Süddeutsche Zeitung

Österreich:Keine Wahl

Der Stiftungsrat des ORF hat einen neuen Generaldirektor: Es ist, nicht überraschend, der ÖVP-Favorit Roland Weißmann. Was das für die Sender und das Publikum bedeutet.

Von Cathrin Kahlweit

Die Abstimmung ist vorbei, die Schlacht geschlagen. Wobei es am Ende dann eher ein sorgsam durchkalkulierter Deal war, mit dem der bisherige Vize-Finanzdirektor und Chef-Producer Roland Weißmann am Dienstag zum neuen Generaldirektor des ORF gekürt wurde. Wochenlang hatte eine Wahl, die keine war, die Gemüter erhitzt und die Kommentarseiten der österreichischen Medien gefüllt. Obwohl das Ergebnis im Prinzip feststand, war bis zuletzt debattiert worden, ob die ÖVP ihren Kandidaten für die Leitung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wirklich problemlos würde durchsetzen können - oder tatsächlich schamlos würde durchsetzen wollen. Ob damit der fortschreitenden "Orbánisierung" der österreichischen Politik- und Medienlandschaft Vorschub geleistet würde. Und ob eventuell doch noch Überraschungen zu erwarten wären.

Nun, es gab keine; bereits am Wochenende hatte sich abgezeichnet, dass Weißmann, einer von insgesamt 14 Bewerbern für den Posten des Generaldirektors und einer von drei Kandidaten, die sich eine Erfolgschance ausrechnen konnten, mit satter Mehrheit gewählt würde. Zum Schluss erhielt er 24 von 35 Stimmen, er wird sein Amt nun am 1. Januar 2022 antreten.

Denn die Grünen, Regierungspartner von ÖVP und Kanzler Sebastian Kurz, hatten zugesichert, den Kandidaten, der als Favorit der Kurz-Truppe galt, mitzuwählen. Im Stiftungsrat, der von Regierung, Parteien, Ländern und bedingt unabhängigen Organisationen besetzt wird, hatte die ÖVP bei dieser Wahl ohnehin eine Mehrheit gehabt, Weißmann wäre also mit großer Wahrscheinlichkeit sowieso gewählt worden. Weshalb der kleine Regierungspartner - trotz des zu erwartenden Shitstorms von Kulturszene, Opposition und enttäuschten Grün-Wählern - argumentierte, dann könne man den Mann ja auch gleich mitwählen. Aber eben auch Bedingungen stellen, um in der Folge im Sender mitgestalten und zu erwartende Interventionen der ÖVP minimieren zu können. Der Shitstorm folgte dann auch prompt. Prominente Schriftsteller wie Robert Menasse, Elfriede Jelinek und Monika Helfer warfen den Grünen "Unterwerfung" vor.

In Österreich ist die Kür des ORF-Generaldirektors per se ein politischer Akt

Zwei Direktorenposten, jene für Finanzen und Programm, sollen den Grünen zugesichert worden sein, was diese vor der Sitzung ebenso wenig bestätigen wollten wie andere Details der Verhandlungen mit Bewerbern und Regierungspartner. Sigrid Pilz, Patientenanwältin der Stadt Wien und von den Grünen in den Stiftungsrat entsandt, sagte der SZ, mit den Stimmen für Weißmann, für den ohnehin eine klare Mehrheit bestanden hatte, sei nun immerhin die Chance verbunden, den ORF diverser, transparenter, unabhängiger zu machen. Insbesondere sollten "starke, parteiunabhängige Direktoren und Direktorinnen in zentralen Bereichen bestellt" werden und "endlich mehr Frauen in Führungspositionen zum Zuge kommen".

Die Kür eines Generaldirektors des mächtigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich ist per se ein politischer Akt. Im ORF-Gesetz ist zwar explizit die Rede von einem "unabhängigen" Medienunternehmen, das "als Stiftung öffentlichen Rechts definiert" sei, aber mit der Unabhängigkeit war es nie weit her. Bestellt wird der Intendant mit einfacher Mehrheit und in offener Abstimmung per Handzeichen vom politisch besetzen Stiftungsrat; 2001 hatte die Koalition aus ÖVP und FPÖ das Gesetz geändert, das zuvor eine geheime Wahl und eine größere Stimmmehrheit erfordert - und damit die Chance für Überraschungen erhöht hatte. Der damalige Fraktionschef der ÖVP, Andreas Khol, hatte die Selbstverständlichkeit, mit der in Österreich die Politik den ORF vereinnahmt, unter Schwarz-Blau auf den Punkt gebracht mit seiner Bemerkung, er wolle die "roten Gfrieser", also lästige, nervtötende Menschen, nicht mehr im ORF sehen. Auch bei der Bestellung der Direktoren der Landesstudios haben die Landeshauptleute bis heute ein Mitspracherecht. Dies immerhin stellte der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) in einem kleinen Akt der Auflehnung gegen die Bundespartei am Dienstag termingerecht infrage.

Der bisherige Amtsinhaber, Alexander Wrabetz, war vor 15 Jahren auf einem Ticket der SPÖ ins Amt gekommen und durch geschicktes Taktieren zwei Mal wiedergewählt worden. Aber mit den Wahlerfolgen der Kurz-ÖVP verschoben sich die Machtverhältnisse im Stiftungsrat zuletzt endgültig zugunsten der Konservativen. Weshalb Wrabetz, der gern weitergemacht hätte und sich trotz maximaler politischer Anpassungsfähigkeit als ÖVP-kritischer Bewerber präsentiert hatte, in einer Vorstellungsrunde im Privatsender Puls24 sagte, die Situation bei dieser Wahl sei "neuartig": Nicht nur könne aufgrund einer "bestimmten Arithmetik" eine Gruppe den Direktor erstmals allein bestellen, sondern diese Gruppe, gemeint war der ÖVP-Freundeskreis im Stiftungsrat, habe nicht einmal "intern demokratisch entschieden". Ein "Externer" habe vielmehr gesagt, wer zu bestellen sei: der Medienbeauftragte im Bundeskanzleramt. "Fleischmann heißt er. Nicht Weißmann", so der amtierende Generaldirektor patzig.

Das alles ist in der Tat kein Geheimnis, auch wenn Weißmann selbst betont, er habe "kein Parteibuch". Aber Auftritte vor dem ÖVP-Freundeskreis in Anwesenheit vom türkisen Kanzlerbeauftragten für Medien, Gerald Fleischmann, die in den vergangenen Tagen auch als Screenshots kursierten, deuten auf eine politische Nähe hin, die etwa Lisa Totzauer, der dritten Kandidatin, die sich gute Chancen ausgerechnet hatte, so nicht unterstellt wurde - auch wenn sie als bürgerliche Bewerberin der "alten ÖVP" gehandelt wurde. Der Sprecher des türkisen Freundeskreises, Thomas Zach, lobte Weißmann nach der Wahl brav als "innovativen Medienmanager" und Teamplayer.

Die Regierung Kurz ist bekannt dafür, dass sie Berichterstattung zu beeinflussen versucht

Alle Kandidaten präsentierten am Dienstag nacheinander ihre Konzepte, es ging um Digitalisierung, Kooperationen mit privaten Partnern, Trimedialität, den neuen Newsroom, aber schon vor Sitzungsbeginn um 10 Uhr waren sich alle Beobachter einig gewesen: Das Rennen ist gelaufen. Dass die Kurz-Regierung, die auf präzise Message-Control setzt und dafür bekannt ist, wahlweise mit direkter Kritik oder mit hohen Anzeigenbudgets unverhohlenen Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen, sich zurückhalten würde, damit hatte ohnehin niemand gerechnet. Anders ihr Koalitionspartner: Dieter Bornemann, Redaktionssprecher des ORF und deutlicher Kritiker eines Systems, in dem der ORF täglich neu um seine Unabhängigkeit kämpfen muss, sagte der SZ, die Grünen hätten in der Regierungsarbeit mehrfach bewiesen, dass sie "nicht widerständig" seien.

Schaden muss ihnen aber ihr Abstimmungsverhalten trotzdem nicht, sagt Peter Filzmaier. Der Politikwissenschaftler, der regelmäßig im ORF auftritt und betont, dass er daher zur Wahl des Generaldirektors nichts sagen wolle, analysiert lieber die "grundsätzliche Strategie" der Partei, "bei Deals mit den Türkisen ihre eigenen Interessen durchzubringen". Leichte Verluste bei den nächsten Wahlen seien zwar zu erwarten, aber die SPÖ, die ebenfalls jahrzehntelang Deals mit der ÖVP gemacht habe, sei als Konkurrenz politisch zu schwach und könne sich jetzt auch schwerlich als "Rächer der Enterbten" hinstellen.

So bleibt vorerst alles beim Alten. Diskutiert wird - außer von frustrierten Redakteuren im ORF und Medienexperten - weniger die Zukunftsfähigkeit des Österreichischen Rundfunks als die Rolle der Politik im ORF. Der regierungsnahe Kurier hatte auf seiner Homepage schon am Montag diese Meldung über Roland Weißmann platziert: "Schwarzer Gürtel und Finanzkompetenz: Das ist der neue ORF-Chef". Da hatte die Abstimmung noch gar nicht stattgefunden.

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