Dr. Sommer Sprechstunde
Beipackzettelhinweis vorweg: Leise drehen. An Dr. Sommers Sprechstunde klingt erst mal einiges überdreht, zumindest für Hörer jenseits des Zielgruppenalters. Die Wummermusik im Intro und die kieksgute Moderatorinnenlaune zum Beispiel. Trotzdem stellt sich rasch das Gefühl ein, mit dem die einstige Kult-Jugendzeitschrift Bravo in den Neunzigern heimlich im Klassenzimmer weitergereicht wurde: Da wird Intimstes besprochen, da wird beantwortet, was man sich nicht zu fragen traut, da ist nix peinlich, und skurrile Details gibts obendrauf. Der im Herbst gestartete Podcast basiert auf der fünfzig Jahre alten Dr.-Sommer-Kolumne, in der ein Expertenteam Teenagerfragen zu "Liebe, Sex und Zärtlichkeit" beantwortet. In den ersten drei Folgen geht es um Selbstbefriedigung, dann erzählen eine Gynäkologin und eine Urologin, was junge Leute beim ersten Arztbesuch erwartet. Beide so lässig, dass man sich direkt ins Wartezimmer setzen würde. Von Laura Hertreiter
#zukunftschule
Befassen sich junge Eltern mit der Schule und meinen, seit ihrer Zeit habe sich nicht viel getan, dann vergleichen sie besonders engagierte pädagogische Konzepte oder besuchen Schnuppertage. Matthias Leitner lanciert einen Podcast. Die Tochter des BR-Journalisten hat noch viele Monate Zeit bis zur Einschulung, Leitner und sein Team hinterfragen aber schon mal das deutsche Bildungssystem. "Bildung mit Weitblick" ist der Anspruch des BR-Podcasts #zukunftschule. Leitners Team will Impulse setzen, damit Eltern, Kinder und Lehrer gemeinsam über die Schule der Zukunft diskutieren - fernab üblicher Denkmuster. Das Ergebnis sind Plaudereien mit Host Denise Lapöck und staunenden Reportern, die von Besuchen in ungewöhnlichen Schulen oder bei Fridays-for-Future-Demos erzählen. Bildungsforscher dürfen das Establishment mit ihren Thesen provozieren, Lehrer vom Realitätsschock nach der Uni erzählen. Neu ist das Konzept nicht, aber erfrischend-fröhlich und unterhaltsam. Von Anna Günther
The Catch and Kill Podcast
podcasts.apple.com und spotify.com
In seinem Buch Catch and Kill (auf Deutsch Durchbruch) arbeitet der amerikanische Anwalt und Journalist Ronan Farrow seine Enthüllungen des Weinstein-Skandals auf. Nun legt er mit einem Podcast nach - wer jetzt gleich "Auch das noch" denkt, irrt. In den englischsprachigen Podcast fließen Originalaufnahmen aus dem Weinstein-Prozess ein sowie aktuelle Interviews mit den Beteiligten. Das ist noch einmal aufregender als das Buch, weil lebendiger. Ins Zentrum jeder Folge stellt Farrow einen Protagonisten.
Anders als in der Hörbuchversion von Catch and Kill, in der Farrow etwa einen ukrainischen Akzent selbst imitiert, lässt er im Podcast die Originale zu Wort kommen. Die reflektieren noch einmal, was passiert ist und gehen über ihre Aussagen im Buch hinaus. Das italienische Model Ambra Gutierrez erzählt, wie sie sich nach Übergriffen Weinsteins an die Polizei wandte und zu hören bekam: "Again?", also "Wieder?". Dann hört man Weinstein, der Gutierrez anweist zu warten, er gehe duschen - sie war von der Polizei verdrahtet worden. Der Podcast, kurzweiliger als das Buch, ist eine Hommage an die Mutigen, die sich gegen Weinstein gestellt haben. Von Carolin Gasteiger
Zündstoff
Franziska Engelhardt erzählt, gemeinsam mit ihrer Kollegin Stefanie Müller-Frank, die Geschichte ihres Vaters. Es ist die eines Messis, der mit seiner Sammelwut die Mitbürger in Knonau im Kanton Zürich gegen sich aufbringt, mehr und mehr zum Querulanten wird, wegen Morddrohungen in Untersuchungshaft kommt - und nun erst recht einen Kampf "Einer gegen alle" führt. Engelhardt ist in einer schwierigen Situation, weil sie persönlich involviert ist, emotional sowie finanziell, über ihr Erbe, das der Vater aufs Spiel setzt. Gerade weil sie die Tochter des Störenfriedes ist, sind etliche Beteiligte jedoch bereit zu reden - einer Fremden hätten sie sich womöglich nicht offenbart. Am Ende steht vor allem Mitleid mit einem, der sich verrannt hat im Leben. Entstanden ist der Podcast für das schweizerische Journalismus-Projekt Die Republik, der WDR hat unter dem Titel Knonau reichts inzwischen eine hochdeutsche Adaption produziert. Von Stefan Fischer
The Missing Cryptoqueen
Der Dauereinsatz bulgarischer Frauenchorgesänge ist etwas nervtötend in dem sonst hörenswerten Podcast. Vielleicht soll er für das schreiende Unrecht stehen, das Dr. Ruja Ignatova bei ihrem Verschwinden 2017 hinterlassen hat. Vier Milliarden Euro hatten Anleger laut BBC bis dahin in die angebliche Kryptowährung OneCoin investiert, wo das Geld geblieben ist - unbekannt. Die BBC-Journalisten Jamie Bartlett und Georgia Catt recherchieren die Hintergründe dieses spektakulären Betrugsfalls und fragen, was Menschen zwischen Schottland und Ruanda dazu brachte, an OneCoin zu glauben. Dr. Ruja versprach in gigantischen Shows Reichtum für Arme, für Menschen ohne Bankzugang, für Menschen, die, wie sie es nannte, Teil der "Familie" wurden. Auch der Journalist Bartlett hat Familie. Die beste Idee des Podcasts ist der "Jamies-Mom-Test". Was eine Blockchain ist? Anruf bei der Mama, denn auch sie muss es verstehen. Die Wissensvermittlung zum Thema Kryptowährung ist hier perfekt geerdet. Von Claudia Tieschky
Sekten & Kulte - Im Namen des Bösen
Im Herbst 1988 verkündete in Kirtland, Ohio der selbsternannte Prophet Jeffrey Lundgren den Anhängern seiner Glaubensgemeinschaft "Community of Christ": Er habe aus der Heiligen Schrift erfahren, dass er die Gottlosen unter ihnen töten müsse. Prompt ermordete Lundgren, mithilfe einiger ihm Höriger, fünf Mitglieder. Dem sogenannten Kirtland Kult widmen sich die ersten beiden Episoden des von Parcast für Spotify produzierten Podcasts, der immer dienstags mit neuen Folgen erscheint. Was bewegt Menschen, einer Sekte beizutreten und im schlimmsten Fall für sie zu töten? Und was geht im Kopf von Sektenführern vor? Diesen Fragen gehen Diane Hielscher und Sebastian von Dagow auf den Grund. Von Johanna Hinterholzer