Öffentlich-rechtlicher Rundfunk:Gruselig-gestrige Groschenoper

Rundfunkbeitrag

Anschreiben zum Rundfunkbeitrag und ein Überweisungsschein: Die Abgabe soll gesenkt werden - die Länderchefs streiten um Cents.

(Foto: dpa)

Die Rundfunkabgabe soll erstmals sinken. Aber um wie viel Cent? Statt sich um drängende Zukunftsfragen zu kümmern, debattieren die Ministerpräsidenten der Länder über diese Frage und zeigen: Die Rundfunkpolitik ist immer noch nicht in der digitalen Wirklichkeit angekommen.

Ein Kommentar von Claudia Tieschky

Fast schon egal was am Donnerstag beschlossen wird, für die Ministerpräsidenten kann es nur ein Erfolg sein. Der Grund: Es herrscht Ausnahmezustand, es gibt etwas zu verteilen. Der Bürger, also der Wähler, bekommt Geld zurück. Die Rundfunkabgabe von derzeit 17,98 Euro wird sinken, weil durch den neuen Haushaltsbeitrag mehr als nötig da ist. Das freut den Bürger, und die Regierungschefs stehen gut da, zumal, wenn sie wie Stanislaw Tillich in Sachsen und Horst Seehofer in Bayern gerade Wahlen vor sich haben.

Besser könnte das Timing nicht sein. Und am besten ist: Die Rundfunkabgabe betrifft jeden und interessiert alle. Politiker wissen das. Wer senkt, gewinnt. Es geht jetzt nur noch darum, welches Land in Berlin seine Wunschsumme durchsetzt. Die ganze Verve der Länderchefs gilt in diesen Tagen darum ganz der weltbewegenden Frage: 73 Cent oder 48 Cent? Man kann es auch so sagen: Die Rundfunkpolitik ist tot.

Was in Berlin aufgeführt wird, ist eine Dreißiggroschen-Oper mit lauter Hauptdarstellern. Wenn es aber nicht zufällig um Geld geht, beweisen die Länderchefs in Rundfunkdingen ein sagenhaftes Desinteresse. Nur wenige Staatskanzleien machen sich im täglichen Geschäft die Mühe, tiefer einzusteigen oder gar Konflikte auszutragen.

Dabei gäbe es bei den Rundfunkgesetzen, für die die Länder zuständig sind, so viel zu tun: Die Digitalkanäle von ARD und ZDF wurden von der Politik erst zum Großprojekt mit sechs Kanälen ausgerufen und dümpelten dann uninspiriert vor sich hin. Der Rückbau lässt schon lange auf sich warten, ebenso wie der gemeinsame Jugendkanal von ARD und ZDF, über den in Berlin endlich entschieden werden soll.

Das Projekt ist politische Verhandlungsmasse: ein paar Cent weniger Rundfunkabgabe gegen das Ja zum Sender. Vor allem aber sieht die gesamte deutsche Medienordnung aus wie aus einer Zeit, in der das Internet gerade erst erfunden wurde. Sie regelt eine kleine Welt, die es so nicht mehr gibt.

Es war einmal eine Medienpolitik

Rundfunkgesetze entstehen in Wahrheit vor allem durch die Kunst, den Konsens nicht zu stören. Das Ergebnis davon ist beispielsweise, dass die Zahl der öffentlich-rechtlichen Sender stetig wuchs. Und bis etwas verändert wird, dauert es unendlich lange: Vor mehr als einem Jahr kündigte das ZDF an, seinen eigenen Jugendkanal ZDFkultur zugunsten eines Gemeinschaftsprojekts einzustellen.

ZDFkultur, dieses einzige funktionierende öffentlich-rechtliche Projekt für Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind, sendet daher jetzt Schleifenprogramm. Abschalten darf das ZDF den Kanal nicht, denn der Auftrag steht noch im Gesetz.

Einen neuen Rundfunkstaatsvertrag brachten die Länder bisher nicht zuwege. Also darf ZDFkultur nicht sterben und auch nicht leben. Das deutsche Fernsehen dürfte weltweit das einzige sein, das sich einen Jugend-Zombiesender leistet.

Auch sonst ist die Welt der Rundfunkgesetze gruselig gestrig. Während zum Beispiel beim Sender RTL mit seinen hohen Marktanteilen das Medienkonzentrationsrecht - eine Art Demokratie-Sicherungssystem - anschlägt, kommen Google und das Internet in diesem System nicht einmal vor: Das Gesetz, das gefährliche Meinungsübermacht verhindern soll, stammt aus der Frühglobalisierung. Eine Novelle ist seit acht Jahren geplant und scheitert regelmäßig an unterschiedlichen Interessen der Länder.

Es war einmal eine Medienpolitik: Die Dinge sind nicht mehr so saftig wie in der Welt, als das Privatfernsehen mit nackten Brüsten provozierte. Das Netz ist überall, es bestimmt auch den Rundfunk. Die Digitalisierung verlangt technisches Verständnis von den Entscheidern - und nicht die Gassenhauer aus der Rundfunk-Oper. Den großen Debatten, die dringend geführt werden müssen, stehen auch zersplitterte Kompetenzen im Weg: Die Länder organisieren den Rundfunk, der Bund ist für Technologie und Netzpolitik zuständig.

Immerhin gibt es nun eine Arbeitsgruppe, die eine Bund-Länder-Kommission vorbereiten soll, die vielleicht irgendwann einmal kommt. Nicht im Ansatz gelingt es, digitale Grundregeln zu diskutieren, etwa wirkliche Netzneutralität, also die Garantie, dass Webkonzerne alle Inhalte gleichberechtigt zum Kunden durchleiten müssen. So ist es vollkommen sinnlos, im schönen Konsens einer Rundfunkordnung aus der Bonner Bundesrepublik von öffentlich-rechtlicher Grundversorgung zu sprechen, wenn diese Grundversorgung die Menschen vielleicht gar nicht erreicht, weil globale Unternehmen kein Interesse daran haben.

Die Ministerpräsidenten streiten in Berlin um Cents. Was sie nicht wissen wollen: Die Gesellschaft kann sich das nicht mehr leisten.

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