Österreich:Journalistin nach Tweet zur Wannseekonferenz gefeuert

Österreich: In der Villa am Großen Wannsee fand am 20. Januar 1942 die wohl mörderischste Konferenz in der Geschichte statt: Die Teilnehmer besprachen die geplante Ermordung von elf Millionen Jüdinnen und Juden in Europa.

In der Villa am Großen Wannsee fand am 20. Januar 1942 die wohl mörderischste Konferenz in der Geschichte statt: Die Teilnehmer besprachen die geplante Ermordung von elf Millionen Jüdinnen und Juden in Europa.

(Foto: Konrad Waldmann/ZDF)

Anna Dobler, stellvertretende Chefredakteurin des "Exxpress", verliert ihren Job.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Auf der Webseite des ÖVP-nahen Onlinemediums Exxpress sieht am Mittwochmorgen alles nach business as usual aus. Im Livestream läuft eine Pressekonferenz von FPÖ-Chef Herbert Kickl. Aufmacher der Webseite ist das Toilettenverbot für vier Schüler in St. Valentin; eine halbgare Plagiatsgeschichte über die österreichische Justizministerin wird aufgewärmt; und Florian Klenk vom Wochenblatt Falter, einer der Lieblingsfeinde von Chefredakteur Richard Schmitt, wird wieder mal angegriffen. Hinter der irreführenden Überschrift "Illegales Glücksspiel: Stadt Wien stimmt über Inserate-Stopp im Falter ab" versteckt sich dann aber nur die banale News, dass zwei Wiener FPÖ-Gemeinderäte einen entsprechenden Antrag im Stadtrat einbringen wollen, weil Online-Casinos skandalöserweise im Falter werben dürften.

Richard Schmitt treibt damit, wie so oft, in Kooperation mit der Webseite "EU-Infothek" des Novomatic-Lobbyisten Gert Schmidt, eine eigene Geschichte weiter, die aus Andeutungen und Vorverurteilung besteht ("schwerwiegender Vorwurf", "Geldwäscheverdacht", "schmutzige Onlinegames"). Der Boulevardjournalist Schmitt selbst ist wegen übler Nachrede und Kreditschädigung verurteilt; er gilt als jemand, der es mit den Fakten nicht so genau nimmt. Als der Journalist Helge Fahrnberger mal schrieb: "Wenn Richard Schmitt was schreibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht stimmt, recht hoch", verklagte der ihn. Fahrnberger gewann. Das Gericht attestierte Schmitt und seiner "Publikation" eine "tendenziöse Art".

Eine echte News hingegen war daher der Tweet, den Schmitt selbst am Dienstag absetzte. Denn er basierte auf der Empörung über eine diffamierende Äußerung. Der Exxpress-Chef feuerte, quasi öffentlich, seine Stellvertreterin Anna Dobler. Als am Montag im ZDF und ORF ein Film zur Wannseekonferenz zeigte, wie hochrangige Nationalsozialisten den Holocaust planten, hatte Dobler getwittert: "Das waren nicht nur Mörder, sondern durch und durch Sozialisten."

Dobler reagiert - wiederum auf Twitter

Der Exxpress-Chef sowie seine - mit dem Multimillionär und ÖVP-Spender Alexander Schütz verheiratete - Herausgeberin und Mehrheitseigentümerin Eva Schütz erklärten, die von Dobler geäußerte Meinung entspreche keinesfalls jener der Redaktion: "Nein, die Nationalsozialisten, die den Holocaust planten und ausführten, waren keine 'Sozialisten'." Man wolle nicht, dass "unsere Redaktion, unser ganzes Team auch nur mit dem geringsten Verdacht einer möglichen Relativierung des Nationalsozialismus belastet wird".

Quotenerfolg

5,61 Millionen Zuschauer haben den Film "Die Wannseekonferenz" im ZDF gesehen, das entspricht 18,6 Prozent Marktanteil. Im ORF sahen im Schnitt 681 000 Zuschauer (22 Prozent) die Premiere am Montag.

Dobler quittierte, wiederum auf Twitter, die eigene Entlassung mit der Erklärung, sie hätte den Tweet ja umgehend gelöscht, weil es umstritten sei, ob die Nazis "durch und durch" Sozialisten gewesen seien. Aber es gebe ja nun mal ausreichend Belege für sozialistische Tendenzen innerhalb des Nationalsozialismus. Und dann zweckentfremdete sie, leicht abgeändert, ein Zitat des legendären sozialdemokratischen Kanzlers Bruno Kreisky: "Lernt ihr erst mal Geschichte." Die Debatte über ihre Äußerung sei von Linksaußen angeheizt worden, findet Dobler. In einer Exxpress-Kolumne hatte sich die damalige stellvertretende Chefredakteurin noch selbst als "Freiwild" für Linke und Feministen bezeichnet.

In einer früheren Version dieses Artikels hieß es im Einleitungstext, Anna Dobler sei in einem Tweet gekündigt worden. Das ist nicht richtig. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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