Podcast "Himmelfahrtskommando":Der Polizist und die Witwe

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(Foto: Illustration: Stefan Dimitrov)

Die Schuldfrage am Tod von elf Israelis quält auch 50 Jahre nach dem Olympia-Attentat von München einige Betroffene. Ein herausragender Podcast bringt zwei Antagonisten an einen Tisch.

Von Stefan Fischer

Ob er alle vier Jahre, wenn jeweils irgendwo Olympische Sommerspiele eröffnet werden, an damals denke? Ankie Spitzer stellt diese Frage kühl, aber wahrnehmbar aggressiv. "Pfffff", entfährt es Guido Schlosser - alle vier Jahre? Jeden Tag. Schon deshalb, weil er bis zu seiner Pensionierung auf dem Weg zur Arbeit stets mit dem Zug am Flugplatz Fürstenfeldbruck vorbeigekommen sei. Morgens einmal, abends noch einmal. Jedes Mal habe sich die Erinnerung wie ein grauenvoller Film über das gelegt, was er durchs Zugfenster sah.

Dies ist der Moment - in der achten und letzten Folge des Podcasts Himmelfahrtskommando -, in dem das heikle, an tiefe innere Wunden rührende Gespräch zwischen Ankie Spitzer und Guido Schlosser kippt. Da beide begreifen, dass zu den vielen Verletzungen nicht eine weitere hinzukommt. Sondern dass es vielmehr eine Chance gibt, ein bisschen Frieden zu finden. Weil die eine dem anderen womöglich etwas geben kann, wonach man sich lange schon sehnt. Und umgekehrt.

Ankie Spitzer ist die Witwe von André Spitzer, einem von elf israelischen Sportlern, Trainern und Betreuern, die bei der Geiselnahme durch palästinensische Terroristen während der Olympischen Spiele in München am 5. September 1972 ermordet worden sind. Guido Schlosser ist einer der Polizisten, die an der katastrophal gescheiterten Befreiungsaktion auf dem Flugplatz beteiligt waren.

Der Polizist soll Geiseln befreien. Niemand hat ihm beigebracht, wie das gehen könnte

Der Ansatz dieser Produktion des Bayerischen Rundfunks ist waghalsig. Denn die Autorin von Himmelfahrtskommando ist die Journalistin Patrizia Schlosser. Sie ist die Tochter des einstigen Polizisten. Ihr gelingt jedoch das Entscheidende: einen Eindruck von Voreingenommenheit gar nicht erst aufkommen zu lassen. Ihr Vater sehnt sich nach Satisfaktion. Sie gönnt sie ihm. Schickt ihn aber durch eine für ihn quälende Recherche. Konfrontiert ihn mit allem, was man ihm vorwerfen kann. Legt Verdrängtes frei. Und macht vor allem immer wieder unmissverständlich klar, dass Guido Schlosser keinesfalls das eigentliche Opfer in dieser Geschichte ist, bestenfalls ein Bauernopfer. Er war nicht wehrlos wie die Geiseln, er hat überlebt und hat auch keinen ihm nahestehenden Menschen verloren an diesem fatalen Tag.

Guido Schlosser war damals 21 Jahre alt und seit wenigen Monaten fertig mit seiner Polizeiausbildung. Terrorabwehr und Geiselbefreiung waren nicht Teil davon. Dennoch wurde er am Tag des Attentats wie weitere junge, zufällig greifbare Kollegen zum Mitglied eines freiwilligen Spezialkommandos, das die Terroristen ausschalten sollte. Einen durchdachten Einsatzplan gab es nicht. Die Vorgesetzten haben die Truppe in ein den Terroristen vermeintlich zur Flucht bereitgestelltes Flugzeug geschickt und wollten es auf ein Feuergefecht in der Maschine ankommen lassen.

Die Polizisten haben das Flugzeug verlassen, ehe es dort zum Showdown kommen konnte. Feigheit wurde ihnen deshalb vorgeworfen, unter anderem vom damaligen bayerischen Innenminister Bruno Merk. Und von Ankie Spitzer. Deren Tochter Anouk, die ihren Vater nie kennengelernt hat, wirft Guido Schlosser die brachialste aller denkbaren Fragen an den Kopf: Wie könne es sein, dass die Deutschen, die kurz zuvor noch sechs Millionen Juden ermordet haben, nicht in der Lage waren, acht Terroristen auszuschalten? Es gibt darauf keine Antwort, die Anouk und Ankie Spitzer trösten könnte.

Patrizia Schlosser schildert detailliert, was an jenem 5. September 1972 passiert ist. Mit einem Fokus auf das Spezialkommando, dem ihr Vater angehört hat. Es ist die Geschichte eines grotesken Versagens. An ihrem vorläufigen Ende, 50 Jahre nach ihrem Beginn, übernimmt ein Mann Verantwortung für etwas, das er eigentlich nicht zu verantworten hat. Und trifft dabei auf eine Frau, die die Größe aufbringt, das anzuerkennen.

Himmelfahrtskommando - Mein Vater und das Olympia-Attentat, BR-Mediathek.

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