Süddeutsche Zeitung

Olympia-Kolumne "Geschlossene Gesellschaft":Jetzt oder nie

Womit hat Peking einen Song wie das ARD-Olympia-Lied von Helene Fischer verdient?

Von Holger Gertz

Kann man eigentlich bei diesen sogenannten Spielen so tun, als wäre alles wie immer? Zu den Fernsehritualen gehört ja der Olympia-Song, jemand singt immer, auch wenn sie bei der ARD mit ihrer Musikauswahl bei Großturnieren selten Glück gehabt haben. Zur Fußball-Weltmeisterschaft 2018 nahmen sie "Zusammen" von den Fantastischen Vier ins Programm. Die Fantastischen Vier sangen: "Wir sind zusammen groß, wir sind zusammen eins." Es hörte sich allerdings an wie: "Wir sind zusammen groß, wir sind zusammen alt", und wer das einmal im Ohr hatte, brachte es nicht mehr raus. Wie bei "Bad Moon Rising" von Creedence Clearwater Revival: Ziemlich am Anfang singen sie "There's a bad moon on the rise", aber die Zeile verliert ihre Wirkung, wenn man sie erst mal als "There's a bathroom on the right" abgespeichert hat.

Der WM-Song "Zusammen" stellte sich 2018 schließlich auch noch als Fluch heraus, denn tatsächlich war die Nationalelf zusammen groß, aber auch zusammen alt geworden, deshalb flog sie schon nach der Vorrunde zusammen heim.

Helene Fischer singt den Olympia-Song, als stünde kein bad moon über Peking

Das ARD-Olympia-Lied 2022 heißt "Jetzt oder nie" und ist von Helene Fischer. Helene Fischer hätte auch für die - wegen Dopings - ohne Fahne und Hymne etwas entwurzelten Russen ihren Hit "Staatenlos durch die Nacht" aufbereiten können, aber sie stampft und powert die ARD-Hymne, denn sie ist einer der größten Stars der deutschen Musik. Auch Herbert Grönemeyer war einer der größten Stars der deutschen Musik und hat mal ein Lied gesungen, das "Jetzt oder nie" heißt, offenbar sind alle großen Stars der deutschen Musik dazu verurteilt, "Jetzt oder nie" zu singen, es ist ein Ritual für sich.

Grönemeyers Lied enthielt die angenehm sperrige Zeile: "Jetzt oder nie/Wascht ihr nur eure Autos." Helene Fischer dagegen singt: "Jetzt oder nie/das hier wird unsere Zeit sein." Und wenn mit "das hier" die Olympiastadt gemeint ist, kann man sich natürlich schon fragen, womit Peking so einen Song verdient hat. Sonst wird im Fernsehen bei den Öffentlich-Rechtlichen doch immer so sehr darauf geachtet zu zeigen, dass die Sause da in China eine ambivalente Angelegenheit ist, der man mit alten Ritualen nicht gerecht wird. Aber für die Musik haben solche Skrupel keine Bedeutung. Helene Fischer singt den ARD-Olympia-Song, als stünde kein bad moon über Peking, sie singt: "Spürst du es auch, diese Energie? Unsere Herzen schlagen denselben Beat." Immerhin hat IOC-Chef Thomas Bach da schon die ersten Zeilen für seinen Gruß an Xi Jinping bei der Schlussfeier.

Drüben beim ZDF haben sie auch ein schönes Ritual, sie stellen zu Olympia immer ein Plüschmaskottchen vor, dem die Zuschauer dann per Abstimmung einen Namen geben können. In Sotschi 2014 wurde ein Wolf "Wotschi" genannt und in Tokio 2021 ein Kugelfisch "Fugu". In diesem Jahr muss ein chinesischer Drache getauft werden. Er hat orangefarbene Hörner und sitzt immer bei den Gästen auf dem ZDF-Studiosofa, aber es ist alles anders diesmal, der erste Namensvorschlag bei Twitter für den Drachen war jedenfalls "Uiguren-Fresser".

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