Netflix-Serie "Ozark":Alles für die Familie

Lesezeit: 3 min

Leben am Abgrund: Szene aus "Ozark" mit Katrina Lenk (Clare Shaw, v.l.), Julia Garner (Ruth Langmore), Jason Bateman (Marty Byrde) und Laura Linney (Wendy Byrde). (Foto: Courtesy of Netflix)

So ziemlich jeder volljährige Mensch kennt die Corleones und Sopranos, zwei Verbrecher-Familien aus New Yorker Gefilden. Aber jetzt mal ganz ehrlich: Wer kennt die Byrdes? Und die Ozarks? Eben. Das muss sich ändern.

Von Milan Pavlovic

Zu den vielen Bildern der Serie Ozark, die sich auf der Netzhaut der Zuschauer festgeätzt haben, gehört jenes von Marty Byrde, wie er in der allerersten Folge auf dem Boden einer Fabrikhalle kniet. Links und rechts sind soeben Freunde und Geschäftskollegen getötet und in Säuretonnen gesteckt worden, deren existenzauflösende Wirkung durch Breaking Bad bekannt geworden war. Der brave Familienvater aus Chicago, der für das Fehlverhalten seines großspurigen Partners ebenfalls bezahlen soll, ist als Letzter dran.

Nun stammelt er etwas von Geldwäsche, von den Ozarks, einem Ort im Mittleren Westen der USA, jenseits der Metropolen, der geradezu geschaffen für diese Art illegaler Geschäfte sei, und dann nennt Marty, in seinem vermeintlich letzten Atemzug, eine Summe: 500 Millionen Dollar. Da wird selbst Del, die Nummer zwei des Navarro-Drogenkartells, hellhörig. Er weiß, wie gut Marty als Buchhalter ist, und gibt ihm eine Chance. Die Byrdes ziehen um, sie leben nun auf Bewährung, von der niemand weiß, wie lange sie dauern wird.

Das Lügengebäude der Byrdes droht einzustürzen

Drei Staffeln später, Del hat längst abgedankt, haben Marty und Wendy Byrde ihre monetären Pflichten mehr als beglichen. Aber um das zu schaffen, mussten sie ein Lügengebäude errichten, das immer größer geworden ist und jederzeit einstürzen könnte. Mit jeder Straftat, die es dafür brauchte, den Anschein der Legalität zu wahren und die Konkurrenz aus dem Weg zu räumen, wurden mindestens zwei weitere Straftaten fällig. Man muss kein exzellenter Buchhalter sein, um das fatale exponentielle Wachstum dieser Kurve zu taxieren.

Es hilft nicht, dass selbst die Teenager-Kinder gelernt haben, mit den Lügen zu leben und eine Routine fürs Schwindeln zu entwickeln - so gekonnt, dass sie überlegen, was wohl passieren würde, falls den Eltern mal irgendetwas zustößt. Die Frage, ob da nachgeholfen werden muss, geistert unbeantwortet durch den Raum - ein Beleg dafür, wie gekonnt hinterlistig die Serie ihre Zuschauer manipuliert.

Blick zurück in Furcht: Marty und Wendy auf dem Weg nach Mexiko. (Foto: Steve Dietl/Netflix/Imago)

Die vierte und wohl letzte Staffel von Ozark setzt wenige Minuten nach dem Ende der dritten ein. Kurz nachdem Marty und Wendy auf Omar Navarros Hacienda in Mexiko Blut und mehr aus ihren Haaren gewaschen haben, werden sie mit ihrer nächsten irrwitzigen Aufgabe betraut: Sie sollen den amtsmüden Clanchef reinwaschen. Omars skrupelloser Plan lautet: Die Byrdes haben sich in den Ozarks neu erfunden und gesellschaftliche Achtung erkauft - das Gleiche könnten sie doch wohl auch für ihn schaffen. Er hat die Rechnung freilich ohne das FBI gemacht, dem vielleicht sogar noch weniger zu trauen ist als den Gangstern. Das ist die nächste Pointe dieser hammerharten Satire.

"Sangre sobre todo", Familienblut über alles, lautet das Motto

In Mexiko lernen die Byrdes Omars potenziellen Nachfolger Javi kennen, und es dauert nicht lange, da findet sich Marty (Jason Bateman) in der gleichen Situation wie in der allerersten Folge: auf den Knien, um sein Leben feilschend. Heißsporn Javi hält dem Buchhalter eine Waffe an den Kopf, weil er glaubt, Marty führe gerade die Navarro-Familie hinters Licht.

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Das gilt in Ozark immer noch als Kernsünde - obwohl wir längst Zeugen wurden, wie schnell hier jemand zum Ex-Familienmitglied werden kann. Man muss sich nur noch einmal vor Augen führen, dass die Byrdes als Bestatter ein eigenes Krematorium besitzen, um die Leichen im Keller loszuwerden; und dass sie ein Familien-Mausoleum errichtet haben, das als Lagerplatz für ihr Bargeld dient. Genauso ist die ganze Serie mit ihrem gemeinen, oft brutalen, aber nie billigen Humor und den perfekten kleinen Pointen. Sie treibt uns aus Sympathie zu den Charakteren an Grenzen der Moral, das hat sie gemein mit den großen Geschichten dieses Genres.

Wendy Byrde glaubt nach wie vor, eine gute Mutter zu sein

Ein halbes Dutzend Familiengeschichten steckt im Kern von Ozark, sie türmen sich dank der Byrdes, Snells, Navarros, des Mobs aus Kansas City sowie der hin- und hergeschubsten Hinterwäldlerin Ruth (vorzüglich: Julia Garner) zu einem Tsunami widersprüchlicher Emotionen. "Sangre sobre todo", Familienblut über alles, das ist der Motor aller Handelnden; aber das Motto steht auf wackligem Fundament. Javi etwa fuchtelt schnell mit der Waffe herum, wenn er glaubt, eine Sache mit einem Schuss im Sinne seiner Familie lösen zu können. Aber wehe, Onkel Omar (Félix Solis) begeht einen Fehler - Javi würde das Zepter nur zu gerne sofort an sich reißen.

Oder Wendy (Laura Linney), die zu einer Intrigantin von Shakespeare'scher Größe gereift ist, neunstellige Summen durch Stiftungen wäscht und mit ihrem Lächeln Herzinfarkte provozieren kann: Sie glaubt tatsächlich, es wäre ein passender Denkzettel für ihren rebellischen Sohn, der bei der Konkurrenz die Bücher frisiert, ihn dem FBI auszuliefern und ins Gefängnis zu befördern. Alte Wunden werden aufgerissen - und die Zuschauer entlarvt, wenn sie sich dem altmodischen Gedanken hingegeben haben, es könnte vielleicht doch ein Happy End geben.

Sieben Folgen hält Netflix noch zurück. Es ist völlig offen, wann die Gegenwart die Zukunft einholt, deren biestige Pranke wir in den ersten Minuten der vierten Staffel zu sehen bekommen. Nur eines steht schon fest: Im Walhalla der Verbrecherfamilien haben die Corleones und Sopranos Nachbarn bekommen. Wer hätte das gedacht, als Martin Byrde vor viereinhalb Jahren einen Prospekt der Ozarks einsteckte?

Ozark , vier Staffeln auf Netflix.

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