Marokko:Omar Radi drohen bis zu zehn Jahre Haft

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Gegen Omar Radi werden schwerwiegende Vorwürfe erhoben: Spionage und Vergewaltigung. (Foto: Youssef Boudlal/REUTERS)

Der marokkanische Journalist sitzt in Untersuchungshaft und muss sich wegen Vergewaltigung vor Gericht verantworten. Dass ein mögliches Urteil rein von der Wahrheitsfindung geleitet werden wird, darf bezweifelt werden.

Von Moritz Baumstieger

Ein allmächtiger Staat, der Kritiker vernichten will, ein Justizapparat, der fragwürdige Prozesse anstrengt gegen jene, die zu viel hinterfragen: All das kennt Omar Radi gut. Der 34-Jährige ist ein preisgekrönter Investigativ-Journalist, den vor allem Dinge interessieren, die Marokkos Staatsspitze nicht so gerne in der Öffentlichkeit ausgewalzt sieht: Landraub durch korrupte Netzwerke, anrüchige Geschäfte im Umfeld des königlichen Hofes, das brutale Vorgehen des Staates gegen Protestbewegungen in vernachlässigten Regionen, die für ihre Forderungen etwa nach Krankenhäusern mit langen Haftstrafen bezahlen müssen.

Normalerweise ist es Radi, der auf solche Missstände aufmerksam macht - inzwischen ist der Journalist aber selbst Gegenstand der Berichterstattung. Im Netz sammeln Solidaritätsgruppen Unterschriften für seine Freilassung, in Europas Hauptstadt Brüssel haben Aktivisten sein Konterfei an eine Hauswand gepinselt, daneben den Slogan "#free all journalists": An diesem Samstag wird es einen Monat her sein, dass Marokkos Bundespolizei Radi in Untersuchungshaft genommen hat, eine Freilassung ist so bald nicht abzusehen. Der Staat wirft dem aus der Hauptstadt Rabat stammenden Journalisten zwei schwerwiegende Vergehen vor: Spionage und Vergewaltigung.

Dass Radi angeblich vor allem im Auftrag ausländischer Dienste recherchiere, dieser Vorwurf fand seinen Weg bereits im Juni in marokkanische Klatschmedien: Mit einer Spionagesoftware des israelischen Anbieters NSO, die nach Angaben des Herstellers eigentlich nur gegen Kriminelle und Terrorverdächtige eingesetzt werden sollte, waren Daten von Radis Handy abgeschöpft worden. Digital-Forensiker von Amnesty International fanden das heraus, die SZ machte die Vorwürfe gemeinsam mit dem Recherchenetzwerk Forbidden Stories öffentlich. Verschlüsselte private Chats und Daten von Radis Kontobewegungen - etwa eine Überweisung aus dem Ausland - waren im Netz nachzulesen, offenbar hatte sie jemand an die marokkanischen Medien durchgestochen. In der Folge wurde Radi wiederholt zu Verhören einbestellt, Fotografen lauerten ihm auf, wenn er abends in Casablancas Ausgehviertel unterwegs war. Die Einschüchterungskampagne zündete jedoch nicht, in Gesprächen mit der SZ zeigte sich der Journalist weiter angriffslustig und verhöhnte jene, die ihn ausspionierten.

Als Radi dann am 29. Juli verhaftet wurde, legten ihm die Behörden auch Vergewaltigung zur Last. Eine Kollegin der Onlinezeitung Le Desk hatte Radi angezeigt, Mitte Juli nach einem Dinner bei ihrem gemeinsamen Vorgesetzten übergriffig geworden zu sein. Seither durfte nur sein Vater Radi in Haft besuchen, bislang hat sich noch kein Richter mit den Vorwürfen befasst. Dass ein mögliches Urteil rein von der Wahrheitsfindung geleitet werden wird, darf zumindest bezweifelt werden: Vorwürfe von sexueller Gewalt oder der in Marokko verbotenen Abtreibung erhoben marokkanische Behörden in der jüngeren Vergangenheit in gleich mehreren Fällen gegen unliebsame Journalisten, um diese abzuurteilen. Radis Schicksal veranlasste nun eine Frau, die in einem dieser Fälle als Opfer geführt wurde, in der Washington Post darzulegen, wie die Polizei sie zu einer belastenden Aussage drängte. Omar Radi drohen nun bis zu zehn Jahre Haft.

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