Süddeutsche Zeitung

Podcasts:Netflix für die Ohren

Streamingdienste wie Spotify setzen immer mehr auf Podcasts wie "Fest & Flauschig". Entsteht bald ein Pay-Radio im Internet?

Von Benedikt Frank

Die Welt der Streamingdienste Spotify, Deezer & Co. ist bislang eine Welt der Musik gewesen, doch ausgerechnet dort scheint das gesprochene Wort derzeit das Medium der Stunde zu sein. Seit März etwa unterhalten sich die Moderatorin Sarah Kuttner und der Medienjournalist Stefan Niggemeier bei Deezer über das Fernsehen, Anfang Juli startete das nächste Format, das nichts mit Musik zu tun hat: Im True-Crime-Podcast Das Böse geht es in je fünf etwa fünf- bis zehnminütigen hörspielartigen Folgen um deutsche Kriminalfälle. Und der große Konkurrent Spotify will von nun an wöchentlich mit Clarify Jugendlichen Politik nahebringen. In dem Projekt, das gemeinsam mit dem öffentlich-rechtlichem Jugendangebot Funk entsteht, spricht die Moderatorin und Rapperin Visa Vie mit Musikern über aktuelle Themen für Erstwähler.

Der große Scoop gelang, als man 2016 Jan Böhmermann und Olli Schulz vom RBB abwarb

So unterschiedlich die Angebote inhaltlich auch sein mögen, ihnen ist gemeinsam, dass es sich um eigene Produktionen der jeweiligen Streamingdienste handelt - und somit eine neue Strategie der Anbieter bedeuten. Denn all die neuen Podcasts können zunächst nur über die Plattformen der Dienste angehört werden. Deezer macht Das kleine Fernsehballett zwar auch über eine externe Website von Kuttner und Niggemeier zugänglich - um bequem unterwegs auf dem Smartphone zu hören, kommt der Hörer aber nicht daran vorbei, sich Deezers App zu installieren und den Dienst für knapp zehn Euro im Monat zu abonnieren; bei Spotify läuft es ähnlich. Da die Streamingdienste ihre eigene, geschlossene Infrastruktur zur Verbreitung von Podcasts mitbringen, könnte das der Beginn einer Art Bezahlradio im Netz sein. Gibt es also bald Netflix für die Ohren?

Noch vor zehn Jahren waren Podcasts, also online abonnierbare Audioangebote, etwas für Enthusiasten, die sich oft stundenlang in improvisierten Talkshows über alles mögliche ausließen. All das gibt es nach wie vor, doch die Szene hat sich längst professionalisiert und produziert immer öfter auch aufwendigere Formate. Nicht nur die Streamingdienste wissen, dass sich mit besonderen Audioinhalten im Netz Geld verdienen lässt. Wer nicht nebenberuflich aus purer Liebhaberei podcastet, finanziert sich heute etwa durch Spenden seiner Hörer oder lässt sich sponsern.

Die Streamingdienste befördern aber nicht nur Kommerzialisierung, sie greifen auch ein Paradigma an. Noch sind Podcasts meist sehr leicht zugänglich, da die Produzenten ihre Audiodateien in der Regel bei verschiedenen Diensten hochladen. Für die Hörer bedeutet das, dass sie sich an keinen bestimmten Anbieter binden müssen. Die Technik der Streamingdienste, Hörbares kopiergeschützt nur über die eigene Website und Software zu verbreiten, bietet nun aber die Möglichkeit, Podcasts zu exklusiver Ware zu machen.

Hören im Abo

Ein Standard-Abo bei Spotify oder Deezer, den größten Anbietern beim Musikstreaming, kostet etwa zehn Euro, im gleichen Rahmen bewegen sich die Angebote der IT-Riesen Apple Music, Google Music oder Amazon Music, bei denen sich auch einzelne Titel kaufen lassen. Das Musikangebot unterscheidet sich bei den Konkurrenten kaum, Klassikfans und die Hörer exotischerer Bands und Genres sollten aber prüfen, ob sie bedient werden; auch für Hörbuchhörer kann sich ein Vergleich lohnen. Alle Anbieter bieten Apps für Apple und Android-Smartphones an. Nur wer sein Musikabo mit einer speziellen Hifi-Anlage, drahtlosen Lautsprechern oder dem Autoradio vernetzen will, muss aufpassen: Manche Hersteller haben einzelne Dienste in ihre Produkte integriert, andere funktionieren dann nur kompliziert oder gar nicht. SZ

Der große Scoop dazu gelang Spotify im Mai vergangenen Jahres. Der Streamingdienst schnappte dem RBB Jan Böhmermann und Olli Schulz mit ihrem dort als Sanft & Sorgfältig gestartetem Talkformat weg und machte daraus Fest & Flauschig bei Spotify. Der Einkauf hat sich gelohnt: Fest & Flauschig sei der weltweit erfolgreichste Podcast des Unternehmens, heißt es bei dem Streamingdienst.

Weitere deutschsprachige Podcast-Formate hatte man bei Spotify dennoch nicht nachgelegt - bis jetzt. Der Konkurrent Deezer war da fleißiger: Zur Fußball-EM 2016 starteten dort gleich zwei Sendungen, Der 13. Mann mit Micky Beisenherz und Mesut & Jerome mit Buddy Ogün. Dieses Jahr wollen sowohl Deezer als auch Spotify weitere deutschsprachige Podcast-Formate starten, erklären die Anbieter auf Nachfrage. Für die Anbieter ist das Kalkül klar: Ein Podcast-Fan soll möglichst bald ein Abo bei einem Musikstreamingdienst brauchen, um an die angesagten Inhalte zu kommen, wie eben heute bereits bei Netflix, wenn es um die neuen TV-Serien geht. Noch ist das nicht nötig und es spricht einiges dafür, dass die Anbieter von Audiostreaming nicht einfach kopieren können, was im Videobereich heute schon funktioniert.

Sowohl Spotify als auch Deezer setzen auf sogenannte Freemium-Modelle. Musik kann ebenso wie die exklusiven Podcasts kostenlos gehört werden. Durch ein Abo erkaufen sich die Nutzer Komfortfunktionen, man kann die Titel mobil offline speichern, bekommt eine bessere Audioqualität oder Werbefreiheit. Wer Böhmermann hören will, muss also zu Spotify, aber nicht unbedingt dafür bezahlen.

Podcasts bieten den Streamingdiensten ein Alleinstellungsmerkmal

Gegen Pay-Radio als Geschäftsmodell spricht auch die Dominanz der öffentlich-rechtlichen Audioproduktion in Deutschland. Die ARD verwertet ihre Radiosendungen online als Podcast, mehr als 900 Formate können in der Radio-Mediathek kostenlos angehört werden. Welcher Inhalt kann da so herausstechen, dass ein Hörer dafür zahlen würde? Bisher herrscht Koexistenz: Podcasts der ARD kann man ebenso bei den Streamingdiensten hören. Die Öffentlich-Rechtlichen gewinnen so Reichweite beim jüngeren Publikum. Für die Streaminganbieter sind die Inhalte der ARD nicht nur wichtig, um die eigenen Kunden bei ihrem Angebot zu halten, sie können aus den Abrufzahlen auch lernen, welche Themen bei Eigenproduktionen gut funktionieren könnten.

Spotify und Deezer wollen sich bislang durch ihre Podcasts vor allem voneinander unterscheiden. Denn beim Musikangebot ist Distinktion kaum möglich: Die Charthits gibt es bei allen Anbietern, die Klassiker auch. Per Podcast können die Streamingdienste eigene Inhalte anbieten, die es im besten Fall nirgends sonst so ähnlich gibt. Mit prominenter Besetzung lässt sich zudem Aufmerksamkeit für die eigene Marke schaffen.

Während diese Podcasts derzeit noch eher Werbemaßnahmen für die Musikstreamingdienste sind, schlägt der Alleshändler Amazon übrigens einen anderen Weg in Richtung Bezahlradio ein. Der Online-Riese sicherte sich kürzlich die Livestreaming-Rechte für alle Spiele der Fußballbundesliga und des DFB-Pokals. Ein Angriff auf die öffentlich-rechtliche Radioberichterstattung, den nur die eigenen Abonnenten zu hören bekommen werden.

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Quelle:
SZ vom 01.08.2017/jbee
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