Online-Magazin:Alles für die Blase

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Vor drei Jahren startete "Politico" in Europa als Portal für die "Brussels Bubble". Inzwischen verdient das Unternehmen Geld als exklusiver Club für Leser, die es sich leisten können, für Informationen zu zahlen.

Von Alexander Mühlauer

Um gleich zu zeigen, worum es hier geht, nimmt sie ihren Stift und zeichnet einen Kreis auf ein Blatt Papier, so wie Kinder eine Seifenblase malen. "Wir hatten eine klare Mission", sagt sie und kritzelt im Kreis herum. "Unsere Mission war es, die Meinungsführerschaft in dieser Blase zu übernehmen." Diese Blase, das ist die "Brussels Bubble". In ihr tummeln sich all jene, die in Brüssel Politik machen, sie beeinflussen wollen oder über sie reden - und sei es nur, um sich als Teil der EU-Machtmaschine zu wähnen. Sie alle, die Kommissare, Abgeordneten, Lobbyisten, Journalisten und sonstigen Gefühlseuropäer sollten eine neue Pflichtlektüre bekommen. Der Anspruch war es, ein Medium zu etablieren, das alle lesen müssen, die wissen wollen, was in der EU-Kapitale passiert. Sein Name: Politico.

Nun, ob man den eigenen Ansprüchen gerecht wird, ist ja immer eine Frage der Perspektive. Shéhérazade Semsar-de Boisséson blickt jedenfalls zufrieden auf das vollgekritzelte Papier vor ihr und findet: "Wir sind ein Must-Read in dieser Stadt." Semsar ist Managing Director von Politico in Brüssel und naturgemäß von ihrem Produkt sehr überzeugt. Vor drei Jahren, im April 2015, eröffnete der Europa-Ableger der gleichnamigen US-Publikation sein Brüsseler Büro. Die Politico-Kollegen in Washington hatten vorgemacht, wie man es schafft, eine Polit-Blase mit Nachrichten und einer ordentlichen Prise Klatsch zu versorgen.

Und sie haben bewiesen, dass man in Zeiten der Digitalisierung mit politischem Journalismus Geld verdienen kann. Aber eben nicht nur damit, denn Politico ist mehr als nur ein Online-Portal samt gedruckter Wochenzeitung und morgendlichem Newsletter; es ist vor allem auch eine Eventagentur und ein exklusiver Club für Leser, die es sich leisten können, Tausende Euro für Informationen zu zahlen.

Die neueste Entwicklung ist ein Service, der Daten für Abonnenten journalistisch aufbereitet

In Brüssel sieht die Lage so aus: Nach Angaben von Politico wächst der Umsatz jährlich um 30 Prozent. Wie hoch dieser genau ist, will das Unternehmen aber nicht sagen. Nur so viel: In diesem Jahr soll der Cashflow positiv sein, sprich das Geschäft finanziert sich von allein. 2019 will das Unternehmen schwarze Zahlen schreiben. Damit hätte Politico in vier Jahren geschafft, was einem Medienbetrieb in diesen nicht ganz einfachen Zeiten erst einmal gelingen muss: ein profitables Produkt auf den Markt zu bringen.

Als Semsar im Jahr 2013 die Wochenzeitung The European Voice aus der Economist-Gruppe erwarb, um daraus ein europäisches Politico zu machen, hatte sie gerade einmal 20 Mitarbeiter um sich. Dann bildete die Französisch-Iranerin ein Joint Venture mit dem Berliner Verlag Axel Springer. Heute arbeiten 140 Leute in einem Bürohaus an der Rue de la Loi im Brüsseler Europaviertel.

Nachdem das Event-Geschäft einigermaßen gesättigt ist, konzentriert sich Politico vor allem auf Abonnement-Modelle. Exklusive Bezahlinhalte sollen im nächsten Jahr die Hälfte des Umsatzes erwirtschaften. Der Rest kommt durch Veranstaltungen, Sponsoren und Werbeeinnahmen. Um dieses Ziel zu erreichen, versucht Politico gerade, die Leser von einem neuen Abo-Dienst zu überzeugen. Bislang gibt es unter der Marke "Politico Pro" spezielle Themendienste, die man abonnieren kann, etwa zur Energie- und Gesundheitspolitik. Daneben gibt es Querschnittsabos zu den Themen Brexit oder Nachhaltigkeit. Am 2. Mai soll "Data Point" starten, ein Service, der Daten journalistisch aufbereitet. So sollen Abonnenten zum Beispiel Präsentationen zu EU-Gesetzgebungsverfahren herunterladen und sie für ihre eigene Arbeit nutzen können.

In den USA bietet das Politico bereits an. Unternehmen, NGOs oder politische Parteien zahlen dafür. Die Preise der Pro-Abos richten sich nach der Zahl der Nutzer pro Organisation. Sie beginnen bei 7000 Euro jährlich, können aber auch im hohen fünfstelligen Bereich liegen. Die Frage ist allerdings, was das noch mit klassischem Journalismus zu tun hat, denn Politico schließt damit den Großteil der Öffentlichkeit aus. Es ist vielmehr ein exklusiver Leserclub für Zahlungskräftige. Eine Pflichtlektüre kann das nur äußerst bedingt sein, schließlich ist es für viele schlicht zu teuer.

Um diesen Vorwurf zu entkräften, gibt es bei Politico auch ein kostenloses Produkt: den werktäglichen Newsletter "Brussels Playbook", der um kurz vor sieben Uhr morgens in den E-Mail-Postfächern all jener landet, die ihn bestellt haben. Wenn es bei Politico etwas gibt, das in der Brüsseler Blase wirklich gelesen wird, dann ist es dieses Briefing. Im besten Fall ist es eine Mischung aus exklusiven News, Denkanstößen und ein wenig Gossip - garniert mit der ein oder anderen ironischen Bemerkung des Verfassers Florian Eder, eines mittlerweile auf Englisch schreibenden europhilen Niederbayern. Es gibt aber auch Tage, da kann er nicht viel mehr machen, als das Gesumme in der Blase abzubilden, die sich vorzüglich mit sich selbst beschäftigt. Nicht zu verachten ist allerdings, wen er damit alles erreicht: die Europa-Korrespondenten der nationalen Medien aller EU-Staaten.

Das hat natürlich auch die Europäische Kommission und so mancher Abgeordnete des EU-Parlaments entdeckt. Und so ist es kein Wunder, dass Gesetzesentwürfe direkt an Politico durchgestochen werden, in der Hoffnung, damit eine möglichst große Zahl an Weiterverbreitern zu erwischen. Es gibt Journalisten in Brüssel, die Politico deshalb eine unkritische Hofberichterstattung vorwerfen. Andererseits hat das Medium Geschichten veröffentlicht, die Jean-Claude Juncker gar nicht gefallen haben. So thematisierte Politico etwa 2015 die Nierensteine des Kommissionspräsidenten.

Chefredakteur Matthew Kaminski, der früher als Korrespondent des Wall Street Journal in Brüssel und Paris gearbeitet hat, will harte Nachrichten ebenso wie Personality-Geschichten. Zum Beispiel ein Ranking von Europaabgeordneten, die angeblich Dinge getan haben sollen, auf die sie nicht gerade stolz sind. Auf Platz eins: der immerblonde Ostwestfale Elmar Brok, seit 1980 für die CDU im EU-Parlament. Politico beruft sich auf Parlamentsmitarbeiter, Brok weist die Schilderungen zurück.

Nun ist es so, dass in Brüssel auch schon in Zeiten vor Politico über die Launen von Juncker, Brok und anderen Blasenbewohnern geredet wurde. Nur: Jetzt wird auch darüber geschrieben.

© SZ vom 09.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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