Süddeutsche Zeitung

Panama Papers:Konspirologen und Leibwächter des Kapitals

Eine anonyme Quelle steckt hinter den Panama Papers - und schon beginnt das Spiel der Verschwörungstheoretiker: Wer ist's gewesen?

Von Hans Leyendecker

Bevor die ersten Artikel über die Panama Papers erschienen, reagierte der Kreml schon. Man habe Fragen erhalten, Veröffentlichungen stünden bevor, erklärte Putins Sprecher Dmitrij Peskow. Das sei eine "Informationsattacke" auf den Präsidenten. Orchestriert von "bestimmten öffentlichen Gruppen, westlichen Geheimdiensten". Wladimir Putin selbst sagte später, die Veröffentlichungen sollten Russland "gefügig machen".

Steckten CIA, MI6, BND, also der ganze Mückenschwarm der westlichen Geheimdienste dahinter? Anders gefragt: Hatte sich die SZ, die die 2,6 Terabyte Material von einer Quelle zugespielt bekam, instrumentalisieren lassen? Ist das Blatt auf westliche Geheimdienste reingefallen?

Ganz anders betrachtet den Fall Cliffard Gaddy, ein Wissenschaftler, der für den großen amerikanischen Thinktank Brookings Institution arbeitet. Eigentlich, fand er, sei Putin gar nicht das Opfer. Dem Präsidenten könne das alles doch egal sein. Vermutlich habe ein Hacker im Auftrag der russischen Regierung die Daten besorgt und an die SZ gemailt.

Westliche Regierungen sollten womöglich destabilisiert werden. Dass nur wenige prominente Amerikaner in den Daten auftauchten, könne auch ein Trick sein. Möglicherweise würden Unterlagen über Amerikaner zurückgehalten, um Prominente später erpressen zu können. Anders gefragt: Ist die SZ auf die russischen Diensten SWR, FSB, FAPSI reingefallen? Vielleicht war es sogar ein Joint Venture aller Dienste weltweit?

Konspirologen und Bescheidwisser wittern und twittern die große Geschichte

Im Netz und auch sonst gibt es ganz viel Geraune. Konspirologen und Bescheidwisser wittern und twittern die große Geschichte hinter der Geschichte - und die Leibwächter des Kapitals gehen zur Entlastungsoffensive über: Panama legal.

Bei großen Skandalen ist solches Getrampel nicht ungewöhnlich. Als Rolf Hochhuths weltberühmtes erstes Stück, das Papst-Drama "Der Stellvertreter" über Papst Pius XII., erschien, meldete sich ein hochrangiger Überläufer des rumänischen Geheimdienstes bei einem Organ der konservativen Intelligenz in den USA und behauptete, das Stück sei eine Art Auftragsarbeit des KGB, für den der junge Hochhuth nur ein Strohmann gewesen sei.

Mit dem üblichen Geheimdienstgedöns wurde das begründet, und der Ex-Agent, der natürlich auch genau wusste, wer da noch so alles mitgemacht hatte, bekam Beifall von notorischen Hochhuth-Gegnern, vor allem in Deutschland: Endlich sagt's mal einer.

Während der Watergate-Affäre, über die 1974 US-Präsident Richard Nixon zu Fall kam, geisterten zahlreiche Verdächtigungen herum, wer warum was ausgepackt oder inszeniert habe. Beliebt war die Verschwörungsthese, dass die CIA das alles ausgeheckt habe, um den bei den Diensten unbeliebten Präsidenten loszuwerden. Ein stiller Staatsstreich, hinter dem Nixon-Gegner stecken mussten.

Wer empfänglich für Theorien über die große Verschwörung und die perfekte Konspiration war, verstand plötzlich scheinbar alles - und blickte doch, wie sich viele Jahre später zeigte, überhaupt nicht durch.

Dass im Fall der Panama Papers das Spekulieren über die Quelle für einen kleineren Teil des Publikums eine Art Hobby geworden ist, hängt mit dem Fall, aber auch mit dem Gegenstand zusammen. Grundsätzlich gilt: Was für den einen ein Skandal, ist für den anderen eine Bagatelle. Der Russe ist böse, der Russe ist gut. Es kommt immer auf den Standpunkt des Betrachters an. Und viele suchen sich im Netz ihre eigene Wahrheit.

Dass die SZ über viele Monate mit einer Quelle zusammenarbeitete, die anonym bleiben wollte, erleichtert einem Teil des Publikums das Spekulieren. Dabei ist die Anonymität, das gilt in diesem Fall besonders, eine Art Lebensversicherung für diese Quelle.

Über Risiken und Chancen von Whistleblowern, deren Identität bekannt geworden ist, gibt es diverse Untersuchungen. Das Fazit der meisten Betrachtungen lautet: In der Regel sehen und behandeln die da draußen das Aufdecken von Missständen als Verrat. Von Freunden gemieden, von Feinden verfolgt - es gibt dramatische Geschichten über das Schicksal von Leuten, die Alarm geschlagen haben.

Journalisten, die den Schutz der Informanten nicht pflegen, schaden dem Berufsstand

Für Journalisten gibt es da eherne Regeln. Die wichtigste lautet: Informanten müssen unter allen Umständen geschützt werden. Der Schutz der Informanten gilt auch für die Zeit nach ihrem Tod. (Ausnahme: Die Quelle hat verfügt, dass dann ihr Name publiziert werden darf.) Zeugnisverweigerungsrecht und Zeugnisverweigerungspflicht sind das Rückgrat des Journalismus. Vor gut 150 Jahren sind dafür Journalisten in Zwangshaft genommen worden. Sie gingen lieber ins Gefängnis, als irgend jemandem die Quellen zu verraten.

Journalisten, die den Informantenschutz nicht pflegen und hochhalten, schaden sich selbst, weil sie vermutlich künftig keine Informationen mehr bekommen. Sie schaden aber auch dem Berufsstand. Es gab, vor gut 13 Jahren, ausgerechnet bei der BBC eine dramatische Verletzung dieser Normen. Ein BBC-Korrespondent hatte berichtet (was stimmte), dass die damalige Regierung Tony Blair das Geheimmaterial über angebliche Massenvernichtungswaffen des Irak "sexier gemacht" habe, damit der Krieg einen Grund bekäme. Er berief sich auf eine anonyme Quelle.

Über den Informanten wurde gerätselt. Und der Reporter beschrieb dann Zug für Zug (was unglaublich war) das Umfeld, in dem seine Quelle arbeitete. Es handele sich um einen hochrangigen Beamten, der offiziell mit der Erstellung eines Geheimdienstdossiers zu tun gehabt habe. Er kenne die Quelle schon lange, sie sei Experte für das irakische Programm zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen.

Die Beschreibung passte zu einem damals 59 Jahre alten Mikrobiologen, der als Waffeninspekteur im Irak gearbeitet hatte. Die Regierung steckte ein paar Journalisten den Namen der Quelle, und der Wissenschaftler wurde von englischen Medien als Informant geoutet.

Als er schließlich vor dem außenpolitischen Ausschuss des Parlaments gefragt wurde, was er in dieser Affäre gelernt habe, antwortete dieser Informant: "Dass ich nie mehr mit Journalisten reden werde." Kurz darauf nahm er sich das Leben.

Nach seinem Tod behauptete die BBC auch noch, der Mann sei die Hauptquelle des Senders gewesen. So greift man die existenziellen Grundlagen des Berufs an.

Im Fall Watergate hat es dann am Ende noch eine Wendung gegeben. Der Mann, den der Reporter Bob Woodward, der mit seinem Kollegen Carl Bernstein den Skandal aufgerollt hatte, häufiger in einer Parkgarage getroffen hatte und der ihn immer wieder auf die richtige Spur brachte, gab sich nach mehr als 30 Jahren, kurz vor seinem Tod, selbst zu erkennen: Mark Felt, ein früherer FBI-Mann, outete sich als Woodwards Quelle. Er war einst die Nummer zwei bei Amerikas Bundespolizei gewesen. "Deep Throat" nannten sie die Quelle bei der Washington Post. Journalisten geben ihre Quelle nicht preis, aber sie geben den Informanten schon mal Namen. In der Flick-Affäre, die vor dreißig Jahren die Bundesrepublik bewegte, bekam beim Spiegel eine wichtige Quelle den Namen "Ramses".

Die Quelle der Panama Papers schrieb der SZ als "John Doe". Aber im Gegensatz zu manch anderen Hinweisgebern will diese Quelle unsichtbar und anonym bleiben. Vielleicht freut sie sich, wie Rumpelstilzchen, darüber, dass die ganze Welt über ihre Informationen spricht, und niemand ihren Namen weiß.

Woodward, der in diesen Tagen die Panama-Enthüllungen lobte, hat vor vielen Jahren mit der SZ über seinen größten Fall gesprochen. "Wissen Sie", hat er damals gesagt: "Watergate ist nie vorbei. In unserem Geschäft erfährt man nie die ganze Geschichte."

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Quelle:
SZ vom 13.04.2016/bbr
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