Auf dem ersten Blick gleicht keiner der Morde dem anderen: In Malta töteten drei Auftragskiller am 16. Oktober 2017 die Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia mit einer Autobombe, die unter ihrem Sitz angebracht worden war. In der Slovakei drangen am 21. Februar 2018 zwei Männer in das Haus ein, in dem Investigativjournalist Jan Kuciak - einer der Panama Papers-Rechercheure - lebte, und erschossen Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová. In der Türkei betrat am 2. Oktober 2018 Jamal Kashoggi, meinungsstarker Kolumnist der Washington Post, das saudi-arabische Konsulat. Er verließ das Konsulat in Istanbul nicht wieder, ein eigens aus Riad eingeflogenes Exekutionskommando tötet Kashoggi, danach zerteilten und entsorgten sie seine Leiche.
Der zweite Blick zeigt, wie drei kritische Stimmen brutal zum Schweigen gebracht wurden. Das ist eine Gemeinsamkeit. Eine andere: Weder in Malta, noch in der Slowakei und noch viel weniger in Saudi-Arabien wurden bislang die tatsächlichen Hintermänner zur Rechenschaft gezogen. Auch damit senden die jeweiligen Regierungen eine Nachricht, und diese Nachricht ist gefährlich für Journalistinnen und Journalisten auf der ganzen Welt: Straflosigkeit.
Die fatale Botschaft der jüngsten Fälle: dass Morde an unbequemen Rechercheuren straffrei bleiben
Kritische Reporterinnen und Reporter mussten schon immer damit rechnen, zur Zielscheibe für die zu werden, über die sie berichtet haben. Jahr für Jahr werden weltweit unliebsame Berichterstatter ermordet oder in Gefängnisse geworfen, nur weil sie ihren Job tun. Man hat sich daran gewöhnt, dass in autoritären Ländern wie Russland oder China Journalismus immer wieder tödlich endet. Man registriert mit Bedauern, aber ohne Aufschrei, dass in Ländern wie Mexiko Drogenkartelle Recherchen mit Killerkommandos beantworten - so wie es früher die Mafia in Italien getan hat.
Neu ist aber, dass in den vergangenen Jahren immer öfter auch solche Länder zu Schauplätzen von Journalistenmorden wurden, die bislang als sicher galten. Das EU-Land Malta. Oder das EU-Land Slowakei. Neu ist auch, mit welch kalter Präzision und ohne große Rücksicht auf Aufdeckung Saudi-Arabien den US-Residenten Jamal Kashoggi ermordete. Was soll schon passieren?

Mutmaßlicher Journalisten-Mord:Trump verteidigt den saudischen Kronprinzen
Der US-Präsident will auf die saudische Untersuchung zum Verschwinden des Journalisten Jamal Khashoggi vertrauen. Doch neue Details lassen diese Haltung immer naiver erscheinen.
Und tatsächlich: Gewöhnung setzt ein. Wieder ein toter Journalist, wieder eine inhaftierte Journalistin. Die Fälle verschwinden aus den Schlagzeilen, die Aufmerksamkeit wandert weiter.
"Hexe", "Hure", "Schlange": In immer mehr Ländern hetzen Regierende gegen Journalisten
Dagegen will nun eine Koalition internationaler Medien kämpfen, und Monat für Monat eine Dringlichkeits-Liste von zehn Journalistinnen und Journalisten veröffentlichen, deren Freiheit oder gar Leben akut in Gefahr sind, oder deren Fälle aktuell Gerechtigkeit verlangen. Zu den Medien, die sich zur so genannten "One-Free-Press-Coalition" zusammen gefunden haben, gehören neben dem Time Magazine, Forbes, der Financial Times und den Nachrichtenagenturen Associated Press und Reuters noch weitere Medienhäuser, darunter auch die Süddeutsche Zeitung.
Auf der ersten Liste finden sich Reporterinnen und Reporter, die etwa aus Myanmar, aus Kolumbien, dem Südsudan oder Vietnam berichtet haben, ebenso die prominenten Fälle des ermordeten Jamal Kashoggi und der philippinischen Reporterin Maria Ressa, die dem autoritären Präsidenten ihres Landes, Rodrigo Duterte, die Stirn bietet.

Journalistin Maria Ressa:Bedroht, inhaftiert - und immer noch laut
Maria Ressa sorgt dafür, dass die Welt vom Alltag im Drogenkrieg auf den Philippinen erfährt. Damit gefährdet sie ihr Leben. Genau wie neun weitere Journalisten, die wir hier vorstellen.
Auch die türkische Investigativjournalistin Pelin Ünker ist auf der Liste vertreten. Ünker war vor Kurzem zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden - für ihre Mitarbeit an dem von der Süddeutschen Zeitung initiierten Recherche-Projekt Paradise Papers. Die weiteren Reporterinnen und Reporter aus der ersten Dringlichkeits-Liste sind: Eman Al Nafjan aus Saudi-Arabien, Wa Lone und Kyaw Soe Oo aus Myanmar, Claudia Duque aus Kolumbien, Mohamed Cheikh Ould Mohamed aus Mauretanien, Anna Nimiriano aus dem Südsudan, Thomas Awah Junior aus Kamerun und Tran Thi Nga aus Vietnam.
Die Morde sind nur die sichtbarsten Zeichen einer weltweit immer toxischer werdenden Atmosphäre für Reporterinnen und Reporter. In vielen Ländern ist es Normalität geworden, dass Regierende verbal übergriffig werden, wenn ihnen Recherchen nicht passen. Die ermordete Daphne Caruana Galizia wurde als "Hexe" beschimpft, in der Slowakei beschimpften Regierungspolitiker Journalisten als "dreckige Huren" und "Schlangen". In den USA brandmarkt Präsident Donald Trump die ihn kritisierenden Medien regelmäßig als "Feinde des Volkes". Was aber stellen Fanatiker mit "Hexen" an, mit "Schlangen" und "Feinden des Volkes"? Fanatiker bekämpfen sie. Fanatiker töten sie.
Es ist keine Überraschung, dass ein Trump-Fan Bomben an jene Medien verschickt hat, die Trump angegangen war. Eine Überraschung ist es eher, dass trotz Trumps Rhetorik in den USA noch kein Reporter ermordet wurde.