So schlecht die Wahlergebnisse auch ausfallen, auf eine gute Nachricht war meist Verlass in den Rechenschaftsberichten auf den Parteitagen der SPD. Das Medienunternehmen der Sozialdemokraten, die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG), sei eine "wichtige finanzielle Säule", hieß es in der Regel. Die DDVG ist Teilhaber diverser Zeitungen - und Mehrheitseigner des Magazins Öko-Test . Ende 2015 frohlockte die Partei gar, die Medienholding habe zusammen mit Partnern das "erste unabhängige Verbraucherportal" in China gestartet: Okoer.com. Ausgerechnet in der Volksrepublik, in der Zensur zum Alltag gehört, sollte das große Geld gemacht werden - dank Öko-Test. Das Magazin aus Deutschland sollte chinesische Produkte prüfen und bewerten.
Jahre später ist daraus ein Desaster geworden, in vielerlei Hinsicht. Die DDVG und Öko-Test haben in China einen Millionenbetrag verloren. Geld, das nun der Partei und dem Magazin fehlen dürfte. Und, schlimmer noch: Ausgerechnet bei Öko-Test, jenem Heft, das, wie kaum ein zweites vom guten Ruf als verlässlicher Ratgeber für Verbraucher lebt, sollen Anzeigenkunden beschwindelt und betrogen worden sein. Entsprechende Untersuchungsergebnisse hat ein vom Verlag selbst eingesetzter Rechtsanwalt zutage gefördert, nachdem der langjährige Chefredakteur und Geschäftsführer, Jürgen Stellpflug, im Frühjahr 2018 gefeuert worden war.
In einem Protokoll heißt es, die Täuschung von Anzeigenkunden gefährde den guten Namen
Der Vorwurf: Über Jahre sollen bei Sonderheften des Öko-Test, also nicht bei der regulären Ausgabe, die Auflagenzahlen erheblich geschönt worden sein. Offenbar, um von Anzeigenkunden höhere Preise verlangen zu können. Bei einem Ratgeber zum Thema Umwelt und Energie, der im September 2017 erschienen ist, sollen statt 60 000 Exemplaren nur 19 505 Hefte verlegt worden sein. Im Jahr 2017 seien den Anzeigenkunden 510 000 Sonderhefte versprochen worden. Gedruckt worden seien etwa 335 000 Exemplare, eine Differenz von fast 175 000 Stück. 2016 habe der Unterschied sogar mehr als 219 000 Hefte betragen. Der vom Verlag eingesetzte Anwalt notierte, es liege ein "Anzeigenschwindel" vor; und der Verdacht des "Druckauflagenbetruges". Die damalige Geschäftsführung müsse die "Gesamtverantwortung für die unzweifelhafte und systematische Täuschung der Anzeigenkunden" tragen.
Das zielt auch auf Stellpflug, den Ex-Chef von Öko-Test. Der alle Vorwürfe zurückweist. Er wisse nichts von falschen Zahlen. Einen ersten Prozess gegen seinen Rauswurf hat er vergangene Woche beim Arbeitsgericht Frankfurt gewonnen. Er müsse als Chefredakteur weiterbeschäftigt werden, so das Urteil. Der Verlag schob daraufhin eine weitere Kündigung nach. Stellpflug habe bei einem Aktionärstreffen Anfang vergangener Woche Maßnahmen zur Rettung des Magazins versucht zu verhindern. Trotz einer ihm bekannten, den Verlag in seiner "Existenz bedrohenden Insolvenzgefahr". Stellpflug bestreitet auch das. Am 25. Februar steht die nächste juristische Runde an, dann beim Landgericht Frankfurt. Dort will Stellpflug seine früheren Posten als Geschäftsführer und Vorstandschef von Öko-Test einklagen.
Zu beobachten ist eine Kabale um Öko-Test, wie sie schlimmer kaum sein könnte. Nach Lesart der DDVG, so geht es aus vielen Unterlagen hervor, hat Stellpflug das Magazin in einem verheerenden Zustand verlassen. DDVG-Chef Jens Berendsen schrieb im Protokoll einer Telefonkonferenz des Öko-Test-Aufsichtsrats vom 25. Mai 2018, die Täuschung von Anzeigenkunden gefährde den guten Namen von Öko-Test und lasse "schwerwiegende Reputationsverluste befürchten". Der Schaden bei den Kunden ist laut DDVG mit Ersatzanzeigen wettgemacht worden. Der neue Öko-Test-Verlagschef Hans Oppermann ergänzte später, er sei seit mehr als 25 Jahren in der Branche tätig. Eine "solch schwierige" Lage habe er aber noch nicht erlebt. Fehlende Planung, mangelhafte IT, "gravierende handwerkliche Mängel" bei der neuen Gestaltung des Internetauftritts.
Stellpflug spricht von pauschalen Vorwürfen und "Unsinn" und verweist auf seinen gewonnenen Arbeitsgerichtsprozess. Er ist noch immer Mitinhaber von Öko-Test, sieht sich als Garant für dessen Unabhängigkeit und streitet bei Aktionärstreffen mit der DDVG. Die war Anfang des Jahrtausends bei Öko-Test eingestiegen. Man gewöhnte sich aneinander und ging vor einigen Jahren sogar auf den chinesischen Markt. Über eine Firma in Hongkong gründete die DDVG mit drei lokalen Partnern das Unternehmen Cavete Beijing Consulting Limited, das Produkte bei Öko-Test in Frankfurt prüfen ließ und die Ergebnisse in China veröffentlichte.
Als deutscher Manager vor Ort fungierte der Genosse Thomas Böwer, viele Jahre ein umtriebiger Abgeordneter in der Hamburger Bürgerschaft. Der Ex-SPD-Politiker Böwer und Berendsen als Chef der SPD-Medienholding planten gemeinsam das China-Engagement. Die Idee: Nach zahlreichen Lebensmittelskandalen in der Volksrepublik sei das der ideale Markt für ein unabhängiges Verbrauchermagazin. Hunderte Millionen an potenziellen Lesern, das war die Vision - und nur der Anfang. 2015 verkündete Böwer: Sollte China ein Erfolg werden, "wollen wir in ähnlicher Weise auf andere große Märkte gehen, etwa nach Indien und Lateinamerika". Böwers erste Überlegung, ein klassisches Magazin in China zu verlegen, beerdigte er jedoch rasch. Der Vertrieb und die Zensur, alles viel zu kompliziert, also nur online: 2015 ging die Website Okoer.com an den Start. Eine Mannschaft von fast 50 Leuten hatten Böwer und seine Partner in einem Loft im Pekinger Diplomatenviertel dazu angeheuert. Acht Yuan (ein Euro) wollten sie damals pro Test verlangen, um die Kosten zu decken. Die Paywall wurde nie eingeführt.
Konsum:Die Vermessung des Kunden
Immer mehr US-Unternehmen lassen sich von Spezialisten berechnen, wie viel ihnen ein Konsument bis zum Tod einbringen wird. Wer viel wert ist, wird beim Einkauf hofiert - der Rest ignoriert.
Als Nächstes plante Böwer, Testsiegel zu verkaufen. Firmen, deren Produkte mit "gut" oder gar "sehr gut" abschneiden, sollten für viel Geld mit einem Label für sich werben dürfen. Ein einziger angeblicher Abnehmer, eine Kosmetikkette, lässt sich in Erfahrung bringen. Böwer sagt, das Geschäftsmodell sei nicht gescheitert. Angesichts der chinesischen Gegebenheiten brauche alles "Zeit und Geduld". Die hatten am Ende weder DDVG noch Öko-Test; die beiden zogen sich unter Verlusten aus China zurück. Bei der SPD-Medienholding gibt man Stellpflug eine Mitschuld daran, er habe die chinesischen Partner verprellt.
Das stimme nicht, entgegnet Stellpflug. Er glaubt, dass der Ausflug nach China die DDVG "mindestens zehn Millionen Euro gekostet" hat. Das sei falsch, sagt DDVG-Chef Berendsen. Er spricht von einem einstelligen Millionenbetrag, will das aber nicht näher beziffern. Die chinesische Gesellschaft Cavete, offenbar benannt nach einer Studentenkneipe in Böwers Heimatstadt Münster, gibt es nach wie vor. Nun mit Böwer als Miteigner.
In Deutschland geht der Streit weiter. Auch wenn die SPD-Medienholding von einer Strafanzeige wegen Betrugsverdacht oder einer Schadenersatzklage gegen Stellpflug abgesehen hat. "Wir wollten Öko-Test nicht noch weiter ins Gerede bringen", sagt Berendsen. Stellpflug erklärt, eine solche Attacke hätte er, "und dafür kennt man mich gut genug", sofort mit einer Anzeige wegen falscher Anschuldigung beantwortet. Das Verhältnis ist rettungslos vergiftet.