Nur die Crew klatscht:Allein sein ist auch sonntags doof

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Der "Fernsehgarten" startet ohne Live-Publikum, aber mit optimistischer Moderatorin.

Von Aurelie von Blazekovic

Seit 34 Jahren beginnt der Fernsehgarten ungefähr so: Ein eng aneinander gedrängtes Publikum, ausgerüstet mit Sonnenhüten oder Regencapes, klatscht auf jeden Schlag eines wummernden Beats. Auftritt: gut gelaunte Moderatorin. Seit 20 Jahren ist das Andrea Kiewel, genannt Kiwi. Dann folgen zwei Stunden Show. Ein wilder Mix aus Lifestyle-, Koch- und Gartentipps, Trendsportarten, Musik, Akrobatik, Comedy und eigentlich allem, was denkbar ist und man den Zuschauern an einem Sonntagmittag im Sommer zutrauen will.

Mit ungebrochen guter Laune begrüßte Kiwi am Sonntag zum ersten Mal im Jahr 2020 zur Live-Sendung. "Das hatten wir uns anders vorgestellt", ruft sie und spaziert auf einem Steg durch einen Pool. Normalerweise versammeln sich 6000 Menschen im Fernsehgarten-Gelände in Mainz-Lerchenberg, jetzt läuft die Show ohne ihr Publikum. Wenn eine Frau trotzdem das Sonntagmittag-Schlagerfeeling rüberbringen kann, dann Kiwi. Sie ist braungebrannt, trägt ein Etuikleid und spitze Leopprint-"Abstandsschuhe", die sie in der Sendung noch für's Cha-Cha-Tanzen ausziehen wird. Für sie ist der Fernsehgarten kein Job, sagt sie, "sondern pures Glück und Liebe, das ist ein Fest. Das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt." Letzteres glaubt man ihr sofort. Eine Drohne zeigt von oben das leere 80 000 Quadratmeter große Open-Air-Gelände. "Paradies", sagt Kiwi. Hinter ihr drehen sich zwei Menschen in einer Art rotierendem Doppel-Hamsterrad. Nach einer Weile erfährt man, dass es sich um die Artistiknummer "Dangerous Wheel" handelt. Das ist Fernsehgarten.

Eine Drohne zeigt von oben das leere 80 000 Quadratmeter große Open-Air-Gelände

Der Saisonauftakt am Muttertag kommt etwas verspätet. Eigentlich waren schon für den April drei Sendungen aus Fuerteventura geplant, was sich dann natürlich nicht machen ließ. "Alleine sein ist doof. Ich will nicht alleine sein", sagt Kiwi. Begleitet wird sie in der ersten Sendung des Jahres deshalb von Lutz van der Horst, bekannt von frechen Politiker-Interviews für die Heute-Show. Der "hat Muttertagsüberraschungen dabei" und wirft gemeinsam mit Kiwi den Mamas vor den Fernsehern Küsschen zu. Abstand halten auf dem schmalen Poolsteg ist gar nicht so einfach.

Guildo Horn vervollständigt das Muttertagstrio. Physisch distanziert, aber menschlich natürlich ganz nah tänzeln sie später in einem großen Dreieck über den Showrasen und binden die Zuschauer mit Muttertagsgrüßen ein. Das ist nicht das übliche Abgeknuddele, aber immerhin. Natürlich wird auch performt, unter anderem Sänger Gil Ofarim und Maite Kelly bewegen ihre Lippen zum Playback. Das Fernsehgarten-Team hinter den Kameras bemüht sich, laut zu klatschen und unter den Masken zu jubeln. Ein Drohnenexperte kündigt ein Drohnenwettrennen an. Eine Frau erklärt, was "Dogsurfing" ist und bald gleitet ein Hund auf einem Stand-Up-Paddle durch den Pool. Auch ohne winkende und schunkelnde Zuschauer im Hintergrund fühlt sich das eigentlich nach dem normalen Wahnsinn an. Und der Fernsehgarten hat außerdem schon anderes ausgehalten.

Die Schleichwerbung von Andrea Kiewel vor vielen Jahren etwa oder eine Unwetterevakuation und den Auftritt von Luke Mockridge im letzten Sommer, der die Moderatorin maßlos ärgerte. Bis Ende September läuft der Fernsehgarten so wie es die Bestimmungen eben erlauben. Die Hoffnung, dass es nicht den ganzen Sommer ohne Publikum gehen muss, trägt Andrea Kiewel offenbar durch die Sendung. Zwischendurch beschwört sie schon das baldige Ende der Pandemie: "Wir dürfen uns gerade nicht in Gruppen versammeln", dann flüsternd: "aber ganz bald wieder, ich bin ganz sicher".

Fernsehgarten , ZDF, Sonntag, circa 12 Uhr.

© SZ vom 11.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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