspieler und Kabarettist Wolfgang Stumph war der erste gesamtdeutsche Fernsehstar - diesen Samstag kehrt einer seiner sächselnden Jedermänner auf den Bildschirm zurück.

Von David Denk

Das Telefon klingelt, Wolfgang Stumph ist dran. "Der Wolfgang Stumph aus Dresden", sagt er, als wäre da eine Verwechslung möglich. Ob es in Ordnung sei, das Interview vorzuziehen, fragt er, sodass er später seinen Enkel von der Schule abholen könne. Das macht der 72-Jährige so oft wie möglich, seitdem er nicht mehr so viel arbeitet, um das irreführende Wort Ruhestand zu vermeiden. Es sei ihm "ganz wichtig, das zu genießen und zuverlässig zu sein", wird er später beim Italiener seines Vertrauens sagen und dabei eine Tomatensuppe löffeln. Die dunkle Sonnenbrille, die er beim Betreten des Lokals trug, hat er abgelegt. Trotz des Enkel-Dates hat Stumph reichlich Zeit mitgebracht. "Wann kriegst du schon mal die Chance, dass die Süddeutsche anreist und dir zuhört?", sagt er und wirkt auch sonst wild entschlossen, nicht mit Schmeicheleinheiten zu geizen. Er hat sogar ein Geschenk mitgebracht: eine DVD seines Dokumentarfilms HeimatLiebe. "Nicht, dass Sie denken, ich hätte die letzten Jahre geschlafen."

Das Restaurant, in dem Stumph empfängt, liegt gegenüber der Frauenkirche, was dem Gast die Chance gibt, zwei Dresdner Originalen auf einmal einen Besuch abzustatten. In seiner Eigenschaft als inoffizieller Kulturbotschafter der sächsischen Landeshauptstadt ist es für den 1946 im heutigen Polen geborenen Stumph Ehrensache, bei jeder sich bietenden Gelegenheit für die schönen Seiten seiner Heimat zu werben. Und die hässlichen eher kleinzureden. Es sei furchtbar für ihn, wenn ihn Leute auf Pegida ansprechen, sagt er. "Aber wieso wissen die das? Weil Fernsehsender und Zeitungen groß drüber berichten, und längst nicht immer differenziert."

Die "zumindest in den Chefetagen westdeutsch geprägten" Medien hätten "eine Pflanze, die im Osten im Samen vorhanden ist, immer schön gegossen. Wie die Politik haben sie nur Wirkungen bewertet, aber nicht die Ursachen analysiert." Wolfgang Stumph gefällt sich recht gut in der Rolle des schonungslosen Analysten der politischen Verhältnisse.

Kommen wir also lieber zum Grund des Besuchs in Dresden: Vier Jahre nach seinem letzten Fall ermittelt Stumph diesen Samstag wieder als Stubbe in der ZDF-Primetime. Bei dem Mainzer Sender ereignet sich derzeit Bemerkenswertes: Im Sinne einer Verjüngung werden erfahrene Ermittler in Rente geschickt, zuletzt im Frühjahr Bella Block (Hannelore Hoger) - um ihnen dann ihren wohlverdienten Ruhestand doch nicht zu gönnen. So hat das ZDF den Privatdetektiv Josef Matula (Claus Theo Gärtner) aus Ein Fall für zwei für drei bislang gedrehte Specials reaktiviert. Erneuerung ist schön und gut, die Freude über ein Wiedersehen mit bekannten Gesichtern aber auch nicht zu verachten. Damit gewinnt man keine Preise, haut keine Kritiker um, das ist Fernsehen für dankbare Bestandskunden.

Mit Wilfried Stubbe, der von 1995 bis 2014 insgesamt 50 Fälle gelöst hat, vier davon in Stumphs Heimatstadt, folgt nun ein weiterer altgedienter Publikumsliebling: Wobei Stumph Wert darauf legt, dass die Rückkehr keine Garantie fürs Weitermachen ist. Er wisse noch nicht, ob es einen weiteren Film geben werde, sagt Stumph, das mache er davon abhängig, ob ihn noch einmal ein Drehbuch so packe wie das zu "Tod auf der Insel" (Buch: Scarlett Kleint, Michael Vershinin und Alfred Roesler-Kleint; Regie: Oliver Schmitz). Die Reihe einfach so weiterzuführen, scheide aus. Mit über 70 Jahren könne man nicht behaupten, als Kommissar noch regulär im Dienst zu sein, "das wäre albern", sagt Stumph. "Und ich will wahrhaftig sein."

Auch im aktuellen "Stubbe-Special", ein Wort, mit dem Stumph und sein Dialekt ganz schön zu kämpfen haben, gibt es eine Leiche, aber der Mordfall ist eindeutig Beiwerk. "Mich hat interessiert, was Stubbe im Ruhestand macht und was der Ruhestand mit Stubbe macht", sagt Stumph. "Das Zwischenmenschliche ist mir zehn Mal wichtiger als das Mörderraten." Einigen Zuschauern geht das ihren Briefen zufolge offenbar ganz ähnlich; was ein schöner Beleg für das Eigenleben ist, das beliebte Fernsehfiguren nach einer Weile zu entwickeln imstande sind. Und so konzentriert sich "Tod auf der Insel" auf Stubbes kriselnde Beziehung zu seiner Lebensgefährtin, der Kriminaltechnikerin Marlene Berger (Heike Trinker). "Du bist erfolgreich im LKA", sagt er, "ich bin erfolglos im Ruhestand." Womit die Konfliktlinie zwischen den beiden ziemlich klar umrissen wäre.

In Sachen Erfolg braucht Wolfgang Stumph sich nicht zu verstecken - und es wäre auch nicht seine Art, dies zu tun: Mit der Komödie Go Trabi Go, die es auf knapp 1,5 Millionen Kinozuschauern brachte, wie Stumph anzumerken nicht versäumt, wurde der im Osten schon bekannte Kabarettist 1991 zu einem der ersten gesamtdeutschen Stars. "Bevor es Multiplexe gab", ergänzt er. Fortan machte er sich, beispielsweise auch mit den Sitcoms Salto Postale und Salto Kommunale, auf humoristische Weise um die Verständigung von Ost und West verdient.

Sein Jahrzehnt waren die Neunziger. Aber Wolfgang Stumph, diese "Ich-AG", wie er sich nennt, weil er keinen Manager hat und auch keinen Agenten, brauche er nicht, ist noch da, macht und tut. Nicht mehr so präsent wie früher, aber immer noch voller Energie und vor allem Sendungsbewusstsein. "Stumph-Sinn" nennt er die Moral, die er mit dem Gros seiner Filme zu vermitteln versucht. Er wolle immer sein Bestes geben, sagt Stumph, "weniger wird es von ganz alleine". Dass ihm Themen wie Umweltschutz, demografischer Wandel oder Mindestlohn offenbar wirklich umtreiben, machen seine oft großen Gesten gleich ein bisschen erträglicher.

Er ist einer der Schauspieler, die begrenzte Wandlungsfähigkeit zum Markenzeichen machen

Nicht zufällig hat Stumph über die Jahre vor allem Rollen gespielt, die so ähnlich hießen wie er, "St-Figuren" nennt er diese sächselnden Jedermänner, Struutz, Stubbe, Stankoweit, Stankowski, Strunz. Stumph ist ein Schauspieler, bei dem man nie so genau weiß, wo der Stumph aufhört und die Rolle anfängt und ob das überhaupt wichtig ist. Man könnte auch sagen, dass er einer dieser Fernsehstars ist, die ihre begrenzte Wandlungsfähigkeit zur Marke gemacht haben. "Ich habe immer versucht, das Leben aufzusaugen, als Kabarettist und dann als Schauspieler", erzählt Stumph, der für sich in Anspruch nimmt, ein bürgerliches, gewiss nicht überkandideltes Leben zu führen und kein Problem mit dem Label "Volksschauspieler" hat, ganz im Gegenteil: "Das ist die größte Auszeichnung für mich, weit vor Bambi und Goldener Kamera."

Neben seinem Soloprogramm ist sein Part in der "Fledermaus"-Inszenierung an der Semperoper das letzte verbliebene regelmäßige öffentliche Lebenszeichen des Wolfgang Stumph. Seit 2003 gibt er dort den Zellenwärter Frosch, der "spitzzüngige tagespolitische Kommentare platziert", wie es auf der Opern-Website heißt, "stets zur großen Freude des Publikums". Und nicht zuletzt zur Freude Stumphs, der sich immer noch gern einmischt. Nach der 100. Aufführung im kommenden Jahr soll trotzdem auch damit Schluss sein, "erst mal", sagt Wolfgang Stumph, als wäre ihm die Vorstellung irgendwie auch ein bisschen unheimlich, bald noch mehr Zeit für seinen Enkel zu haben.

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Quelle:
SZ vom 22.12.2018
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