Nadine Nordmann, 33, hat eine Herkulesaufgabe zu bewältigen: Die seit einem Jahr amtierende Chefredakteurin von Bravo muss die Jugendzeitschrift vor dem freien Auflagenfall retten - und das in einer Zeit, in der Jugendliche längst auf Youtube und sonstwo im Internet anderen Jugendlichen das Wort "Petting" erklären. Noch zur Jahrtausendwende wurde die Bravo von mehr als einer Million Jugendlicher gekauft. Heute liegt die verkaufte Auflage offiziell bei 191 000 Exemplaren, aber selbst Mitarbeiter des Bauer-Verlags munkeln, dass sie noch niedriger sein könnte.
Die Strategie von Nadine Nordmann und dem Bauer-Verlag, Bravo aus den roten Zahlen zu holen, ist zweigleisig. Auf den Titelbildern wird in proletenhaftem Boulevard-Deutsch gebrüllt: "Justin Bieber: Tödliche Sex-Sucht! Schock! Hat er sich bei einer Porno-Bitch angesteckt?" Im Artikel dann werden Recherche-Ergebnisse dieser Art geliefert: "Beim Feiern macht Justin fast immer irgendwelche Bitches im Club klar, nimmt sie mit auf sein Hotelzimmer - legt sie dort flach."
Die andere Strategie ist: Sparen. Wer die Redaktion in München besucht, dem fällt auf, dass die meisten Mitarbeiter sehr jung sind. Der Sparwut ist nun auch eine Institution zum Opfer gefallen: das Dr.-Sommer-Team. Dessen langjährige Leiterin, die Diplom-Sozialpädagogin Jutta Stiehler, ist nach 16 Jahren bei Bravo entlassen worden. Am Montag haben sich Stiehlers Anwalt und der Bauer-Verlag auf eine Abfindung geeinigt. Zusammen mit Stiehler sind auch die Leiterin der Bravo-Fotoredaktion und der Vize-Artdirector von Bravo-Girl entlassen worden.
Entbehrliche Leitungsstellen
Vor der Richterin des Arbeitsgerichts in München begründete der Anwalt des Bauer-Verlags die Entlassung der Dr.-Sommer-Teamchefin, der Fotochefin und des Art Directors damit, dass dem Gericht die schwierige Lage auf dem Zeitschriftenmarkt bekannt sein müsste, und dass Verlage sparen müssten, weil die Auflagen sänken. Um den Betrieb in Redaktionen aufrecht zu erhalten, müssten Kündigungen ausgesprochen werden. Man habe gemerkt, dass die fraglichen drei Leitungsstellen entbehrlich seien.
Das Ende des Dr.-Sommer-Teams in seiner klassischen Form hatte sich bereits im Herbst vergangenen Jahres angedeutet, nachdem die damals 32 Jahre alte Nadine Nordmann ihren neuen Job übernommen hatte. Bisher waren auf den Dr.-Sommer-Beratungsseiten Fotos des echten Dr.-Sommer-Teams zu sehen gewesen, nämlich ein Foto von Jutta Stiehler und ihrer Mitarbeiterin Sabine Kadolph, die von Beruf Erzieherin ist. Seit ein paar Wochen indes steht neben dem Logo von Dr. Sommer ("Wir sind für dich da") nun ein Foto, das zwei wesentlich jüngere Menschen zeigt, die suggerieren, sie seien das Dr.-Sommer-Team.
"Christian" und "Nina"
Unter dem Foto stehen die Namen "Christian" und "Nina". In Wahrheit aber handelt es sich bei den beiden um bezahlte Models, die nichts mit dem Dr.-Sommer-Team zu tun haben. Welchen Zweck hat die Irreführung der Leser? Der Bauer-Verlag verweigerte auf Anfrage Angaben zu den Entlassungen. Der Modelschwindel wird so gerechtfertigt: Seit dem Relaunch von Bravo "nutzen wir stellvertretend für das Dr. Sommer-Team ein Bild von zwei jungen Menschen mit hohem Identifikationspotenzial für die BRAVO-Zielgruppe".
In die Irre geführt werden auch die Leserinnen von Bravo-Girl. Dort beantwortet eine "Martha" die Fragen der pubertierenden Mädchen. Es gibt keine Martha. Tatsächlich wird die Beantwortung der Fragen auch vom Dr.-Sommer-Team übernommen, das (noch bis Juni, wenn der Vertrag von Stiehler offiziell ausläuft) aus Stiehler und Kadolph besteht, die womöglich nicht dem Schönheitsideal der Chefredakteurin Nordmann entsprechen. Nordmann war für eine Auskunft gegenüber der SZ nicht zu sprechen.
Reduziert wird offenbar auch die Antworthäufigkeit bei E-Mail-Anfragen an das Dr.-Sommer-Team und an "Martha" bei Bravo-Girl. Entweder erhält man keine Antworten oder erst sehr verspätet, oder man erhält Antworten, die nur mit Hallo! beginnen, also nicht mehr den Namen des Briefeschreibers enthalten und in großer Hast zusammengebaut wirken. Außer generellen Tipps fällt auf, dass bei manchen Antworten Satzbau und Grammatik fehlerhaft sind.
Fast alle Antworten enden mit einem Tipp, dass man, wenn man noch mehr erfahren möchte, gerne auf die Internetseite von Bravo schauen möge. Neben dem Tipp steht ein Link, der den Briefeschreiber zu bravo.de führt - was für den Bauer-Verlag den schönen Nebeneffekt hat, dass die Klickzahlen von bravo.de steigen. Je mehr Klickzahlen bravo.de vorweisen kann, desto höher steigen auch die Anzeigenpreise. Bravo.de ist gespickt mit Smartphone- und Binden-Reklame.
Jutta Stiehler, die 16 Jahre lang im Dr.-Sommer-Team gearbeitet hat, sagt: "Ich habe mir immer jede E-Mail angeschaut. Und wenn jemand besonders verzweifelt war, habe ich dem sofort persönlich geantwortet." Die neue Entwicklung bei Bravo, Redakteure einzusparen und auch Volontäre im Dr.-Sommer-Team mitarbeiten zu lassen, die keine Ausbildung zum Sozialpädagogen oder zum Psychologen haben, stimmt sie nachdenklich: "Das Alleinstellungsmerkmal von Dr. Sommer war immer die persönliche Beratung. Das hat uns abgehoben von anderen Jugendzeitschriften."
Auto-Response-Antworten
Mit dem Wegfall der Stelle von Jutta Stiehler sinken nun auch die Chancen weiter, dass junge Bravo-Leser außer einer Auto-Response persönliche Antworten auf ihre Fragen zu Liebe, Sex und Zärtlichkeit erhalten. Stiehlers bisherige Mitarbeiterin Kadolph leitet nun alleine das Dr.-Sommer-Team, unterstützt nur von zwei freien Mitarbeitern in Augsburg und München.
Jutta Stiehler ist jetzt 56 Jahre alt. Eine feste Anstellung bei einem Verlag als Beraterin wird sie wohl kaum mehr finden, da macht sie sich keine Hoffnungen. Sie muss jetzt erst einmal verdauen, dass sie nicht mehr Chefin des Dr.-Sommer-Teams ist. "Eine sehr, sehr schöne Zeit ist leider sehr unglücklich zu Ende gegangen", sagt sie. Damit meint sie nicht nur ihr eigenes Schicksal der Kündigung - sondern auch den Zustand von Bravo selbst nach dem Relaunch im vergangenen Herbst. "Auf den Dr.-Sommer-Seiten steht heute noch ,Was immer Dich bewegt - Wir sind für Dich da!' Aber tatsächlich bekommen die Leser jetzt offenbar häufig vorgefertigte Antworten, da bleibt ein bitterer Nachgeschmack."
Geschockte Fotochefin
Auch der Bravo-Fotochefin Christina Bigl ist gekündigt worden. 38 Jahre hat Bigl bei Bauer gearbeitet, am Dienstag war sie zum letzten Mal in der Redaktion, um ihren Schreibtisch zu räumen. Die 55-Jährige weiß noch nicht, wie es weitergehen soll: "Die Kündigung zieht einem ja den Boden unter den Füßen weg. Bis zur Rente ist es ja noch ein ganzes Stück."
Ihre Stelle ist nicht ersetzt worden. Stattdessen wurden Bigls Arbeitsstunden auf die verbleibenden Bild-Redakteure und die Chefredaktion verteilt. Mit dem Auflagenschwund bei Bravo hat sich auch die Arbeit der Fotoredaktion geändert. Früher seien Stars, die in München weilten, exklusiv fotografiert worden, heute stammten die meisten Fotos aus Datenbanken von Agenturen, mit denen Bauer Verträge abgeschlossen habe. Bigl sagt, sie habe all die Jahre sehr gerne bei Bravo gearbeitet: "Das war mein Leben." Trotz der Kündigung nach 38 Jahren sorgt sie sich um die Zeitschrift: "Ich wünsche dem Heft nichts Schlechtes. aber ob diese Art von Sparmaßnahmen die Lösung sind, lasse ich mal so dahingestellt."