Süddeutsche Zeitung

NSU-Urteil im TV:Warum die Urteilsverkündung im NSU-Prozess nicht im Fernsehen übertragen wird

  • Seit 1964 sind in Deutschland Kameras im Gerichtssaal verboten.
  • Von dieser Regel gibt es zwei Ausnahmen.
  • Seit 1998 sind Bild- und Tonaufnahmen erlaubt, wenn das Bundesverfassungsgericht seine Urteile verkündet. Seit wenigen Monaten gilt Gleiches auch für die fünf Bundesgerichte

Von Wolfgang Janisch

Es war eine Falschmeldung, aber sie zeigt, was man für selbstverständlich hält. Das Erste übertrage die Urteilsverkündung im NSU-Prozess an diesem Mittwoch live, meldete dpa, um sich kurz darauf zu korrigieren. Nein, doch keine Livebilder aus dem Gerichtssaal. Weil das verboten ist.

In den frühen Jahren der Bundesrepublik wäre ein derart spektakuläres Urteil wohl gefilmt worden. Bis 1964 jedenfalls, seither sind Kameras im Gerichtssaal verboten. Prozesse sind zwar fast ausnahmslos öffentlich, jeder darf sie im Gerichtssaal verfolgen - nur muss er eben selbst hinfahren. Der Prozess, den man vom Sofa aus verfolgen kann, ist bisher den Gerichtsshows vorbehalten.

Das ist die Regel, von der es inzwischen zwei Ausnahmen gibt. Seit 1998 sind Bild- und Tonaufnahmen erlaubt, wenn das Bundesverfassungsgericht seine Urteile verkündet. Und seit wenigen Monaten gilt gleiches auch für die fünf Bundesgerichte - darunter der Bundesgerichtshof, der davon bereits mehrfach Gebrauch gemacht hat. Er kündigt seine Verfahren inzwischen mit den Ampelfarben an; wenn der Termin auf Grün steht, sind Kameras erlaubt. Nur beim Urteil, wohlgemerkt: Verhandlungen sind immer noch tabu.

Einige Vorsitzende Richter haben bereits TV-Talent bewiesen

Der vorsichtigen Öffnung der Justiz für das Fernsehzeitalter ging eine unerwartet heftige Debatte voraus. In der Justiz fürchtete man, dies sei nur der erste Schritt, eine Art Einstiegsdroge, um irgendwann auch die Gerichte der unteren Instanzen bei wichtigen Urteilen für Kameras zugänglich zu machen - wie etwa das Oberlandesgericht München im NSU-Prozess. Dies aber würde die Gerichte erstens organisatorisch überfordern, zweitens wären dort die Persönlichkeitsrechte Betroffener deutlich stärker beeinträchtigt; beim BGH sind beispielsweise Angeklagte kaum je persönlich anwesend, bei Prozessen wie dem in München ist das dagegen zwingend.

Vermutlich war die Skepsis der Justiz nicht ganz unbegründet. Trotzdem stellen die BGH-Richter inzwischen ihre Termine immer häufiger auf Grün, einige O-Töne haben es in die Fernsehnachrichten geschafft, manches Urteil wurde hinterher ins Netz gestellt. Und einige Vorsitzende Richter haben bereits TV-Talent bewiesen. Einer von ihnen ist Ulrich Herrmann, er wird an diesem Donnerstag das erste echte Live-Urteil des BGH auf Phoenix verkünden. Thema: Können Eltern das Facebook-Konto ihres verstorbenen Kindes erben?

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SZ vom 10.07.2018/khil
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