Olympia-72-Doku in der ARD:Live-Gefühl für die Nachgeborenen

Schauspieler in schrecklichen Perücken schauen zu, wie alles schiefgeht: Der unvermeidliche Jahrestagsfilm "Vom Traum zum Terror - München 1972" möchte Ereignisse nachstellen, "die der Öffentlichkeit damals verborgen blieben". Stattdessen taugt er aber nur als Beispiel für die Verschwendung von Gebührengeldern.

Willi Winkler

Jahrestage bringen unvermeidlich Jahrestagsfilme. Sie folgen einer bewährten Dramaturgie, verbinden also zeitgenössische Bilder mit Interviews der seinerzeit Beteiligten, und der Zuschauer, nicht frei von nostalgischer Behaglichkeit, wird an grauenhafte Frisuren und quietschbunte Farben erinnert. Die Zeitzeugen sind wie die Zuschauer älter geworden, sie werden jedoch nicht wegen ihrer inzwischen möglicherweise gewonnenen Einsicht vor die Kamera gesetzt, sondern um nachträglich ein Live-Gefühl zu erzeugen, das auch den Nachgeborenen die Chance der Teilhabe an den großen Ereignissen der Vergangenheit eröffnet.

Vom Traum zum Terror - München 72

Schauspieler in schrecklichen Perücken sprechen Perückensätze - hier Stephan Luca als Heinz Hohensinn.

(Foto: NDR/Nicolas Maack)

Vor vierzig Jahren fanden in München die XX. Olympischen Spiele statt. Sie begannen heiter und in Pop-Farben. Die Schäffler tanzten, die Goaßlschnoitzer ließen es krachen, München leuchtete. Dann kam ein palästinensisches Kommando, überfiel die israelische Mannschaft, brachte zwei Männer um, nahm die anderen als Geiseln und forderte die Freilassung von zweihundert Gefangenen. Auf dem Fliegerhorst in Fürstenfeldbruck kam es zum Showdown. Der ehemalige Kriegsberichterstatter Henri Nannen feldwebelte im Stern: "Die Bundesrepublik befindet sich im Krieg." Das Massaker von München gilt bis heute als beispielloses Versagen der deutschen Polizei, zumal es fast live in alle Welt übertragen wurde.

ARD-Programmchef Volker Herres lobt den Film Vom Traum zum Terror im Programmheft gleich zwei Mal als "authentisch". Den Autoren Marc Brasse und Florian Huber rühmt er nach, sie hätten die "verfügbaren Akten ausgewertet" und, natürlich, "zahlreiche Interviews geführt". Dabei ist der Film ein instruktives Beispiel für die Verschwendung von Gebühren, weil sich hier Sendergeiz und Unfähigkeit auf die billigste Lösung verständigt haben.

Der Film, am Anfang wird es gleich gesagt, beruht auf den Berichten von Augenzeugen, aber Augenzeugen beweisen zunächst einmal gar nichts. Ulrike Meyfarth, die mit sechzehn eine Goldmedaille ersprang, tritt auf, die noch erfolgreichere Leichtathletin Heide Rosendahl, die israelische Sprinterin Esther Roth, dazu Walther Tröger, der als Bürgermeister des Olympischen Dorfes waltete, sowie der unverwüstliche Hans-Dietrich Genscher, der 1972 Bundesinnenminister war.

Sie alle erzählen brav, wie sie den Einbruch der Gewalt ins heitere Idyll erlebten. Die Spielhandlung spielt's tapfer nach. Esther Roth erwacht, wie es sich für den Trivialroman gehört, "aus unruhigen Träumen", Genscher fasst, den "einsamen Entschluss", sich zum Austausch als Geisel anzubieten, weshalb auch nicht erwähnt werden kann, dass diesen einsamen Entschluss auch Polizeipräsident Manfred Schreiber, der bayerische Innenminister Bruno Merk und Tröger fassten.

Dafür gelingt das Kunststück, in einem Film, der in München spielt, keinen einzigen Schauspieler auftreten zu lassen, der wenigstens Kostümbayrisch spräche. Peter Lohmeyer bekommt eine schreckliche Perücke aufgesetzt, ist Tröger und so wichtig, wie es der echte nie war. Er spricht Perückensätze und schaut besorgt, weil er zu Recht fürchtet, dass ihn wegen dieses Auftritts alle auslachen werden.

Simple Dramaturgie statt verborgener Ereignisse

Bruno Merk kommt überhaupt nicht vor, aber er hat auch kein Interview gegeben. Zwar war er zuständig für den fehlgeschlagenen Polizeieinsatz, doch mit solchen Kleinigkeiten wollten sich die Autoren nicht belasten. Statt seiner steht einsam Genscher im Flughafengebäude und schaut zu, wie alles schief geht. Die simple Dramaturgie wäre auch überfordert gewesen, wenn das Drehbuch dem tragisch umflorten Genscher die Herren Merk, Schreiber und Franz Josef Strauß beigesellt hätte, der letzte zu der Zeit ohne Amt zwar, aber als CSU-Vorsitzender und leidenschaftlicher Schlachtenbummler mit einer ganz eigenen Amtsgewalt ausgestattet.

Der damalige Mossad-Chef Zvi Zamir, der neben Merk, Genscher und Strauß stehend zusah, wie in einer wilden Schießerei neun Geiseln, fünf Attentäter und ein Polizist starben, warf den Deutschen später einen "ausgesprochenen Dilettantismus" vor. Bei Brasse und Huber ist selbstverständlich kein Platz für ihn, aber sie haben ihn ja auch nicht interviewt. Es treffe nicht zu, schrieb Genscher 1972 in einer Stellungnahme zu Zamirs geheim gehaltener Kritik an dem Einsatz, dass Merk, Schreiber oder er sich geweigert hätten, "Rat von General Zamir oder seinem Begleiter anzunehmen. (...) Zutreffend ist vielmehr, dass beide israelische Herren den Gesamtablauf der Aktion in Fürstenfeldbruck beobachten und sich auch - wenn sie es für notwendig hielten - einschalten konnten. Letzteres ist verschiedentlich geschehen . . .".

Es ist natürlich unfair, dieses jämmerlich bebilderte Hörspiel mit einer Großproduktion wie Steven Spielbergs München zu vergleichen, aber der Drehbuchautor Tony Kushner mutete den Zuschauern immerhin ein Ideen-Drama um Schuld und Rache zu. Der NDR-Film, behauptet Programm-Manager Herres, würde "Ereignisse nachstellen, die der Öffentlichkeit damals verborgen blieben". Nur, was von dem war denn verborgen?

Vielleicht hätte mehr Recherche ergeben, dass das amerikanische Außenministerium Druck auf den deutschen Innenminister ausüben musste, damit nach München bei der anstehenden Interpol-Tagung das Thema Terrorismus überhaupt zur Sprache kam. Recherchen hätten auch ergeben, dass Interpol-Chef damals der frühere SS-Mann Paul Dickopf war, den Genscher ein Jahr zuvor als BKA-Chef mit den Worten verabschiedet hatte, er sei ein "Vorbild für die gesamte deutsche Polizei".

Dickopf war 1968 mit den Stimmen der arabischen Länder zum Interpol-Chef gewählt worden, er amtierte bis Ende 1972. In den vier Jahren entdeckten die palästinensischen Terroristen Flugzeugentführung und Botschaftsbesetzung als medienwirksames Kampfmittel; eine Verfolgung durch Interpol unterblieb, da es sich nach Interpretation der Behörde um politische Straftaten handelte. Ein Film über die Ereignisse, die der Öffentlichkeit damals verborgen blieben, wäre womöglich ein guter Film geworden.

Vom Traum zum Terror - München 1972. ARD, Sonntag, 21.45 Uhr.

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