Olympia im Fernsehen:Jubel, Tränen, Deutschland vor!

Pyeongchang 2018 - Fabian Hambüchen

Der TV-Experte Fabian Hambüchen (r.), unterhält sich mit Eric Frenzel, dem Fahnenträger der deutschen Olympiamannschaft.

(Foto: Thomas Bremser/dpa)

Der neue Rechteinhaber Eurosport präsentiert die Olympischen Spiele als Reigen aus schönen Bildern und guter Laune, also kaum anders als die Kollegen von ARD und ZDF.

Von Thomas Hahn

Am Tag nach dem Olympiasieg des Skispringers Andreas Wellinger in Pyeongchang schickte die Deutschland-Presseabteilung des Medienunternehmens und Olympia-Rechteinhabers Discovery Communications eine Nachricht über ihren Verteiler. Titel: ",Andi Wellinger, Du herrlicher Goldjunge!' Eurosport-Kommentatoren Hannawald und Bielek feiern Goldmoment." Untertitel: "Hannawald lässt Emotionen freien Lauf und trommelt gegen Kommentatoren-Kabine." Es folgte ein Text, der den Jubel des früheren Weltklasse-Skispringers Sven Hannawald bei der Liveübertragung beschrieb sowie ein Link zum Video aus der Kommentatorenkabine des Discovery-Senders Eurosport mit besagter Trommelszene. Mattias Bielek sagt darin: "Hör auf, da redet doch auch noch jemand nebenan." Hannawald antwortet: "Das ist mir scheißegal." Und man staunte, dass Discovery ausgerechnet diese Sequenz hervorhob, die doch eher ein Fall für die redaktionsinterne Qualitätskontrolle gewesen wäre. Prompt titelten mehrere Medien: "Sven Hannawald rastet aus."

Das Ideal wäre es, Sport in all seinen Facetten, Hintergründen und Brüchen zu erfassen

Der US-Konzern Discovery ist neu bei Olympia mit seinem Spartenkanal Eurosport, der für verschiedene europäische Länder Programm macht. 2015 erst hat Discovery für 1,3 Milliarden Euro die Senderechte für die Spiele von 2018 bis 2024 erworben. Da kann die Begeisterung am Anfang schon mal überschäumen. Mittlerweile befinden sich die Wettkämpfe in Südkorea in der zweiten Woche. Es hat weitere Medaillen für deutsche Skispringer gegeben, ohne dass Hannawald gegen die Kabinenwand getrommelt hätte. Eurosport hat einen Ton gefunden, der Olympia ohne übertriebenes Gebrüll feiert.

Aber macht das den Eurosport-Einstieg schon zur gewinnenden Abwechslung neben dem herkömmlichen Olympia-Fernsehen der öffentlich-rechtlichen Kanäle ARD und ZDF? Der sogenannte Sportjournalismus ist ein bisschen kompliziert, weil stark von Emotionen beeinflusst. Es gibt ihn in den verschiedensten Ausprägungen von hyperkritisch bis besinnungslos jubelnd. Unter den Berichterstattern befinden sich glühende Fans, aber auch unversöhnliche Kritiker, die hinter jeder Leistung einen Dopingfall sehen.

Die beste Sportberichterstattung wäre eine, die den Sport in all seinen Facetten, Hintergründen und Brüchen erfasst. Die sich nicht gemeinmacht mit Nationalmannschaften. Die Akteure weder vorverurteilt noch im naiven Glauben an die Moral der Besten stecken bleibt. Gute Sportjournalistinnen und -journalisten zeigen Anteilnahme, ohne die Distanz aufzugeben. Ein komplexes Thema wie Doping ist für sie nicht störend, sondern ein Teil der Wirklichkeit, der manchmal eben den Jubel der Massen stört. Eurosport würde das Sportfernsehen auf ein neues Niveau heben, wenn seine Reporter das leisteten.

Doch die Berichterstatter eines Olympia-Senders sind in einer besonderen Situation. Ihr Arbeitgeber hat viel Geld ausgegeben für die Bilder, die Grundlage ihrer Arbeit sind. Das Geschäft muss sich lohnen, der Sport wird als Attraktion für ein Massenpublikum gebraucht. Dieses Massenpublikum wiederum liebt einfache Wahrheiten, ungetrübte Spannung, rührende Happy Ends, bei denen unter heimischer Fahne die Freudentränen fließen.

Zu viel Tiefe kostet Reichweite. Die Eurosport-Reporter tun deshalb das, was die Kollegen von den Öffentlich-Rechtlichen auch immer gemacht haben. Sie drücken den Deutschen die Daumen, jubeln, hadern, rufen, dass der Ausgang eines Wettkampfes "Wahnsinn" sei oder "unfassbar". Leute wie der erfahrene Biathlon-Kommentator Sigi Heinrich schaffen es dabei, Fachwissen und Gefühlswallung so in Einklang zu bringen, dass man ihnen mit Gewinn zuhört. Aber parteiisch sind sie alle.

Vielen Kommentatoren bei Eurosport hört man mit Gewinn zu. Aber parteiisch sind sie alle

Ebenfalls zum Standard des Olympia-Infotainments gehören Experten, idealerweise frühere Siegertypen wie der dreimalige Biathlon-Olympiasieger Michael Greis. Diese Experten berichten über ihre früheren Spezis - da kann es dann schon mal vorkommen, dass ein Michael Greis sich in einem Beitrag mit einem Trainer abklatscht, den er gerade noch zum Verhalten am Schießstand interviewt hat.

Experten berichten aus der Perspektive des Sportlers. Das ist interessant. Aber es könnte noch interessanter sein. Im Langlauf etwa hat Eurosport einen exzellenten Experten: Jochen Behle. Behle war bis in die späten Neunzigerjahre aktiv, als es noch keine Tests auf Blutdoping gab, später Bundestrainer. Behle könnte von allen Höhen und Abgründen seines Sports erzählen. Aber das tut er natürlich nicht, wenn er sich live mit dem Doppelstock-Einsatz skandinavischer Favoritinnen befasst.

Einen Reigen aus Gefälligkeiten, schönen Bildern und guter Laune präsentiert Eurosport. Es gilt das gesendete Bild, die vergossene Träne, die errungene Medaille. Motto? Deutschland vor! Nachmittags empfangen Sascha Kalupke und der Turn-Olympiasieger Fabian Hambüchen unter dem Titel #Team D zu Gesprächen und Analysen im Deutschen Haus. Zur Primetime folgt die Spaßshow zwanzig18 mit Marco Schreyl und Julia Kleine: Promi-Curling, Gesang, leichter Talk. Das Beste daran ist der deutsch-koreanische Comedian Ill-Young Kim, der mit seinen Erkundungen den Eurosport-Blick wenigstens ein bisschen über Skipisten und Eishallen hinaus auf Land und Leute richtet.

Wen die Brüche der olympischen Welt interessieren, der muss sich an andere Medien wenden. Der Reichweite tut das offenbar gut. Nach dem Auftaktwochenende meldete Discovery "im Durchschnitt 186 Millionen Zuschauer im Free- und Pay-TV" sowie "26 Millionen User auf allen digitalen Plattformen" und lobte sich für "innovativen und exklusiven Content". Das eine oder andere interaktive Erklär-Format wirkt tatsächlich futuristisch. Doch im Grunde liefert Eurosport eine ziemlich gewöhnliche, dem Ereignis zugewandte Kommerzsport-Berichterstattung.

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