Süddeutsche Zeitung

Fußballportal "Otro":Komm näher

  • Die neue Video-Plattform "Otro" soll ein "digitaler Fanclub" für Fußballinteressierte sein.
  • Verpflichtet hat das Onlineportal 17 der bekanntesten Fußballer der Welt, darunter Lionel Messi, Luis Suárez, James Rodríguez, Neymar Jr. und Jérôme Boateng.
  • Das Unternehmen folgt dem Trend, dass Spieler immer mehr die Bosse ihres eigenen Bildes und ihrer Worte bleiben wollen.

Von Benedikt Warmbrunn

Vor wenigen Tagen hat sich der Fußball-Nationalspieler Jérôme Boateng über ein paar seiner wichtigsten Mitspieler beim FC Bayern lustig gemacht. Den schlechtesten Musikgeschmack im Team? Thomas Müller. Am längsten vor dem Spiegel? Mats Hummels. Der Unmodischste? "Das wissen Sie schon. Thomas Müller, erster Platz." Boateng hat noch weitere Geheimnisse aus der Kabine verraten, unter anderem jenes, dass Javier Martínez vor (!) dem Aufwärmen immer erst einmal unter die Dusche gehe; es waren alles kleine, nette Anekdoten.

Der Profifußball in Deutschland steht unter einer medialen Dauerbeobachtung, nichts passiert, ohne dass es zu einer Schlagzeile aufgebauscht wird; in dieser Woche erst war es bild.de eine prominent platzierte Meldung wert, dass Stig Töfting, ein früherer Spieler des Hamburger SV, im dänischen Fernsehen gefurzt hatte. In dieser aufgebauschten Parallelwelt muss ein Nationalspieler und Weltmeister wie Boateng eigentlich schweigen, um nicht auf allen Kanälen und Portalen zitiert zu werden. Doch mit seiner jüngsten Anekdoten-sammlung ist es ihm dennoch gelungen, dass kaum jemand etwas davon mitbekommen hatte.

Denn die Geschichtchen hatte Boateng keiner Tageszeitung erzählt, keinem Internetportal, auch nicht dem Rund-um-die-Uhr-Aufbausch-Sender "Sky Sports News HD". In all diesen Fällen hätten sich diese Interna aus der Bayern-Kabine schnell vervielfältigt. Gesprochen hatte Boateng bei einem Portal, das noch darum kämpfen muss, wahrgenommen werden. Gesprochen hatte er mit "Otro".

17 Sportprofis plaudern auf Otro - darunter Lionel Messi, Neymar Jr. und Lieke Martens

Die Video-Plattform ist laut Eigenbezeichnung ein "digitaler Fanclub", sie soll, sagt Kommunikationsdirektor Tim Potter, "die andere Seite der Spieler zeigen", deshalb auch der Name - otro ist das spanische Wort für: anders. Versammelt haben sich 17 der besten und bekanntesten Fußballer der Welt, darunter Lionel Messi, Luis Suárez, James Rodríguez, Neymar Jr. Auch nicht mehr aktive Spieler sind dabei, darunter natürlich David Beckham, der größte Markenbotschafter seiner selbst. Unter den 17 sind immerhin zwei Fußballerinnen, die Niederländerin Lieke Martens und die Engländerin Toni Duggan. Und Jérôme Boateng, der ist auch dabei, als einziger Deutscher.

Seit Anfang Dezember ist die Plattform online, sie startete mit 65 Videos, jeden Tag werden weitere hinzugefügt. Manche Spieler haben sich dazu verpflichtet, wöchentlich für einen neuen Beitrag vor der Kamera zu stehen, andere monatlich, manche einmal im Quartal. Der Hauptgeldgeber ist "23 Capital", das sich auf die Finanzierung von Projekten in Sport und Unterhaltung spezialisiert hat und dem Vernehmen nach 50 Millionen Pfund zur Verfügung gestellt hat. Zwei der drei Gründer arbeiten für 23 Capital, der dritte verantwortet die weltweite Kommunikationsstrategie von Beckham. Fünf Produktionsfirmen hat Otro engagiert, hinzu kommen knapp 70 Mitarbeiter in der Zentrale. Die 17 Athleten erzählen dann in Interviews aus ihrem Leben, Beckham spricht über seine Leidenschaft für das Motorradfahren, Boateng über seine Töchter. Oder sie blödeln gemeinsam, in einem Video zielen Messi, Neymar, Beckham & Co. mit Fußbällen auf Drohnen (sie treffen zehnmal).

Doch ist das wirklich: anders?

Anders ist zunächst, dass die Mitgliedschaft für Fans monatlich 3,99 Euro kostet, und dass die Spieler von jedem Mitglied ihres Fanklubs profitieren. "Sie haben auch ein Investoreninteresse", sagt Potter, dafür, dass sie ihre Bilder freigeben, erhalten sie einen Teil der Einnahmen. Anders ist also, dass ihnen nicht wie in traditionellen Interviews unangenehme Fragen gestellt werden können, die dann von anderen Medien noch unangenehmer aus dem Kontext gerissen werden können. Die Spieler bleiben die Bosse ihres eigenen Bildes und ihrer Worte, und sie verdienen damit Geld. "Wir folgen dem Trend, dass immer mehr Sportler selbst zu Medienunternehmern werden", sagt Potter.

In die Plattformen werden Millionen investiert. Und immer mehr Sportler steigen ein

Angefangen hatte im Oktober 2014 der frühere Baseball-Profi Derek Jeter mit The Players' Tribune, in das mehrere Investoren, darunter Google Ventures, 60 Millionen Dollar gesteckt haben. Dort erzählen Sportler aus ihrem Leben, oft sind die Texte journalistisch hochwertig aufbereitet, manchmal sogar exklusiv: 2015 gab der Basketballer Kobe Bryant auf The Players' Tribune in Form eines Gedichts seinen Rücktritt bekannt, 2016 Kevin Durant seinen Wechsel zu den Golden State Warriors. In "Piqué+", einem Ableger der Players' Tribune, interviewt Gerard Piqué vom FC Barcelona andere Fußballer. Und 2015 startete der Basketballer LeBron James die Video-Plattform "Uninterrupted", in die Time Warner 15 Millionen Dollar investierte. Auch Boateng ist in diesem Herbst schon einmal unter die Medienunternehmer gegangen - in seinem Magazin Boa gibt er aber nicht unbedingt Einblicke in sein Leben, eher in seine Weltsicht.

Die Formate von Jeter, Piqué und James sind frei zugänglich, sie werden allerdings von Sponsoren präsentiert, die ausgleichen, dass die Folgen kaum angeklickt werden. Nach eigenen Angaben wird eine Episode von "Uninterrupted" 175 000 Mal heruntergeladen, The Players' Tribune hat drei Millionen Aufrufe im Monat. Otro dagegen, betont Potter, sei frei von Werbung, dadurch unterscheide es sich auch von sozialen Medien, wo viele Sportler ebenfalls kleine Einblicke in ihr Leben gewähren. "Bei uns gibt es keine Clips, um für den Schuhsponsor zu werben", sagt PR-Chef Potter.

"Wir sehen uns als Ergänzung. Wir können nicht die journalistische Tiefe wie traditionelle Medien liefern, wir haben aber auch keine Agenda wie viele Profile bei Instagram. Was wir bieten, ist ein lustiger, dauerhafter Einblick in das Leben der Stars."

Das Angebot widerspricht aber dieser reinen Lehre: Zur Sicherheit werden auch Instagram-Einträge der 17 Profis auf Otro eingebaut, wie der von Martens, in dem sie sagt, dass sie ohne ihren Schmucksponsor "nicht mehr leben" könne.

Deshalb also otro. Nicht besser, sondern einfach nur anders.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2018/luch
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