Porträt:Die Fabrikantin

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An diesem Montag kommt "X-Factor" bei Sky zurück. Auch hinter dieser Castingshow steht Ute Biernat, die Frontfrau der deutschen Fernsehunterhaltung. Porträt einer Schnellarbeiterin.

Von David Denk

Wer sich auf ein Gespräch mit der Fernsehproduzentin Ute Biernat vorbereitet, dringt unweigerlich in tiefere Sedimentschichten der deutschen TV-Unterhaltung vor - so tief, dass Biernat selbst sich auch nicht mehr an die Titel aller Formate erinnern kann, die sie schon an Sender verkauft hat: Wie hieß noch gleich diese kurzlebige Boxshow für Pro Sieben im Jahr 2004? "War das nicht 'The Big Fight'? Sorry, aber das muss ich auch nachgucken." Dabei kommt raus: Die Sendung hieß Der Tag der Ehre.

Es ist ein schnelllebiges Geschäft, in dem Biernat, 58, als Geschäftsführerin der Showsparte des Produktionsriesen Ufa seit achtzehn Jahren eine wichtige Rolle spielt; seit acht Jahren verantwortet sie auch den Factual-Entertainment-Bereich mit Formaten wie Bauer sucht Frau. "Alles, was wir machen, ist leicht verderbliche Ware", sagt sie, Fernsehen für den Moment. Krimis werden ständig wiederholt, "aber kein Schwein käme doch auf die Idee, sich fünfzehn Jahre später noch mal die dritte Staffel von DSDS anzuschauen." Biernat leidet nicht darunter. Sie könnte sich nicht vorstellen, wie Fiction-Kollegen Jahre an einer Produktion herumzudoktern, sondern schätzt die kürzeren Zyklen, "weil das meinem persönlichen Tempo sehr entgegenkommt."

Schnelllebigkeit ist also die Regel in Ute Biernats Welt, Deutschland sucht den Superstar die Ausnahme. Seit dem Jahr 2002 läuft die Castingshow bei RTL, in der mittlerweile 15. Staffel: Für Biernat hat sie "eine ganz besondere Bedeutung, weil es die erste große Show war, die ich als Geschäftsführerin an den Start gebracht habe". Auf das Format lässt sie nichts kommen - zumal es sich ja gewandelt habe, nicht mehr so trashig sei wie anfangs. Das Negativ-Image stört sie ("Niemand muss das Format lieben, aber man sollte wenigstens die Arbeit wertschätzen, die dahintersteckt") - aber das gilt nicht nur für DSDS im speziellen, sondern für die TV-Unterhaltung insgesamt. "Wer zugibt, dass er gern Shows guckt und nicht nur Nachrichten und Filme, der macht sich regelrecht verdächtig."

"Ich putze immer noch gern Klinken": Ute Biernat ist Geschäftsführerin der Ufa Show und Factual GmbH. (Foto: Horst Galuschka/imago)

Von diesem Montag an macht Biernat sich selbst Konkurrenz - mit der Neuauflage des international erfolgreichen Formats X Factor. Das läuft nun bei Sky 1 und nicht mehr bei Vox wie von 2010 bis 2012. "Auf der Suche nach einer starken Marke, die auch weibliche Zuschauer anspricht" sei Sky bei X Factor fündig geworden. "Noch näher am Kandidaten und noch stärker auf die Musik fokussiert" will man 2018 sein. "In der Pay-TV-Nische können wir ein bisschen schräger, lauter und wilder sein", ist Biernat überzeugt. Dafür steht auch die Auswahl der Juroren, die bei X Factor ja nach der Castingphase, ähnlich wie bei The Voice, zu Mentoren der Kandidaten werden: Rapper Sido, Jennifer Weist von der Deutschrockband Jennifer Rostock, Singer-Songwriter Lions Head und Schlagersänger Thomas Anders übernehmen je eine der vier Kategorien für Solokünstler und Bands.

Der Ton mag ein anderer sein als seinerzeit bei Vox und erst recht als bei DSDS, wo ja eher Anfänger um flüchtigen Ruhm kämpfen und nicht mitunter gestandene Musiker wie bei X Factor - aber das Genre ist das gleiche. Eines, das viele, inklusive Ute Biernat, schon mal totgesagt haben: eine Castingshow. "Um die zehnte Staffel von DSDS herum habe ich gedacht: Eigentlich sollte man aufhören, wenn es am schönsten ist", sagt sie, der Reiz schien verblasst, aber dann hat sie doch wieder Lust bekommen, an dem Format weiterzuschrauben, weil ihr aufgegangen ist, wie universell es ist: "In unserer Gesellschaft wird ständig gecastet - auch wenn es dann vielleicht nicht so heißt, sondern zum Beispiel Assessment-Center."

Berlin, Soho House, am vergangenen Donnerstag: Sky präsentiert X Factor der Presse und Ute Biernat verfolgt die Veranstaltung aus dem Publikum. Für die Ufa sitzt CEO Nico Hofmann auf der Bühne, der gleich sagt, dass Biernat doch eigentlich die Expertin für das Format sei, was ihn nicht davon abhält, danach über das Format zu sprechen, als wäre er der Experte. Für Sky sitzt Deutschlandchef Carsten Schmidt auf dem Podium und nicht etwa die als Teil einer größeren Delegation des Pay-TV-Senders ebenfalls angereiste Programmchefin Elke Walthelm. Die einzige Frau in der Runde ist die Moderatorin.

In der Gesellschaft werde in gewisser Weise ja auch ständig gecastet, sagt Biernat über das Konzept von X-Factor (hier mit Jurorin Jennifer Weist). (Foto: Ben Knabe/Sky/Ufa)

In Ute Biernats Kölner Büro hing einmal eine Fotografie, die zwei Strumpfhosenbeine inmitten von Anzughosenbeinen zeigt. Es hängt da nicht mehr. Nicht, weil die Branche sich verändert hätte, sondern weil der Fernseher den Platz für sich beanspruchte. "Ich bin als Frau heute kaum weniger einsam in diesem Geschäft als vor fünfzehn Jahren", sagt Biernat, "aber heute macht es mir nicht mehr so viel aus." Das sei das Schöne am Älterwerden. "Ich habe auch nicht mehr so viel Panik, ob ich gut genug bin." Auch Biernat galt als Kandidatin für die Nachfolge von Unternehmenschef Wolf Bauer, den Job bekam Hofmann, was Biernat nicht gewundert hat, sagt sie. Und geärgert schon mal gar nicht.

Seit Jahren trommelt sie für eine Rennfahrer-Show, eines dieser Hirngespinste, aus denen TV wird

Statt von Potsdam aus die Geschicke der Ufa zu lenken, ist Biernat, deren Sprache und Wesen von entwaffnender ostwestfälischer Schnörkellosigkeit sind, lieber "an der Front", wie sie das nennt. Und Frontstadt der deutschen TV-Unterhaltung ist Köln. Als "Avon-Beraterin des deutschen Fernsehens" hat sie sich selbst mal beschrieben, an der Wortwahl sehe man, wie alt sie sei, "aber ich putze immer noch gern Klinken". Biernat weiß um den Ruf ihres Unternehmens als "Apotheke" - "aber wenn du groß willst, wenn du ein richtig gutes Produkt willst, dann gehst du zur Ufa".

Auch die ARD ging zur Ufa, als sie mit Thomas Gottschalk 2012 das Vorabendprogramm revolutionieren wollte. Das Ergebnis hieß Gottschalk Live, floppte und verschwand bald vom Bildschirm. Heute sagt Biernat, die sich "die größte Freundin von Selbstkritik" nennt: "Wir wollten zu schnell zu viel. Das Format war ja komplett neu und ungewohnt für den Zuschauer." Wenn sie sich etwas vorzuwerfen habe, sagt sie, dann, "dass ich nicht lange genug durchgehalten habe, alle wegzubeißen, die schon nach einer Woche mit gut gemeinten Ratschlägen auf der Matte standen". Manchmal brauche ein Format Zeit, die sich die Sender immer seltener nähmen.

Für Ute Biernat dagegen ist ein langer Atem bei aller Schnelllebigkeit die Geschäftsgrundlage. So trommelt sie seit Jahren für eine Rennfahrer-Show, die bei den Sendern bisher durchfiel. Begründung: Zu Protagonisten mit Helm könne man keine Beziehung aufbauen. "Wir haben das Format modernisiert", sagt Biernat, "ich bin schon wieder in Gesprächen." Sie könnte sich Kooperationen mit anderen europäischen Ländern vorstellen, an einem gemeinsamen Produktionsort; genau das ist ihr Job: sich viel vorstellen zu können, immer wieder aufs Neue, und nicht zu ruhen, bis aus Hirngespinsten Fernsehen wird.

Ute Biernat sagt: "Ich gehe erst in Rente, wenn es die Rennfahrer-Show gibt."

© SZ vom 27.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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