Süddeutsche Zeitung

Öffentlich-rechtliches Fernsehen:Neue Sicht auf die Dinge

Große TV-Kamerateams mit Kabelträgern und Beleuchtern werden immer häufiger von Smartphones abgelöst. Was das für die Reporterinnen und Reporter, aber auch für das Ergebnis bedeutet.

Von Hans Hoff

Das Smartphone ist überall. Und dessen integrierte Kamera ist jederzeit einsatzbereit. Das nutzen Sender: Immer häufiger statten sie ihre Reporter mit Smartphones aus. Zu häufig, wie manche Kritiker finden, die sich zudem Sorgen machen, dass aufgrund der Smartphone-Euphorie all das auf der Strecke bleibt, was die Kunst eines jahrelang ausgebildeten Kameramannes ausmacht. Jeder könne heutzutage bewegte Bilder liefern, heißt es, aber nicht jeder liefere Bilder, die es wert seien, gesendet zu werden.

"Das verändert die Qualität der journalistischen Arbeit", sagt Lars Maibaum. Der freie Kameramann hat nicht grundsätzlich etwas gegen die Arbeit mit dem Smartphone. Als zusätzliches Instrument könne es durchaus eine Bereicherung darstellen, wenn es denn den Ansprüchen professioneller Bildgestaltung gerecht werde.

Maibaum sieht das Problem vor allem hinter der Kamera, bei Kollegen, die in Sachen Kameraführung nicht auf eine jahrelange Ausbildung oder entsprechende Praxis zurückgreifen können. Bei einem Seminar, an dem Maibaum teilnahm, hätten von 20 Journalisten 18 einen Achsensprung, also eine den Zuschauer desorientierende Veränderung des Blickwinkels, nicht bemerkt. "Viele Journalisten sind nicht ausreichend qualifiziert, audiovisuelle Produkte herzustellen", sagt Maibaum deshalb. Auch Sylvia Wassermann hat so ihre Bedenken, was den Einsatz von Smartphones als Kameras angeht. Als zweite Kamera sei so ein Handy eine interessante Möglichkeit, sagt die freie Reporterin, die viel für den RBB arbeitet. Man müsse sich aber stets bewusst sein, dass die Möglichkeiten begrenzt seien. "Es ist immer alles gleich scharf", beschreibt sie eine der Einschränkungen.

"So viele technische Möglichkeiten hatten wir als Bildgestalter noch nie"

Eine andere entsteht aus der Tatsache, dass sich mit dem Handy nicht wirklich zoomen lässt. "Ich zoome mit meinen Beinen", sagt Wassermann. Wenn sie nahe ranwill, muss sie sich auf das Objekt zubewegen, während eine professionelle Kamera so etwas aus dem Stand heraus erledigt. "Es muss eine neue Bildsprache entwickelt werden", fordert die Reporterin. Auch Lucian Busse ist nicht wirklich glücklich mit dem, was er als freier Editor auf den Schneidetisch bekommt. "Die Farben sind verwaschen, so, als würde man zurück zu den Anfängen des digitalen Videos gehen", sagt er und diagnostiziert eine Verschlechterung der Bildqualität. "Da jeder nur auf Nummer sicher filmt und eben nicht diese anderen Blickwinkel gesucht werden, wirken die Beiträge optisch etwas langweilig", hält er fest.

Solche Argumente kennt man natürlich in den Sendern, sieht aber im Vordergrund erst einmal die Vorteile. "So viele technische Möglichkeiten hatten wir als Bildgestalter noch nie", sagt Walter Demonte, der im WDR als Abteilungsleiter Kamera und Ton fungiert. Natürlich reiche das Handy technisch nicht an die Qualitäten und Funktionalitäten einer klassischen Kamera heran, und auch die Bildgestaltung sei auf einem Smartphone schwerer zu realisieren. So habe man schon vor sieben Jahren einen Rockpalast mit mehreren iPhones aufgezeichnet, es dann aber bei dem Experiment belassen. "Hinterher sind wir zu dem Schluss gekommen: Das war eine tolle Erfahrung, aber mit Kameras wäre es besser gewesen", sagt der WDR-Kamerachef, der die Smartphones vor allem auch als Aufforderung zum Lernen sieht, weil sich eben mit den Generationen auch die Bildsprache ändere. "Damit müssen wir uns auseinandersetzen", sagt er.

Ein großes Thema für Kritiker des vermehrten Smartphone-Einsatzes ist natürlich die Angst klassischer Kameraleute vor der neuen Konkurrenz, die ihre Qualitäten in den Hintergrund drängen könnte. "Ich erlebe diese Angst nicht", sagt Demonte zwar, aber Christoph Augenstein spürt diese Angst sehr wohl. Als Produktions- und Betriebsdirektor beim RBB versucht er, die Verlustängste der Kameraleute durch eine klare Positionierung zu zerstreuen. "Eure Qualität hängt nicht vom Gewicht auf eurer rechten Schulter ab, sondern von eurer Gestaltungskompetenz", erklärt er den Ängstlichen und sichert ihnen weiter den Final Cut bei der Wahl der Mittel zu. Aber er plädiert auch für ein bisschen mehr Wagemut. "Ich tue mich schwer, wenn mit dem Qualitätskriterium die neuen Möglichkeiten pauschal unterdrückt werden", sagt er.

Natürlich spielt bei den Bedenkenträgern vor allem die Angst mit, dass den Sendern die Smartphone-Nutzung des Mobile Journalism, kurz MoJo genannt, vor allem als Vorwand zum Sparen dient. Hört man sich ein wenig auf den Fluren um, zeigt sich rasch, dass man bei aller Einsicht in die notwendige Innovationskraft den Hierarchen misstraut. Die hätten früher zu oft gezeigt, dass es ihnen bei technischen Neuerungen vor allem darum ging, weniger Mittel aufzuwenden. Natürlich werde während solcher Prozesse, besonders in der Anfangsphase, geschworen, dass die Qualität auf keinen Fall leiden dürfe. Wenn sie es dann auf der Langstrecke doch tue, werde das sehr oft billigend in Kauf genommen. Auch beim Thema Smartphone statt Kamera könnte die Versuchung groß sein: Schließlich schlägt eine MoJo-Ausrüstung, die iPhone und iPad und einiges an Zubehör enthält, mit circa 3000 Euro zu Buche. Eine klassische Kamera kostet mehr als zwölfmal so viel.

"Jede Redaktion, die dieses Mittel hat, wird immer entscheiden müssen, was sie nimmt. Wenn dann das Handy das kostengünstigste Mittel ist, entsteht automatisch ein Druck", sagt Kameraprofi Maibaum, der sich zudem fragt, wie das gehen solle, wenn künftig der Reporter mit dem Smartphone anrückt und sich neben der Gesprächsführung auch noch auf das Bild und den richtigen Ton konzentrieren muss.

Isabel Schayani weiß natürlich um solche Schwierigkeiten und hat auch schon entsprechende Erfahrungen gesammelt. Als Leiterin des WDRforyou-Projekts kann sie aber auch auf Vorteile blicken. "Es kann sein, dass Leute zurückhaltender sind, wenn sie in eine große Kamera blicken", sagt sie und berichtet von einer Reportage in Afrika, wo sie mit Kamerateam war, wo sich aber am späten Abend, als der Kameramann schon schlief, die Chance auf ein Gespräch bot, das sie dann mit dem Smartphone festgehalten hat. "Natürlich hat die Cutterin gesagt: 'Das ist sehr dunkel.' Aber dafür hat die Interviewpartnerin ganz andere Sachen erzählt." Anfangs habe man mehr mit dem Smartphone gemacht. Mittlerweile sei es so, dass sie vorher entscheiden, was sie erreichen wollen und wie die Bildqualität sein soll, erzählt die Weltspiegel-Moderatorin: "Wir setzen das Smartphone inzwischen professioneller ein."

Roland Warmbein, der bei Radio Bremen "Programmtechnologien und Innovationen" in der Programmdirektion betreut, bringt die Möglichkeiten von Smartphones klar auf den Punkt. "Eine Außentotale, tagsüber ohne O-Ton, ist mit dem Smartphone allein schnell gedreht, ebenso ein Aufsager in einem ruhigen, gut ausgeleuchteten Raum. Bei Augenzeugen-Situationen ist das Smartphone sogar unschlagbar", sagt er. Allerdings kennt er auch die Grenzen und betont sehr deutlich, dass Smartphones vor allem als zusätzliche Option im Einsatz sind. "Es werden damit keine Einsparziele verfolgt", beteuert er. Für ihn sind Smartphones eine Erweiterung des publizistischen Portfolios. Oder um es knapp und pragmatisch zu sagen: "Hätten wir an manchen Stellen das Smartphone nicht, dann hätten wir dort kein Video."

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Quelle:
SZ vom 26.04.2019
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