"Polizeiruf 110" aus München:Gegen die Zeit

Polizeiruf 110: Bis Mitternacht

Kriminaloberkommissarin Eyckhoff (Verena Altenberger) verhört den Tatverdächtigen Jonas Borutta (Thomas Schubert).

(Foto: BR/Provobis Gesellschaft für Film und Fernsehen/Hendrik Heiden)

Hochspannend: "Bis Mitternacht" ist der erste Münchner "Polizeiruf" mit Verena Altenberger als Kommissarin.

Von Heike Hupertz

22 Uhr. Alle stehen unter Druck, außer dem Mann, der womöglich der Täter ist. Es bleiben noch zwei Stunden. Elisabeth Eyckhoff (Verena Altenberger), von der Streifenpolizistin nun zur Oberkommissarin im Münchner Polizeiruf befördert, redet wie ein Wasserfall, schwitzt, rückt dem Befragten nahe, macht verbale Schlenker und versucht, mit Rekonstruktionen der Tat doch noch ein Geständnis zu kriegen. Sie spricht weiter, einfühlsam, während der mutmaßliche Überfall gezeigt wird. Ein armseliger, hochgestörter Mann im Blutrausch scheitert beim Versuch, eine Studentin zu vergewaltigen.

Die neue Oberkommissarin hat recht, mit allem, aber was nützt das ohne Beweise? Um Mitternacht läuft die Zeit ab, dann muss der Verdächtige freigelassen werden. Der Polizeiruf "Bis Mitternacht" (Drehbuch: Tobias Kniebe, Inszenierung: Dominik Graf) ist hochspannend und vorzüglich gespielt - und er nutzt dramaturgisch raffiniert, wie physikalisch gemessene und empfundene Zeit divergieren.

Einerseits Echtzeit-Fiktion kleinteiliger Polizeiarbeit, andererseits Verhör-Kammerspiel

In alldem gibt es Pausen, wie die Begegnung von Eyckhoff und Staatsanwältin Sarah Ehrmann (Birge Schade) zur Kotz- und Rauchpause auf dem Damenklo, in der beide in wenigen Worten den Sexismus am Arbeitsplatz verhandeln. Aber die Zeit läuft. Zeit, die in diesem True-Crime-Fall nach dem Buch "Abgründe: Wenn aus Menschen Mörder werden" von Josef Wilfling nicht weiter gehen darf, als es das Gesetz erlaubt. Denn das besagt, dass ein vorläufig Verhafteter nur bis zum Ende des Folgetags festgehalten werden darf. Wie gesagt, es bleiben zwei Stunden. Der Verdächtige Jonas Borutta (Thomas Schubert) redet auch. Drumherum, abstrakt, distanziert. Über seine Intelligenz und die Ahnungslosigkeit der Psychiater. Zeitverschwendung, liest man im Gesicht des Chefs Martin Schaub (Christian Baumann). Sogar der alte Hase Murnauer (Michael Roll) wird in den Dienst zurückgeholt, der Borutta vor drei Jahren als Mörder einer Joggerin laufen lassen musste.

In manchem erinnert "Bis Mitternacht" an andere herausragende Graf-Thriller, an "Er sollte tot" oder "Eine Stadt wird erpresst". Einerseits Echtzeit-Fiktion frustrierend kleinteiliger Polizeiarbeit, andererseits Verhör-Kammerspiel. Trotzdem agiert Eyckhoff intelligent und empathisch zugleich. Sie und Murnauer geraten nicht aneinander, statt "Lonely Wolf"-Attitüden arbeiten da eine Frau und ein Mann, zwei fokussierte Verhörspezialisten, als Team zusammen. Dass es Eyckhoff unter den Verschnarchten auf dem Revier (zuletzt zu sehen in "Frau Schrödingers Katze") nicht mehr lange aushält, war klar. Aber so ein fulminanter Einstand im Präsidium, das ist ein unerwarteter Glücksfall.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

Der Drehbuchautor Tobias Kniebe, ist Redakteur des SZ-Feuilletons, Heike Hupertz freie Journalistin.

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Titel: Polizeiruf 110: Der Ort, von dem die Wolken kommen Untertitel: Szenenfoto

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