Polit-Talk mit Stefan Raab:Absurde Mehrheit für Sido

Dumm gelaufen: Bei der dritten Ausgabe von Stefan Raabs Polit-Show "Absolute Mehrheit" holt ausgerechnet ein Rapper den Jackpot. Die Zuschauer bescheren Sido einen Gewinn von 300.000 Euro. Das hat allerdings eher wenig mit seinen politischen Ansichten zu tun.

Eine TV-Kritik von Thierry Backes

An Pointen wie dieser hat Stefan Raab seine Freude. Da sitzen vier Berufspolitiker in seiner kleinen Talk-Runde und diskutieren über eine Legalisierung weicher Drogen, das Wahlrecht mit 16 und die Millionengehälter von Managern. Doch was auch immer sie tun, um die titelgebende "Absolute Mehrheit" zu erreichen: Es nützt nichts. Der Berliner Rapper Sido, der zwischen ihnen auf dem braunen Sofa im Kölner Studio Platz genommen hat, hat eine breite Fan-Basis unter den jungen Pro-Sieben-Zuschauern. Dagegen kommt kein Argument an.

Am Ende stimmen 56,5 Prozent für den Mann, der 2004 mit Mein Block berühmt wurde und der nun der erste ist, der bei einer politischen Talkshow im deutschen Fernsehen Geld gewinnt. 300.000 Euro nimmt Paul Würdig alias Sido mit nach Hause. Was er damit zu tun gedenkt, hat er noch nicht mitgeteilt, weder im Fernsehen noch auf Facebook oder auf Twitter. Im Fernsehen, muss man fairerweise erwähnen, hat er dazu auch keine Gelegenheit gehabt: Als Raab ihm den Koffer mit einem schelmischen Grinsen und den Worten "Da muss 'ne alte Frau viel rappen für" übergibt, ist die Sendezeit schon rum.

Die entscheidende Frage ist ohnehin eine andere: Wenn nicht die Argumente zählen, sondern die Popularität der Beteiligten, was hat dann eine politische Talkshow für einen Sinn, die eben jene Popularität mit einem Gewinn belohnt?

Um das gleich klarzustellen: Es ist nicht so, dass Sido die Zeit im Fernsehen bloß abgesessen hätte, ohne eine Meinung zu vertreten. Im Gegenteil: "Ich bin dafür, dass es für Gras gewisse Regeln gibt", sagt er in der Debatte um die Legalisierung von Cannabis. Für den Umgang mit Alkohol gebe es schließlich auch Gesetze, das Saufen finde er aber viel schlimmer als das Kiffen. Ergo: "Entweder man verbietet Alkohol und Tabak oder man ändert die Grasgesetze." Zum Thema Wahlrecht mit 16 meint der Rapper: "Ich würde ja sagen, dass es überhaupt kein Mindestalter gibt. Man geht nicht wählen, ohne dass man sich Gedanken gemacht hat."

"In Deutschland wird mehr gekifft als in Holland"

Das sind klare Positionen, aber keine, die Sido von den anderen Diskussionsteilnehmern so sehr unterscheiden, dass sie das klare Endergebnis erklären könnten. Auch Caren Lay, die stellvertretende Vorsitzende der Linken, setzt sich etwa für einen "entspannteren Umgang mit Cannabis" ein: "Das Verbot bringt nichts, in Deutschland wird mehr gekifft als in Holland." Auch sie traut 16-Jährigen zu, eine vernünftige Entscheidung an der Wahlurne zu treffen. Für Lay rufen in der letzten Runde aber nur 18,3 Prozent der Zuschauer an, Platz drei.

Zweiter wird der gesundheitspolitische Sprecher der CDU im Bundestag, Jens Spahn. Er und Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln (SPD), argumentieren auf einem ungleich höheren Niveau als Sido. Spahn etwa, wenn er im Wahlrecht mit 16 kein Allheilmittel gegen Politikverdrossenheit sieht. Buschkowsky, wenn er zur Cannabis-Legalisierung sagt: "Die Gesellschaft muss aufpassen, dass sie sich nicht zu Tode liberalisiert." Das alles muss man dem Rapper nun nicht vorwerfen, es zeigt aber, dass die Politshow schnell zur Farce wird, wenn sich nicht vier oder fünf ebenbürtige Politiker auf Stefan Raabs Couch gegenübersitzen.

Sieht man von dieser Problematik ab, war die dritte Ausgabe von "Absolute Mehrheit" die bisher wohl am wenigsten chaotische. Raab ist seinem erfrischend frechen Moderationsstil treu geblieben. "Wer von Ihnen hat noch nie gekifft?", fragt er gleich am Anfang in die Runde. Als Boris Palmer, der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, als Einziger die Hand hebt, sagt Raab: "Sie haben noch nie gekifft? Ihre Partei ist doch beim Kiffen entstanden!"

Angenehm fällt auch auf, dass der Moderator nicht mehr hyperventiliert und die Diskussion abwürgt, wenn jemand länger als 20 Sekunden spricht. Ja, ein- oder zweimal wünscht man sich sogar, dass er dazwischen grätscht, wenn etwa Jens Spahn wieder einen Beitrag von Caren Lay torpediert. So fühlt man sich fast schon in einer Talkshow bei einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt.

Bleibt die Frage: Ist Stefan Raab gerüstet für das Kanzlerduell im Spätsommer? Schwer zu sagen. Diesmal haben ihn die Diskutanten nicht herausgefordert. Wobei, doch, einmal: Als Caren Lay ihn fragt, wie viel Geld er denn verdiene, zeigt Raab seine Schlagfertigkeit: "Ich rede dummerweise nicht über Privates."

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