Nichts weist darauf hin, dass hinter diesen Mauern an der Zukunft des Onlinejournalismus herumgetüftelt wird. Es gibt noch nicht einmal ein eigenes Klingelschild. Die Krautreporter sind bei den Softwareentwicklern von Bitcrowd untergeschlüpft, hier in diesem Hinterhof in bester Hipster-Lage von Berlin-Neukölln. Das fehlende Klingelschild sei keine Absicht, versichert Sebastian Esser zur Begrüßung, der Mitgründer und Herausgeber des Onlinemagazins.
Trotzdem hat man beim Besuch den Eindruck, dass die Redaktion nach dem ersten Hype während der Crowdfunding-Phase im Frühsommer heilfroh ist, endlich in Ruhe an ihrem Onlinemagazin arbeiten zu können. Aus der Deckung kommen müssen die Krautreporter noch früh genug.
Von diesem Freitag an sei die Seite "sehr wahrscheinlich für alle online", sagt Sebastian Esser in aller antrainierten Vorsicht, seit gut zehn Tagen sind die 17 585 Unterstützer eingeladen, Krautreporter auszuprobieren, Programmierfehler zu melden oder Verbesserungsvorschläge zu machen. Und auf die Mitglieder kommt es schließlich an bei diesem ehrgeizigen Projekt. "Für uns ist es superwichtig, dass die Leute das Gefühl haben, dass es sich lohnt, sich zu beteiligen", sagt Esser, "nur dann haben wir auf längere Sicht ein Geschäftsmodell."
Gut eine Million Euro wurden bis zum 7. Juli eingenommen, aktuellere Zahlen veröffentlichen die Krautreporter nicht. Damit ist der Betrieb für ein Jahr gesichert; ob Mitglieder darüber hinaus dabeibleiben und genügend neue hinzukommen, um Abgänge auszugleichen, ist offen. Die Grundstimmung gegenüber Krautreporter bewertet Esser als sehr positiv. "Der Vertrauensvorschuss ist da", sagt er, "wir dürfen den jetzt bloß nicht verspielen."
Slowfood-Journalismus
Rhetorisch haben die Krautreporter spürbar abgerüstet: Hatten sich einige der etwa 30 Autoren, mittlerweile erfreulicherweise um einige Autorinnen ergänzt, in einem Werbevideo zum Crowdfunding recht unsympathisch-breitbeinig präsentiert, ist diese Hybris beim Redaktionsbesuch nur noch als fernes Echo wahrnehmbar. "Ich würde gern das Missverständnis ausräumen, wir hielten uns für die Zukunft des Journalismus", sagt Esser. "Nicht nur, dass wir das niemals schaffen würden, wir versuchen es gar nicht erst." Lieber tiefstapeln als tief fallen. Krautreporter sei keine Alternative zu etablierten Tageszeitungen oder Magazinen, sondern ähnele eher "Liebhaber-Feinschmecker-Slow-Food-Journalismus".
Der Vergleich ist ziemlich gut gewählt, denn der Community-Gedanke ist zentral für das Selbstverständnis der Krautreporter. Um im Bild zu bleiben: Hier wird nicht gegessen, was auf den Tisch kommt, hier sind die Mitglieder aufgefordert, am Menü der Seite mitzukochen. "Der Ansatz ist nicht: wir für euch. Sondern: wir gemeinsam." Genau für diese Teilhabe zahlen die Mitglieder: Jeder kann Artikel lesen, verlinken und verschicken, aber kommentieren, mitdiskutieren und an Krautreporter-Veranstaltungen wie einem Blogger-Workshop mit Richard Gutjahr teilnehmen, können nur Mitglieder. Die Paywall ist also vor der Community hochgezogen.