Page-3-Girls in der "Sun":Tägliche Bloßstellung

Ein Vorbild für Alice Schwarzer? Die Feministin Germaine Greer entdeckt die Vorzüge des "Page 3 Girls" im britischen Boulevard-Blatt "Sun".

Willi Winkler

Angenommen, nur einmal angenommen, die Gerichtsreporterin Alice Schwarzer könnte ihre Augen für einen Moment vom Angeklagten Jörg K. wenden und sich ein paar Sekunden für die Mädchen interessieren, mit denen ihr gegenwärtiger Arbeitgeber Bild seine Seite eins verziert - was bekäme sie zu sehen?

Page-3-Girls in der "Sun": Screenshot vom Online-Portal der britischen Boulevard-Zeitung Sun.

Screenshot vom Online-Portal der britischen Boulevard-Zeitung Sun.

Die "hübsche Schützefrau (1,64 m, 59 kg)" Isabel zum Beispiel, Stylistin im Hauptberuf, aber an diesem Tag damit beschäftigt, ein Hohlkreuz zu machen und ihre sekundären Geschlechtsmerkmale in die Kamera zu halten. Oder die nicht weniger hübsche Einzelhandelskauffrau Nicole (25). 1,72 m ist Nicole groß und 51 kg leicht und möchte "den Männern zeigen, was sie verpassen". Wahrscheinlich hat sie deshalb auf eine Übergangsgarderobe verzichtet. So kann sie ihre formschönen Brüste zeigen, die allerdings in der novemberlichen Luft leicht zu frieren scheinen.

Aber unsere Lieblingsfeministin Alice Schwarzer würde die professionell entkleideten Mädchen auf der ersten Seite von Bild nie auch nur eines abschätzigen Blicks würdigen. Schließlich hat die Emma-Gründerin einmal eine PorNo-Kampagne angeführt und auch sonst nie vergessen, dass der Mann ein Tier und die Frau sein Opfer ist. Nie, nie würden ihr Sätze wie diese einfallen: "Dieses Mädchen ist alles andere als benutzbar. Es ist wie das Bild eines Formel-1-Autos oder wie eine Flasche Jahrgangs-Champagner." Oder Fachfrauliches wie das: "Die Brüste, die man da zu sehen bekommt, sind zwar oft außergewöhnlich, aber immer echt." Oder Psychologisches: "Das hat nichts Fetischistisches, nichts Bedrohliches, nichts Schuldbewusstes."

Solche Sätze können nur Männern einfallen, denen die Lefzen triefen, wenn sie frühmorgens auf Nicoles Brüste reagieren. Und doch stammen diese schlimmen frauenfeindlichen Sätze nicht von einem sabbernden Mann, sondern von der bekanntesten Feministin der ganzen Welt, von Germaine Greer.

Die in Australien geborene Literaturwissenschaftlerin (Die Ethik von Liebe und Ehe in Shakespeares frühen Komödien war das Thema ihrer Doktorarbeit) wäre mit dem Attribut "streitbar" allzu harmlos beschrieben. Schließlich hat sie in ihrer Kampfschrift Der weibliche Eunuch (1970) Menstruationsblut auf einem Penis gekostet und ist daher auch furchtlos in die britische Version von Big Brother eingezogen. Jetzt hat sie in Englands größtem Boulevardblatt, der Sun, ein Ständchen für dessen unverwüstliches "Page 3 Girl" ausgebracht.

Anders als bei Bild findet der Sun-Nutzer seine tägliche Nackte erst auf der dritten Seite, doch seit inzwischen 40 Jahren bietet Rupert Murdochs einträglichste Zeitung verlässlich jeden Morgen die zwei Appetithappen einer Sam oder Chloe oder Carmen. Mit scharfem Blick hat Ms. Greer dabei einen klassischen Typ entdeckt: "Eine zarte Frau mit sehr schmalem Rücken, umfänglichen hochtragenden Brüsten und sehr schlanken Armen und Schultern." An der täglichen Bloßstellung kann sie nichts Schlimmes finden, da die Mädchen gut genährt und anders als die handelsüblichen Models gar nicht magersüchtig wirkten. Nur für die weiblichen Leser würde nicht gesorgt.

Die Wahrheit ist manchmal schlicht, aber es braucht einen Mutigen, der sie ausspricht. Bei Germaine Greer spricht sie ein Handlanger, den sie nach seinem Interesse an den Sun-Mädchen auf Seite drei befragt hat. Ach, es ist so einfach: "Sie bauen mich auf."

Danke, liebe Sylvie, liebe Nicole, liebe Germaine. Und noch eins, Alice: Wenn schon Boulevard, dann richtig.

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