Süddeutsche Zeitung

"Polizeiruf 110" aus München:Alle wollen ausbrechen

"Kreise" ist der erste Sonntagskrimi von Regisseur Christian Petzold. Darin ist der Münchner "Polizeiruf"-Kommissar von Meuffels viel mit seiner neuen Kollegin im Auto unterwegs - aber nicht für lange Zeit.

Von David Denk

Die Chefin ist tot, aber sonderlich traurig wirkt niemand aus der Belegschaft, im Gegenteil. "Natürlich hatte die Hoffer Feinde", sagt der Produktionsleiter (Sascha Alexander Gersak). "72 davon sind mir persönlich bekannt."

Die einzige, die der ermordeten Möbelfabrikantin nachtrauert, ist die Tierärztin. Claudia Hoffer war eine Hundenärrin. Ihr Kläffer namens Werfel, nach dem sie ihre Firma Hoffer & Werfel getauft hat, liegt tot neben ihr, notdürftig verscharrt auf einer Waldlichtung im Münchner Umland. Schnell gerät der Exmann der Toten, Peter Michael Brauer (Justus von Dohnányi), unter Verdacht. Sie hat ihn gedemütigt, er hat sich nicht gewehrt. Oder am Ende vielleicht doch?

"Kreise" ist der neunte Fall für Kriminalhauptkommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) - und der erste Polizeiruf 110, den Christian Petzold geschrieben und inszeniert hat, sein erster Sonntagskrimi überhaupt. "Das war eine Entscheidung speziell für diesen Polizeiruf, für Matthias, für Meuffels", sagt Petzold. Der sei eine "fantastische Gestalt, die wie aus der Erinnerung kommt, aus den 70ern, aus der zersiedelten alten Bundesrepublik."

Petzold muss der Ermittlerfigur ihren Willen lassen - "Die ist widerständig"

Wenn einer der bekanntesten deutschen Autorenfilmer Lust auf eine Fernsehfigur bekommt, ist das nicht zuletzt ein Kompliment für den BR und Redakteurin Cornelia Ackers, die, ähnlich konsequent wie die Tatort-Redaktion vom HR, das Krimi-Genre von Fall zu Fall weiterentwickelt. Nach Regisseuren wie Dominik Graf, Hans Steinbichler und Jan Bonny dreht derzeit Marco Kreuzpaintner (Krabat, Coming In) den Film "Die Gedanken sind frei". Der Formatpflege der Redaktion wie auch dem Hauptdarsteller Brandt und den exzellenten Drehbüchern, darunter allein drei von Günter Schütter, ist es zu verdanken, dass dieser Hanns von Meuffels dem Zuschauer zwar von Film zu Film vertrauter wird, aber ein Restgeheimnis bewahrt. Er ist nicht so und so, sondern so, aber eben auch anders - je nach Situation, in die er von den Autoren geworfen wird.

Nach den aufwendigen historischen Produktionen Barbara und Phoenix habe er es genossen, beim Polizeiruf ein Gerüst vorzufinden, sagt Petzold. "In jedem Kinofilm muss ich eine Welt komplett neu errichten. Hier musste ich mich zu etwas, was es schon gibt, in Beziehung setzen und damit arbeiten." Dazu gehöre auch, der Ermittler-Figur ihren Willen zu lassen: "Die ist widerständig."

Es ist natürlich trotzdem ein Petzold-Film geworden - eine Studie über die Einsamkeit von Mittfünfzigern im Krimi-Gewand, über ihre Enttäuschungen und Sehnsüchte. In "Kreise" wird Meuffels unterstützt von der Hamburger Kollegin Constanze Hermann (Barbara Auer), die nach ihrer Alkohol-Entziehungskur einen Neuanfang sucht. Petzolds Handschrift ist unverkennbar: Ein Mann möchte sein verhunztes Leben hinter sich lassen, zwei Kommissare nähern sich an, um sich schließlich diese Nähe zu versagen. "Alle wollen ausbrechen aus ihren Kreisen, aus Mustern und Routinen", fasst Petzold zusammen, "scheitern aber an ihren Ängsten."

Für Barbara Auer ist es bereits die dritte Zusammenarbeit mit Petzold. Nach einer Hauptrolle im RAF-Drama Die innere Sicherheit (2000) und einem Mini-Part in Yella (2007) habe er ihr bei einem ihrer sporadischen Aufeinandertreffen versprochen, bei seinem geplanten Polizeiruf an sie zu denken, erzählt Auer. "Wenn Christian das sagt", so ihre Erfahrung, "dann kann man sich darauf verlassen." Mit Petzold verbindet sie eine ähnliche Sozialisation, sie ist Jahrgang 1959 , er 1960: "Wir wissen gegenseitig voneinander, wovon wir sprechen, teilen eine Sicht auf die Welt und - so komisch das klingt - eine gewisse Moral, auch wenn Christian protestantisch geprägt ist und ich katholisch."

Der kulturelle Referenzrahmen von "Kreise" sind die (späten) 70er-Jahre, die Zeit, in der die am Film Beteiligten jung waren - "I'm Not in Love" von 10cc, Modelleisenbahnen, Musikboxen. Beabsichtigt sei das nicht gewesen, sagt Petzold, "das hat sich so reingeschlichen." Wichtig ist ihm aber, dass es "keine Retro-Geschichte" ist. Die Protagonisten leben im Hier und Jetzt, aber wärmen sich auch mal an der Erinnerung, wie bei einem Klassentreffen.

"Hanns", bietet Meuffels der neuen Kollegin nach anfänglicher Skepsis an.

Hermann: "Constanze."

"Die Beständige."

"Schön wär's."

"Sollten Sie nicht beständig sein?"

"Meine Mutter liebte Modezeitschriften: Petra, Brigitte, Sibylle und eben Constanze."

"Sibylle war DDR."

"Sie kennen sich aus."

"Meine Mutter las auch Modezeitschriften."

"Was ist Hanns denn für 'ne Zeitschrift", fragt Hermann und freut sich über ihren Scherz, Meuffels lächelt. Es sind Dialoge wie dieser, welche die besondere Klasse und Tiefe von "Kreise" ausmachen. Man kommt den Figuren sehr nah. An der Stelle habe auch das Team beim Dreh gelacht, erzählt Petzold. "Alle haben gespürt: Das ist jetzt wirklich. Da lachen die Schauspieler aus den Figuren heraus."

Wie in vielen Petzold-Filmen sitzen auch in "Kreise" die Protagonisten ständig im Auto. Das spiegele zum einen die Lebenswirklichkeit der meisten Deutschen, sagt Petzold, zum anderen mag er "das Somnambule" daran, die Stimmung und Nähe, die entsteht, wenn Menschen stundenlang auf engstem Raum nebeneinandersitzen, ohne sich anzugucken. "Das Auto ist auch eine erotische Kapsel."

Petzold hat schon Ideen für den nächsten "Polizeiruf"

Der Zuschauer gönnt den Kommissaren die sich anbahnende Liebesgeschichte von Herzen, doch dazu kommt es nicht: Noch bevor der Fall gelöst ist, flüchtet Hermann zurück nach Hamburg. "Meiden Sie Kontrollverlust! Suchen Sie sich eine sichere, Ihnen vertraute Umgebung!" zitiert sie aus ihrer Therapiegruppe. "Sie glaubt, sich dadurch zu retten", sagt Auer. Eigentlich sei Hermann eine "sehr couragierte Frau, die sich aber so kurz nach der Therapie selbst noch nicht wieder über den Weg traut." Meuffels ist verletzt, zieht Luft durch die Nase ein, presst die Lippen aufeinander und sagt: "Alles klar." Was natürlich das Gegenteil bedeutet. Als er sie am Hotel absetzt, bittet sie um eine letzte gemeinsame Zigarette. Doch Meuffels macht dicht, Hermann küsst ihn auf die Wange und ist weg.

"Irgendwie waren wir auch traurig, dass es so geendet ist", sagt Auer. Das Gefühl war: Da fehlt jetzt noch was." Das sah Petzold offenbar ähnlich. Noch am Set habe er den Schauspielern - im Auto natürlich - die Idee für einen zweiten gemeinsamen Fall vorgestellt, "eine Werwolf-Geschichte aus dem Chiemgau." Das Buch ist schon fertig, die Dreharbeiten sind für Ende des Jahres geplant. Allzu große Hoffnungen auf ein Happy End sollte man sich aber besser nicht machen.

Polizeiruf 110: Kreise, ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 26.06.2015
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