Süddeutsche Zeitung

Outing in der katholischen Kirche:Ein starker Film, der sich nicht an alle Fragen traut

Lesezeit: 4 min

Hajo Seppelts neue Doku begleitet Menschen im Dienst der katholischen Kirche, die Angst haben. Weil sie schwul, lesbisch, queer, trans oder nicht binär sind. Doch sie wollen kämpfen, "für eine Kirche ohne Angst".

Von Christiane Lutz

Dass die ARD sehr kurzfristig eine Dokumentation im Programm vorzieht, nicht nur von einem Platz beinahe zur Geisterstunde in die Primetime um 20.30 Uhr, sondern auch um ganze zwei Tage von Mittwoch auf Montag, lässt zweierlei Schlüsse zu. Entweder hat hier jemand wirklich ein dringendes Anliegen, oder man hat die Gunst der Stunde gewittert.

Im Falle der Dokumentation "Wie Gott uns schuf" ist vermutlich beides wahr. Seit Tagen ist die katholische Kirche wieder mal heftig in der Kritik, diesmal wegen des Wissens beziehungsweise Nichtwissens unter anderem des ehemaligen Papstes Benedikt XVI. zu diversen Missbrauchsfällen. Der Zeitpunkt für einen weiteren Kirchenaufreger ist deshalb aus programmplanerischer Sicht günstig, genauso, wie die Not der Protagonisten ehrlich drängend ist.

Denn in "Wie Gott uns schuf" outen sich unter dem Stichwort #OutInChurch 125 Menschen als schwul, lesbisch, queer, trans oder nicht binär. Sie alle sind im engen oder weiteren Sinn im kirchlichen Dienst beschäftigt, als Pastoralreferentinnen, Organisten, Erzieher, ehrenamtliche Jugendarbeiterinnen, Priester, Pfleger. Die meisten zeigen sich mit echtem Namen, Beruf und Wohnort. Sie verstoßen qua Sexualität gegen geltendes katholisches Kirchenrecht. Viele von ihnen könnten jetzt ihren Job verlieren. Doch sie wollen kämpfen, "für eine Kirche ohne Angst".

Immer wieder geht es um Einsamkeit, um den Schmerz, nicht akzeptiert zu werden

Die Dokumentation von Hajo Seppelt, Katharina Kühn, Marc Rosenthal und Peter Wozny erzählt exemplarisch die Geschichte eines schwulen Pfarrers, einer Trans-Person, die Religion studiert und unterrichten will, eines lesbischen Paars im Kirchendienst, das sich erst outet, als beide im Ruhestand sind. Zwischengeschnitten sind Gesichter und einzelne Statements von anderen Katholikinnen und Katholiken. "Wenn ihr wüsstet, wie viel ich gebangt und gebetet habe, dass das nicht so ist", sagt eine junge Frau, "ich hab mir das nicht ausgesucht." Andere schweigen, haben Tränen in den Augen, manche sitzen mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin vor der Kamera. Immer wieder geht es um Einsamkeit, um den Schmerz, nicht akzeptiert zu werden von einer Kirche, mit der sie sich verbunden fühlen. Das ist so beklemmend wie eindrücklich.

Während also auf der einen Seite Menschen allen Mut zusammennehmen müssen, nur weil sie homosexuell sind, wird auf der anderen Seite von Amts- und Würdenträgern gerade darüber verhandelt, ob Onanieren vor Kindern wirklich so schlimm ist, dass ein Priester dafür hätte entfernt werden müssen. Diese Gleichzeitigkeit ist Zufall, aber sie wirkt grotesk.

Homosexualität ist in der katholischen Kirche nicht nur nicht vorgesehen, sie ist verboten. Zehn Jahre, heißt es, habe die Recherche gedauert, so schmerzlich, traumatisch und schlicht existenzbedrohend sei das Thema für etliche Protagonisten. Menschen wie Carla Bieling. Wie die Doku erzählt, arbeitete sie 13 Jahre als Dekanatsreferentin für Jugend und Familie. Zwei Wochen vor Beginn ihres Mutterschutzes wurde ihr gekündigt, sie hatte ihre eingetragenen Lebenspartnerschaft vor ihrem Arbeitgeber offengelegt, die Kirche sah darin einen "Loyalitätsverstoß".

Die drängende Frage, die man beim Zuschauen hat: Warum tut ihr euch das an?

Obwohl in Deutschland niemand wegen seiner Sexualität diskriminiert werden darf, gilt für die Kirchen eigenes Arbeitsrecht. Wer dort einen Vertrag unterschreibt, stimmt auch der Lehre der Kirche zu. Entsprechende Bibelstellen werden in der Doku kurz eingeblendet, aber nicht detailliert behandelt. Warum dieses Dogma in der Kirche überhaupt noch existiert, wird nicht erklärt. Es zu wissen würde aber möglicherweise helfen, beurteilen zu können, wie man heute mit den Stellen umgeht und ob man sie wirklich zur Grundlage von Arbeitsverträgen machen sollte. Doch dass es dieses Dogma gibt, so diskriminierend es sein mag, das weiß jeder, der bei der Kirche einen Job antritt.

Umso drängender ist die Frage: Warum tut ihr euch das an? Warum tretet ihr nicht aus? "Wie Gott uns schuf" stellt diese Frage praktisch nicht. Es geht für diese Katholiken nicht um Austritt oder nicht. Die Doku geht von einer nicht verhandelbarer Übereinkunft aus, nämlich der, dass hier niemand das Feld räumt. Und dass die Kirche es ist, die sich ändern muss.

Auch hier wäre spannend zu hören, welche Argumente die Menschen für die Kirche noch in sich finden können, denn es müssen ja genug sein, um nicht die Flucht zu ergreifen. Das aber hätte die Sache vermutlich ambivalenter gemacht, vielleicht zu kompliziert. Diese Doku aber stellt sich ganz auf die Seite der sich Outenden und überlässt ihnen den Raum. So nachvollziehbar das menschlich ist, so verabscheuungswürdig diese Form der Diskriminierung ist, der von Journalisten gemachte Film wird somit beinahe Teil des (berechtigten) Aktivismus dieser Menschen. Darüber sieht man hinweg, aber man muss es benennen.

Parallel zu #OutinChurch ist eine Petition gleichen Namens gestartet worden

Zugute halten muss man den Machern den Versuch, Amtsträger der Kirche zu interviewen, die Oberhäupter aller 27 Bistümer wurden angefragt. Doch nur ein Bischof, der Aachener Bischof Helmut Dieser, äußert sich vor der Kamera. Er spricht von "Handlungsbedarf" und von berechtigen Forderungen, das Arbeitsrecht zu reformieren. Er gibt sogar zu, einst in Homosexualität "irgendeine Minderung" gesehen, sich aber weiterentwickelt zu haben. Was genau aber nun geschehen wird oder soll, bleibt offen.

Parallel zu #OutinChurch ist eine Petition gleichen Namens von den Beteiligten gestartet worden, darin heißt es: "Wir fordern eine Änderung des diskriminierenden kirchlichen Arbeitsrechts einschließlich aller herabwürdigenden und ausgrenzenden Formulierungen in der Grundordnung des kirchlichen Dienstes." An der Stelle ist klar, dass es sich wirklich um Kirchen-Aktivismus handelt, jetzt als solcher kenntlich und somit so legitim wie notwendig.

Am Montag schaltete sich schon mal Bundesjustizminister Marco Buschmann ein: Als einer der größten Arbeitgeber des Landes müsse die Kirche dem Grundsatz Rechnung tragen, dass niemand wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt werden dürfe. Ob das hilft? 125 Outings - das sind jedenfalls zu viele, um jeden Einzelnen kirchenrechtlich zu belangen, ohne dass die Öffentlichkeit jetzt davon erführe. "Der Einzelne erfährt Schutz, wenn es viele sind," heißt es in der Doku. Jetzt liegt es an der Kirche, wie sie mit diesen Vielen umgeht.

Wie Gott uns schuf, Dokumentation von Hajo Seppelt, Katharina Kühn, Marc Rosenthal und Peter Wozny, ARD Mediathek.

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