Süddeutsche Zeitung

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk:War was?

Wenn ARD und ZDF im Internet mit Zeitungsverlagen konkurrieren, gibt es oft Streit. Dafür gibt es seit Jahren eine extra eingerichtete Schlichtungsstelle. Nur: Die wurde noch nie eingeschaltet.

Von Kathrin Müller-Lancé

Auf die Spitze getrieben hat es mal wieder Jan Böhmermann. Im April dieses Jahres veröffentlichte er, Gallionsfigur des öffentlich-rechtlichen Humors, sein Freizeit Magazin Royale: eine Persiflage auf die Regenbogenpresse, ein Satirebeitrag in Form eines Boulevardblättchens. Die Bauer Media Group, deren reißerische Regenbogenpresse da karikiert wurde, fand es im Nachhinein "besorgniserregend, dass das ZDF offensichtlich die rechtlichen Grenzen seines Rundfunkauftrags verlassen hat, indem es mit Rundfunkgebühren eine neue Print-Zeitschrift publiziert." Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf dem Zeitschriftenmarkt wildert, war in diesem Kontext freilich nicht das schwerwiegendste Problem des Verlags.

Trotzdem: Der Vorwurf, dass ARD und ZDF mit gebührenfinanzierten Texten ins Hoheitsgebiet der Verlage eindringen, fiel hier nicht zum ersten Mal. Es gibt sogar ein Wort dafür: Presseähnlichkeit. Üblicherweise ist der Schauplatz des Streits nicht der Kiosk, sondern das Internet. Online konkurrieren die Angebote von Verlagen und öffentlich-rechtlichen Sendern schließlich direkt miteinander: Informiert sich eine Nutzerin lieber in der ZDF-Heute-App oder auf Spiegel Online? Über den Corona-Live-Ticker der Tagesschau oder den von Zeit Online? Längst reicht das öffentlich-rechtliche Angebot im Internet über reine Fernseh- und Radiobeiträge hinaus.

Zuletzt beschwerte sich FAZ-Herausgeber Carsten Knop in einem Kommentar über das Online-Angebot des Hessischen Rundfunks, bezeichnete es als "Angriff auf die Zeitungen". Das werbefreie und kostenlose Angebot im Internet stelle den Sender in Konkurrenz zu den lokalen Zeitungen in Hessen. Auch den Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), dem auch die SZ angehört, stören die öffentlich-rechtlichen Online-Angebote: "Es mehren sich die Feststellungen unserer Mitglieder aus verschiedenen Bundesländern, die eine vermehrte Textlastigkeit der telemedialen Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bemängeln, die mit den staatsvertraglichen Vorgaben nicht vereinbar sind", teilt ein BDZV-Sprecher mit.

Die Schlichtungsstelle einzuschalten, sei eine Option, aber man beobachte die Lage, so eine Verlagssprecherin

Interessant ist dabei, dass es seit 2019 für solche Streitigkeiten eine Schlichtungsstelle gibt - beziehungsweise gäbe. Das Gremium soll anlassbezogen zusammentreten und vermitteln, wenn Verlage ein Angebot von ARD, ZDF oder Deutschlandradio für unzulässig halten. Rechtlich bindend ist seine Empfehlung nicht. Die Stelle setzt sich zu gleichen Teilen aus Vertretern des BDZV und des betroffenen Verlages sowie der ARD und der betroffenen Rundfunkanstalt zusammen. Allerdings hat bislang noch kein Verlag die Schlichtungsstelle aktiviert. Das bestätigte der BDZV der SZ.

Auch die FAZ hat im Streit mit dem Hessischen Rundfunk die Stelle bisher nicht angerufen. Eine wirkliche Begründung liefert sie nicht. Die Schlichtungsstelle einzuschalten, sei eine Option, aber zunächst beobachte und bewerte man die Lage, so eine Verlagssprecherin. Der BDZV verweist auf Nachfrage darauf, dass es bereits im Vorfeld des formalisierten Verfahrens Gespräche mit einzelnen Rundfunkanstalten gebe, "um etwaige Bedenken schon auf dieser Ebene auszuräumen".

Es scheint also, als wolle niemand dieses neu geschaffene Instrument nutzen. Dabei hatte dessen Einrichtung vielversprechend gewirkt im Konflikt zwischen Verlagen und Öffentlich-Rechtlichen. Eskaliert war die Lage im Jahr 2018, als der NDR nach einer Klage gegen die Tagesschau-App bis vor das Bundesverfassungsgericht zog. Schon 2011 hatten acht Verlage, darunter auch die SZ, gegen eine Ausgabe der Tagesschau-App geklagt. Die App sei "Ausdruck ungezügelter öffentlich-rechtlicher Expansion", wetterte Springer-Chef Mathias Döpfner damals in einem Interview mit der SZ.

Das Oberlandesgericht Köln gab den Verlagen recht, die entsprechende Ausgabe der App sei presseähnlich und damit unzulässig gewesen. Der NDR legte gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde ein. Noch immer ist der Fall beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Infolge des Streits einigte man sich aber darauf, das Verbot der Presseähnlichkeit grundsätzlich zu akzeptieren - und die besagte Schlichtungsstelle einzurichten. "Das Schwierige an der Sache ist, dass der Begriff der Presseähnlichkeit sehr unterschiedlich ausgelegt werden kann", sagt Christoph Neuberger, Professor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin. Ist ein Online-Text automatisch presseähnlich? Oder können auch längere Artikel in der Tagesschau- oder ZDF-Heute-App durch ein Video oder den Link zu einer Sendung gerechtfertigt werden?

In der jüngsten Fassung des Medienstaatsvertrags, der unter anderem festlegt, was ARD und ZDF im Internet dürfen, steht: "Die Telemedienangebote dürfen nicht presseähnlich sein. Sie sind im Schwerpunkt mittels Bewegtbild oder Ton zu gestalten, wobei Text nicht im Vordergrund stehen darf." Ausgenommen sind unter anderem Schlagzeilen, Sendungstranskripte und Angebote, die der "Aufbereitung von Inhalten aus einer konkreten Sendung" dienen.

"Ich bin mir nicht sicher, ob das reine Textkriterium das Problem der Presseverlage löst."

So ganz vom Text verabschieden wollen und müssen sich die öffentlich-rechtlichen Sender also nicht. Der von der FAZ kritisierte Hessische Rundfunk rechtfertigt den Text in seinen Online-Angeboten auch mit Verweis auf den öffentlich-rechtlichen Informationsauftrag: "Würden wir vollständig darauf verzichten, würden wir an den Interessen und Nutzungsgewohnheiten der Beitragszahler*innen vorbei arbeiten und könnten uns so dem Vorwurf ausgesetzt sehen, unseren Auftrag im Online-Bereich nicht angemessen und zielgruppenkonform zu erfüllen", teilt eine Sprecherin mit.

Tatsächlich wirken die Begriffe "Rundfunk" und "Presse" im digitalen Zeitalter veraltet. Es tummeln sich ja nicht nur ARD und ZDF auf dem Gebiet der Zeitungen: Fast alle Print-Verlage produzieren inzwischen Videos und Podcasts, die Bild hat sich sogar eine eigene Fernsehlizenz gesichert. Die technischen Grenzen, die Presse und Rundfunk früher definiert haben, gibt es nicht mehr. "Ich bin mir nicht sicher, ob das reine Textkriterium das Problem der Presseverlage löst", sagt Kommunikationswissenschaftler Neuberger und regt an, eher inhaltliche Grenzen zu ziehen. Zum Beispiel könnten die Öffentlich-Rechtlichen den Zeitungen die Lokalberichterstattung überlassen. Im Bereich der Bildung etwa würde das Textkriterium den Rundfunk unnötig beschneiden: "Warum sollten die Verlage bedroht sein, nur weil die Sender im Sinne ihres Bildungsauftrags Texte zum Homeschooling ins Internet stellen?", fragt Neuberger.

Fragt man beim BDZV nach, was er in Bezug auf die Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Sender fordert, heißt es unter anderem: "Es sollte zu journalistischen Meldungen in Textform immer ein Video oder Audio geben." Der Hessische Rundfunk hingegen teilt mit: Auch reine Textbeiträge seien zulässig, weil der im Medienstaatsvertrag verankerte Bezugspunkt für den "Schwerpunkt mittels Bewegtbild und Ton" nicht die einzelne Seite oder der einzelne Beitrag sei, sondern das Telemedienangebot insgesamt.

All das klingt noch immer nach genügend Potenzial für eine Schlichtungsstelle: Erneut häufen sich die Konflikte zwischen Öffentlich-Rechtlichen und den Verlagen, die Klage gegen die Tagesschau-App ist immer noch anhängig. Da stellt sich die Frage, wie viel übriggeblieben ist von der großen Einigung 2018.

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