ORF-Moderator Armin Wolf schreibt Bestseller:Plädoyer für das Kulturgut Zeitung

Armin Wolf

Der prominente ORF-Moderator Armin Wolf setzt sich für die altmodischen Medien Fernsehen und Zeitung ein, doch er ist auch Ober-Twitterer der Nation.

(Foto: ORF)

Liebeserklärung an den eigenen Beruf: Der bekannteste Journalist Österreichs, Armin Wolf, hat aufgeschrieben, warum Zeitungen und Fernsehen wichtig sind. Und das, obwohl immer weniger Menschen diese altmodischen Medien nutzen. Seine Analyse ist im Nachbarland jetzt ein Bestseller.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Eine Liebeserklärung macht man üblicherweise seiner Frau, oder seinem Freund, und in der Regel macht man das privat. Es ist davon auszugehen, dass auch Armin Wolf das so hält, denn er ist, seiner Passion für soziale Medien zum Trotz, ein sehr diskreter Mensch.

Gleichwohl hat sich der bekannteste Journalist Österreichs, der seit vielen Jahren das Nachrichtenjournal Zeit im Bild (ZiB2) im ORF moderiert, mit einer Liebeserklärung an die Öffentlichkeit gewagt - und das in einem eigentlich überaus sach- und fachorientierten Umfeld: an der Universität Wien.

Vor mehr als 1000 überwiegend jungen Menschen, viele davon bekennende Fans, hatte er im Rahmen der "Theodor-Herzl-Dozentur 2012" die Frage zu behandeln: "Wozu brauchen wir noch Journalisten?" Daraus ist jetzt ein schmales Buch geworden, und man kann die tiefen Gefühle, die der gebürtige Tiroler seiner Profession entgegenbringt, nun nachlesen. Das tun offenbar - trotz des bedingt massentauglichen Themas - so viele Menschen, dass Wolf damit in Österreich auf der Bestsellerliste steht.

Im Grundsatz gilt ja für Journalisten die Regel, sie sollten nicht über sich selbst sprechen oder schreiben; vom Publikum wird das, zu Recht, schnell als Eitelkeit interpretiert. Was aber, wenn ein Journalist über den Journalismus sprechen soll - und damit über eine Branche, die, zumindest in ihren klassischen Formen, im Niedergang begriffen ist, ökonomisch in jedem Fall und letztlich auch in ihrer Bedeutung?

Wenn die "Dienstleistung Journalismus" immer weniger nachgefragt wird? Wenn immer mehr Menschen in einer filter bubble leben, also vorwiegend Informationen suchen und aufnehmen, die dem entsprechen, was sie wollen oder kennen? Dann geht es für einen Profi um das Überleben seines Mediums und um den eigenen Job, klar, aber eben auch um mehr. Dann muss eine Mischung aus Hingabe und Sachkunde erlaubt sein, denn es gilt, ein Kulturgut zu retten, nicht mehr und nicht weniger.

Nur ein halbes Glück

Armin Wolf ist ein Fernsehmann aus Österreich. Der ORF hat als öffentlich-rechtliches Medium in diesem kleinen Land eine unangefochtene Stellung; der 47-Jährige, der auch stellvertretender Chefredakteur im ORF-Fernsehen ist, hat daher leicht reden. Eigentlich. Auch lesen, das besagen Medienanalysen, in Österreich prozentual mehr Menschen Zeitung als in Deutschland, und sie sind auch im Durchschnitt jünger.

Aber das Glück ist nur ein halbes: Dreiviertel der Österreicher lesen Boulevardzeitungen, die Krone, Österreich, Heute, von denen die beiden letzten gratis ausliegen und Städte, Straßen, Straßenbahnen, Bürgersteige täglich mit Bergen von weggeworfenem Papier verschandeln. Wenn man allein diese Umweltverschmutzung nimmt, braucht es vielleicht wirklich keinen Journalismus mehr.

Andererseits beweist der mehrfach preisgekrönte Armin Wolf, dass man mit harten, bisweilen peinigenden Interviews mehr Politik machen kann als manche Politiker in einer Legislaturperiode. Manchmal würde man sich auch im Heute-Journal oder in den Tagesthemen weit mehr von jener Unverdrossenheit wünschen, mit der Wolf und seine Kollegin Lou Lorenz-Dittelbacher Hohlredner und Nichts-Sager zerlegen. Dass in der ZiB2 die Interviews so viel Platz einnehmen, sei nur einem Mangel an Ressourcen geschuldet, heißt es in der Redaktion fast entschuldigend, man habe zu wenig Geld und zu wenig Leute, um lange Beiträge zu machen. Allein im kommenden Jahr muss der ORF 70 Millionen Euro sparen.

"Sie schauen uns nicht zu"

Aber Schluss mit dem Kollegen-Lob, denn wenn man Wolf folgt, dann ist es eigentlich sowieso ziemlich egal, was ORF, ZDF oder ARD senden oder wie gut sie sind: "Wir Nachrichtenmenschen", sagt er, "haben ein wirkliches Problem mit der jungen Generation", also den Medien-Nutzern der Gegenwart wie der Zukunft: "Sie schauen uns nicht zu."

1980, rechnet Wolf vor, hätten die Fernsehnachrichten der drei großen Networks in den USA noch 55 Millionen Zuschauer gehabt, 30 Jahre später nur noch 22 Millionen - obwohl die Einwohnerzahl parallel stark anstieg. Und diese Zuschauer werden immer älter, sie sind im Schnitt 62, das ist doppelt so viel wie der Altersdurchschnitt im Land. In Deutschland sind die Zahlen vergleichbar.

Es habe lange die Hoffnung gegeben, schreibt Herzl-Dozent Wolf, dass die Jungen zu Zeitungen griffen oder TV-Nachrichten und Dokumentationen schauten, wenn sie älter werden. Stimmt aber nicht. Sie sind weg, verloren.

Was digital natives, also Menschen, die quasi mit Laptop, Smartphone und iPad geboren werden, betreiben, dass nennt man in den USA (wo Wolf als Korrespondent gearbeitet und auch recherchiert hat): grazing, scanning, snacking und zapping - also grasen, rastern, knabbern und zappen. Informationsstückchen werden konsumiert, die gerade des Wegs kommen. Wenn sie nicht des Wegs kommen, auch gut.

"Wenn Nachrichten wichtig sind, werden sie mich finden", zitiert der Moderator einen amerikanischen Studenten. Stattdessen wird im Internet gesurft und gebloggt und gechattet und gegoogelt, und das sei auch eigentlich ganz großartig, findet Armin Wolf, der selbst ein populärer Twitterer ist. Denn: Das ist die "Pressefreiheit des 21. Jahrhunderts von mehr als zwei Milliarden Menschen mit Internetzugang".

Und warum braucht es dann noch Journalisten? Für die Recherche, sagt Wolf, die Auswahl, das Redigieren, das Publizieren. Weil große Datenmengen, siehe Wikileaks oder Offshore-Leaks, gelesen, sortiert, ausgewertet, interpretiert sein wollen. Weil der Think Tank Pew Research Center eine Woche lang 53 verschiedene Medien im Raum Baltimore ausgewertet hat - und die Berichte mit echten News zu 95 Prozent in altmodischen Medien zu finden waren. Weil es ganz schön ist, wenn jemand, der professionell an die Sache herangeht, die Informationsflut der Welt filtern hilft. Weil Journalismus aus gutem Grund ein Beruf ist, den man lernen muss.

Für die digitale Zukunft vorgesorgt

Soweit eine kurze Zusammenfassung der Liebeserklärung, die natürlich auch ein Statement in eigener Sache ist, von Wolf im Namen aller Kollegen. Helfen wird das wahrscheinlich nicht viel. Das Geld, die Kunden, die Werbetreibenden wandern aus traditionellen Medien ab, und in den USA gibt es die erste Website, die tote Zeitungen zählt: NewspaperDeathWatch.com.

Nimmt man es genau, ist Armin Wolf allerdings auf der sicheren Seite. Den ORF dürfte es noch eine Weile geben, außerdem hat Wolf als Ober-Twitterer der Nation 80.000 Follower. Der Mann hat für die digitale Zukunft vorgesorgt. Außerdem: Eigentlich wollte der promovierte Politikwissenschaftler immer Universitätsprofessor werden. Wenn alle Stricke reißen, könnte das auf lange Sicht noch ein angenehmer Ausweg sein.

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