Süddeutsche Zeitung

Podcasts-Tipps im März:Das sind die Podcasts des Monats

Aufnahmen vom 1. Auschwitz-Prozess, eine Recherche zum Waffenbesitz sowie Rassismus und Korruption rund um die Chippendales: unsere Empfehlungen für März.

Von SZ-Autoren

Podcast zum 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess

landesarchiv.hessen.de

Der sechsteilige Podcast des Hessischen Landesarchivs hat nicht einmal einen wirklichen Titel. Und man tritt dem Wiesbadener Archivar Johann Zilien nicht zu nahe, wenn man seine Vortragskünste bescheiden nennt. Kurz: Die Präsentation könnte professioneller sein. Nur: Ein knackiger Name und ein eloquenter Vortrag sind Nebensächlichkeiten. Zentral ist der beachtenswerte Inhalt. Vor deutschen Gerichten gilt das Prinzip der Mündlichkeit. Doch im 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess, in dem von 1963 an ehemalige SS-Mitglieder wegen Mordes angeklagt waren, wurden Aussagen auf Tonband aufgenommen. Seit 2017 sind die mehr als 400 Stunden umfassenden Mitschnitte Teil des Weltdokumentenerbes und im Netz zugänglich (auschwitz-prozess.de). Johann Zilien hat nun einige exemplarische Tondokumente ausgewählt, die er kontextualisiert. Und so vermittelt er innerhalb einer Stunde einen anschaulichen Eindruck von der Atmosphäre vor Gericht in diesem für die Bundesrepublik so wichtigen Strafverfahren. Stefan Fischer

Wie bewaffnet ist Deutschland?

detektor.fm

Wissen Sie, wie bewaffnet Ihre Nachbarschaft ist? Wahrscheinlich nicht. Und bis jetzt war es schwer, darauf eine Antwort zu bekommen. Leichter wird es durch die enorme Recherchearbeit des Internetradios und Podcastlabels detektor.fm in Zusammenarbeit mit Studierenden des Masterstudiengangs Journalismus an der Universität Leipzig. Sie haben 541 Waffenbehörden angefragt und Interviews mit Polizisten, Politikerinnen, Schützen, Waffenexpertinnen, Wissenschaftlern sowie Behördenmitarbeiterinnen geführt. In vier tendenziell zu kurz geratenen Folgen à zehn Minuten, die eine Sonderreihe innerhalb des Podcasts Zurück zum Thema bilden, schildern sie journalistisch transparent und pointiert den Rechercheprozess und unterfüttern die Daten mit zum Teil beunruhigenden O-Tönen. So viel darf gespoilert werden: Es ist leichter, die Zahl der gemeldeten Cabrios mit mehr als 150 PS herauszufinden, als zuverlässige Angaben darüber, wer wo welche und wie viele Waffen besitzt. Das kann man nun auf der zugehörigen Website nach Landkreisen aufgeschlüsselt sehen. Lina Wölfel

Welcome to your fantasy

open.spotify.com

Allein die Anekdoten sind den Podcast wert. Wie eine Gruppe brustmuskelbeölter Stripper in Los Angeles 1979 auf ausschließlich weibliches Publikum traf, wie dieses "Zieh es aus" rief und irgendwann auch "Wir wollen Fleisch". Wie Gründer Somen "Steve" Banerjee, ein Fan von Hugh Hefner, die Tänzer als Äquivalent zu den Playboy-"Bunnies" konzipierte. Und wie diese Stripper mit ihren Fönwellen, Schnauzbärten und Terminator-Körpern den Zeitgeist trafen. In acht Episoden - auf Englisch - erzählt die Historikerin und Fitnesstrainerin Natalia Petrzela die Geschichte der Chippendales, der berühmtesten Männerstrippgruppe der Welt - und lässt auch die zu Wort kommen, die damals dabei gewesen sind. Nicht ohne für die Hörer zu korrigieren, wenn die eine oder andere Erinnerung vom vergangenen Ruhm vernebelt wurde. "Am ersten Abend, an dem wir die Nummer brachten, fielen alle Frauen in der ersten Reihe in Ohnmacht", glaubt einer sich zu erinnern. Petrzela stellt klar: stimmt nicht. Welcome to your fantasy ist kein nostalgischer Podcast, sondern pures True-Crime. Denn hinter der glitzernden Fassade aus Sex, Drogen und ganz schön viel Geld verbargen sich Korruption, Rassismus, Kämpfe um Macht und Mord. Carolin Gasteiger

Das Djatlow-Massaker

ardaudiothek.de

Was macht man, wenn eine Geschichte so schaurig-grauenvoll und rätselhaft, kurz: so groß ist, dass es eigentlich nicht mehr als der Wirklichkeit bedarf, um Zuhörer zu bannen? Sie als groben Rahmen verwenden? Einfach die Fakten rekapitulieren? Sie gar zusammenkürzen? Ende Februar 1959 werden die Leichen von neun jungen Skitourengehern am später so genannten Djatlow-Pass im nördlichen Ural gefunden, mit zertrümmerten Schädeln, gebrochenen Rippen, verbranntem Fleisch. Einem Opfer fehlen Augen und Zunge; die wenigen Kleidungsstücke der bei minus 30 Grad barfuß und halbnackt aus dem Zelt geflüchteten Bergsteiger weisen radioaktive Substanzen auf. Das Unglück zieht eine im Mai 1959 eingestellte Untersuchung nach sich und inspiriert Fantasten. Waren es die indigenen Mansi, Kernwaffentests, der Yeti, Außerirdische? Oder doch nur eine Lawine? Robert Weber hat für seinen neunteiligen, von Zeitsprüngen geprägten Hörspiel-Podcast eine Figur erfunden, den fiktiven Sohn des Expeditionsleiters Igor Djatlow, der als Journalist im Jahr 1989 an den Schauplatz reist, um herauszufinden, was geschehen ist. Ein Entschluss, den Djatlow jun. bald bereuen wird. Dominik Prantl

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