Podcast "Jack":Der Mörder und seine Fans

Podcast "Jack": Erst verurteilter Mörder, dann geläuterter Literat? Jack Unterweger am 20. April 1994, als in Graz der zweite Prozess wegen der Tötung von elf jungen Frauen gegen ihn beginnt.

Erst verurteilter Mörder, dann geläuterter Literat? Jack Unterweger am 20. April 1994, als in Graz der zweite Prozess wegen der Tötung von elf jungen Frauen gegen ihn beginnt.

(Foto: EPA/AFP)

Elfriede Jelinek und Günter Grass setzten sich für ihn ein: Ein True-Crime-Podcast arbeitet die Geschichte des österreichischen Frauenmörders Jack Unterweger auf.

Von Stefan Fischer

Gilt für Jack Unterweger die Unschuldsvermutung? Rechtskräftig verurteilt worden ist der Österreicher nämlich nicht, als man ihm 1994 den Prozess machte. Andererseits konnten ihm in dem Verfahren neun Morde an jungen Frauen nachgewiesen werden. Sechs der acht Geschworenen waren überzeugt von den Indizien und Beweisen. Unterweger wurde zu lebenslang verurteilt - zum zweiten Mal in seinem Leben. Weil der damals 43-Jährige aber wenige Stunden nach dem Schuldspruch Suizid begangen hat, erlangte das Urteil jedoch nie Rechtskraft.

Es war der bis dato größte Kriminalfall in Österreich, auf den Jack - Gier frisst Schönheiten in seiner Rekonstruktion der Ereignisse zusteuert. Autor des achtteiligen True-Crime-Podcasts des NDR ist der Journalist Malte Herwig, unter Mitarbeit des Regisseurs Roman Neumann. Nie zuvor war vor einem österreichischen Gericht eine derartige Mordserie verhandelt worden. Auch kriminaltechnisch erregte der Fall Aufsehen, da erstmals eine DNA-Spur als Beweismittel verwendet wurde.

Der Fall hat vor allem aber eine äußerst bemerkenswerte Vorgeschichte. Durch die zieht sich ein fataler Umstand: Sehr viele Menschen waren vernarrt in Jack Unterweger. Vor allem Frauen, aber nicht nur. Und unter diesen, ja: Fans waren etliche Prominente. Sie haben sich entsetzlich in Unterweger getäuscht.

Zu Jack Unterwegers Lebzeiten waren irrsinnige Geschichten über ihn im Umlauf

Oder waren es doch die Geschworenen, die ihn falsch beurteilt haben? Und Unterweger der Unschuldige, als den er sich bis zuletzt gab? Wohl kaum. Dass er ein Mörder war, steht außer Frage. Bereits 1974 hat er eine junge Frau brutal ermordet und war dafür verurteilt worden. Diese Tat hat Unterweger auch nie bestritten. Und obwohl das Urteil im zweiten Prozess nicht rechtskräftig wurde, legt Herwig sich fest: Unterweger habe mindestens zwölf junge Frauen getötet. Trotz des postmortalen Persönlichkeitsrechts und der Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils - weil nach Aktenlage kein anderer Schluss möglich ist.

Podcast "Jack": Der Journalist Malte Herwig ist Autor dieser Produktion des NDR.

Der Journalist Malte Herwig ist Autor dieser Produktion des NDR.

(Foto: Rüdiger Beckmann/NDR)

Heikler als diese Festlegung ist die Haltung des Podcasts in anderen Fragen. Zu Jack Unterwegers Lebzeiten waren irrsinnige Geschichten über ihn im Umlauf. Erzählt man sie heute nach, läuft man Gefahr, alte Fehler zu wiederholen und eine Legende fortzuschreiben. Im schlimmsten Fall sogar, einen Mörder zu glorifizieren und sich auf Kosten seiner Opfer an einer Sensationsgeschichte zu berauschen.

Die Opfer - viele von ihnen waren Prostituierte - spielen tatsächlich nur am Rande eine Rolle in diesem Podcast, jedenfalls diejenigen, die nicht überlebt haben. Und mitunter gerät Malte Herwig tatsächlich in Versuchung, sich vom Thrill der Geschichte mitreißen zu lassen. Doch er widersteht in aller Regel und findet rasch in die richtige Spur zurück. Sie führt zu der Erkenntnis, wie manipulierbar einzelne Menschen und ganze Gesellschaftsgruppen sind, wenn sie glauben, was sie glauben möchten.

Während seiner ersten Haftstrafe wurde er berühmt: als Literat

Jack Unterweger hat Eindruck gemacht. Vor allem seine Wirkung auf Frauen war immens - in seinem Tagebuch hat er seine sexuellen Affären penibel verzeichnet. Malte Herwig hat mit Frauen gesprochen, die ihn heute noch als sensiblen Liebhaber beschreiben.

Außergewöhnlich ist die Karriere, die er als Häftling gemacht hat: Im Gefängnis ist er zum Literaten geworden. Was kaum jemand ahnte und niemand wahrhaben wollte: Die meisten der Texte hat er wohl nicht selbst geschrieben. Herwig belegt das detailliert. Gedichte und vor allem der autobiografische Roman Fegefeuer haben Unterweger berühmt gemacht, er lieferte auch Gutenachtgeschichten für den ORF.

Diese verruchte und vermeintlich authentische Prosa begeisterte die Kulturszene Österreichs. Vor allem Literaten haben daraus eine Läuterung herausgelesen. Unter anderem die Schriftsteller Günter Grass, Elfriede Jelinek, Ernst Jandl, Erich Fried und Barbara Frischmuth, der Publizist Peter Huemer, die Schauspielerin Erika Pluhar haben sich in Petitionen für seine vorzeitige Freilassung eingesetzt. Auch der Sexualforscher Ernest Bornemann, der sich seinerzeit überzeugt zeigte, Unterweger würde seine erste Mordtat nicht wiederholen.

Podcast "Jack": Jack Unterweger hat Eindruck gemacht - und mitunter lässt sich auch der Podcast "Frauenmörder Jack - Gier frisst Schönheiten" von dem Thrill mitreißen.

Jack Unterweger hat Eindruck gemacht - und mitunter lässt sich auch der Podcast "Frauenmörder Jack - Gier frisst Schönheiten" von dem Thrill mitreißen.

(Foto: Nikolaus Similache/Contrast/pict)

Jelinek hat eine Sprachnachricht an Herwig geschickt, die im Podcast zu hören ist: "Eine unglaubliche Geschichte", sagt sie darin und rechtfertigt ihr Fehlurteil: "Es kann einfach nicht derselbe Mensch sein, der Fegefeuer und die Sachen danach geschrieben hat." Hat er auch nicht, jedenfalls nicht alleine. Menschen indes, die mit Unterweger aufgewachsen sind, haben ihn schon seinerzeit bezichtigt, übertriebene, lügenhafte Geschichten zu verbreiten. Sie erkannten die Großmannssucht und den Drang, sich zum Opfer der Umstände zu stilisieren.

Als Reporter recherchiert er in der Mordserie, die er selbst begeht

Malte Herwig bezeichnet die Autorenkarriere als kalkulierten Fluchtplan. Ein damaliger Justizvollzugsbeamter charakterisiert die Petitionen der Kulturprominenz als "Freipressung". Tatsächlich ist Unterweger 1990 nach Verbüßung der Mindestzeit von 15 Jahren aus der Haft entlassen worden. Er taugte als Exempel für eine Strafrechtsreform, die ganz auf Resozialisierung setzte.

Danach ging der Wahnsinn richtig los. In weißem Anzug war Unterweger im weißen Ford Mustang unterwegs, dauerpräsent bei Lesungen, im ORF sowie in der Presse. Als in Wien mehrere Sexarbeiterinnen verschwinden, wird er als Reporter ins Milieu geschickt. Er soll also im Fall seiner eigenen Taten recherchieren - Unterweger hat sogar die Chuzpe, sich bei der Polizei nach den Ermittlungen zu erkundigen.

Er hat mit allen gespielt, mit den Intellektuellen, den Medien, der Polizei. Er stand, endlich, im Rampenlicht. Herwigs Verdienst ist, wie viele Dokumente, vor allem auch historische Tonaufnahmen er zusammenträgt. Wie viele Menschen, die eng verflochten sind mit den Ereignissen, er zum Reden bringt. Und wie schonungslos diese sich selbst gegenüber sind. Genau dadurch gelingt es, die alten Verklärungen beiseitezuwischen. Und in Jack Unterweger den zu sehen, der er war.

Jack - Gier frisst Schönheiten, acht Folgen in der ARD-Audiothek.

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