"Polizeiruf 110" im Fernsehen:Nett im Nebenbett

Der MDR hat den Mehrgenerationen-Krimi erfunden: Den beiden angejahrten Polizeirufkommissaren Schmücke und Scheider schickt er die junge Kommissarin Nora Lindner (Isabell Gerschke), die sogar Sex hat. Hinterher hat der Zuschauer das Gefühl, zwei verschiedene Filme aus zwei verschiedenen Welten gesehen zu haben. Das ist ein bisschen schizophren, aber interessant.

Claudia Tieschky

Wenn man sich anschaut, was die ARD in ihrem Programm so sendet, dann muss Deutschland eigentlich in Europa, wenn nicht weltweit, das Land mit den meisten Fernsehkommissaren sein. Überall Verbrechen. "Heiter bis tödlich" heißt zum Beispiel das neue Vorabendprogramm.

Polizeiruf 110

Auch mit Sex kann man in Deutschland noch TV-Gewohnheiten brechen: Misel Maticevic und Isabell Gerschke im Sonntagskrimi.

(Foto: MDR/Andreas Wünschirs)

Natürlich ist im öffentlich-rechtlichen Fernsehkrimi nicht echtes Verbrechen gemeint, sondern sozusagen Unterhaltungsverbrechen. Neulich hat der Regisseur Hans Steinbichler mal dagegen verstoßen und einen Münchner Polizeiruf gemacht, in dem es um einen Anschlag ging, der und in dem Verbrechen einfach Angst machte. Überhaupt kann man nach zwei Folgen den Eindruck haben, dass der neue Münchner Ermittler Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) möglicherweise Furcht zulassen kann.

Ziemlich faszinierend jedenfalls, wie man schlicht damit, Verbrechen als Verbrechen zu zeigen, die TV-Erwartungen brüskieren kann: Steinbichlers Film durfte bekanntlich nicht am Sonntagabend um 20.15 Uhr laufen.

Überhaupt aber hat der Sonntagskrimi der ARD viel dafür getan, um der eigentlich abstrusen Konstruktion des Unterhaltungsverbrechens, das noch aus der alten Bundesrepublik stammt, kreativ etwas abzugewinnen und vor der totalen Überalterung zu retten.

Zuletzt wurden im Tatort und im Polizeiruf Kommissarsrollen neu und mit hervorragenden Schauspielern besetzt, Anneke Kim Sarnau und Brandt im Polizeiruf, mit Ulrich Tukur, Joachim Król, Nina Kunzendorf, Sibel Kekilli oder Adele Neuhauser im Tatort.

Liebe gegen das Verbrechen

Man kann das alles natürlich gemütlicher angehen. Wie, das zeigt am Sonntag der MDR-Polizeiruf aus Sachsen-Anhalt. Dort ermitteln seit uralten Zeiten die älteren Herren Schmücke (Jaecki Schwarz) und Scheider (Wolfgang Winkler) mit der beruhigenden Redlichkeit von Gartenzwergen.

Das ist Zielgruppenfernsehen, an dem mit graduellen Änderungen nicht viel zu drehen ist. Aber anstatt die beiden in Rente zu schicken, erfand man beim MDR sozusagen den Mehrgenerationen-Krimi und schickte den beiden Opis eine junge Kommissarin namens Nora Lindner (Isabell Gerschke) an die Seite. Und Nora hat jetzt - so ist das mit den jungen Leuten - sogar Sex. Eine 50-Sekunden-Bettszene, mitten im Polizeiruf.

Während Kommissar Schmücke nach einer Schussverletzung im Krankenhaus liegt und den Senior par excellence gibt (aber dabei übrigens schlau wie Hercule Poirot den Fall löst), betritt irgendwo in einem Paralleluniversum Kommissarin Nora die unglaublich schicke Altbauwohnung des neuen Staatsanwalts. Misel Maticevic und Isabell Gerschke geben in diese bittersüße Love-Story tatsächlich das gewisse Etwas hinein, und dass es ernst sein muss, merkt man daran, dass der Staatsanwalt von seiner traurigen Kindheit erzählt, bevor sie sich aufeinander stürzen.

Etwas Liebe gegen das Verbrechen

Am nächsten Tag macht sie auf dem Frühstückstisch die Beine breit, etwas Liebe gegen das Verbrechen, warum nicht, aber doch für den ARD-Sonntagskrimi in dieser Art eher ungewohnt.

Es ist wirklich erstaunlich, wie konsequent Dror Zahavi (Regie) und Hans Werner Honert (Buch) das durchziehen - etwas schizophren, aber interessant: Man hat hinterher ein bisschen das Gefühl, zwei verschiedene Filme aus zwei verschiedenen Welten gesehen zu haben.

Irgendwie dazwischen haben sie eine Figur eingebaut, die mit Henry Hübchen ziemlich genial besetzt ist: Ein versiffter Pressefuzzi namens Klaue, der gern mit fremden Frauen rummacht und der den Schlüssel zur Lösung des Falls besitzt. Morgens streckt Klaue erst mal die Hand mit der Zigarette aus seinem Wohnwagen, um das Wetter zu prüfen, aber trotz dieser Vorsicht landet er am Ende im Krankenhausbett neben Herrn Schmücke. Und Schmücke war wirklich schon lange nicht mehr so gut.

Polizeiruf 110 Blutige Straße, ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

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