Süddeutsche Zeitung

Hannover:NPD will gegen einzelnen Journalisten demonstrieren

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Von Peter Burghardt

Vor einem Jahr konfrontierten deutsche Journalisten einen deutschen Kriegsverbrecher mit seinen Verbrechen, Ende November 2018 lief der Beitrag in der NDR-Sendung Panorama. Karl M. war am Massaker 1944 im nordfranzösischen Dorf Ascq beteiligt, SS-Männer erschossen damals 86 Zivilisten. Ins Gefängnis musste Karl M. trotz eines Todesurteils in Abwesenheit in Frankreich nie, nun saß er im Alter von 96 Jahren in seiner Wohnung in Niedersachsen. Zur SS hatte er sich freiwillig gemeldet. Ob er das alles bereue, wurde der ehemalige SS-Unterscharführer vor der Kamera gefragt. "Nein, gar nicht", antwortete er. "Warum sollte ich das bereuen?"

Im November 2019 will die NPD jetzt in Hannover eine Demo gegen das öffentlich-rechtliche Gebührensystem und gegen mehrere Reporter veranstalten, vor allem gegen den Interviewer. In ihrem Aufruf nennt die rechtsextreme Partei den Journalisten explizit mit Namen und zeigt ihn auf einem rot durchgestrichenen Foto. Man müsse ihn "in die Schranken weisen!", heißt es da als Motto, "Schluss mit steuerfinanzierter Hetze!" Als "Höhepunkt seiner hetzerischen Journalistentätigkeit" betrachtet die NPD die Sendung über Karl M. Am Samstag will sie gegen mehrere Journalisten und für Karl M. durch die niedersächsische Landeshauptstadt ziehen.

Die NPD ist eine Splittergruppe, doch der geplante Aufmarsch löst bundesweit Entsetzen aus. Mindestens fünf Gegendemos sind angekündigt, und inzwischen ahnen auch Politiker und Beamte, um welches Ausmaß es geht. "Schützt die Pressefreiheit!", verlangen Reporter, Verbände und Redaktionen in einem gemeinsamen Aufruf. "Bunt statt braun", heißt ein Bündnis, das auch Hannovers neuer Oberbürgermeister von den Grünen unterstützt.

Der Versuch von Rechtsextremen, namentlich genannte Reporter an den Pranger zu stellen und für einen verurteilten SS-Mann zu werben, scheint auch Niedersachsens Verfassungsschutz zu erschrecken. Dies sei "eine Erweiterung der Bedrohungssituation", sagte dessen Präsident Bernhard Witthaut dem NDR. "Für den einzelnen Betroffenen ist das eine völlig neue Qualität."

Die NPD führt mehrere Namen von Journalisten auf, sie alle recherchieren regelmäßig im Milieu von Neonazis. Sie alle bekommen Morddrohungen, es gab auch Angriffe auf die Privatwohnung eines Reporters. Warum wurde eine offenkundig einschüchternde NPD-Kundgebung dennoch nicht verboten?

Die Grünen-Fraktion in Niedersachsens Landtag fragte die schwarz-rote Landesregierung am Mittwoch nach dem Schutz von Journalistinnen und Journalisten und der Pressefreiheit in Niedersachsen. Innenminister Boris Pistorius (SPD) sprach einerseits von der "Verrohung der Sprache", die dazu führe, "dass das Gesagte von Einzelnen auch konkret in die Tat umgesetzt wird." Dem müsse man "im Rahmen des rechtlich Zulässigen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln konsequent und entschieden entgegenwirken." Staat und Zivilgesellschaft seien "das Fundament im Kampf gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit." Er verwies andererseits auf das Versammlungsrecht, ein hohes Gut in der deutschen Demokratie.

Die Polizeidirektion Hannover berichtete dann am frühen Mittwochnachmittag auf SZ-Anfrage, "dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Artikel 8 GG auch in Hinblick auf Kritik an Einzelpersonen (in Klammern der Name des Reporters) gilt, insbesondere wenn es sich um eine in der Öffentlichkeit stehende Person handelt". Durch den Einsatz der Polizei werde "neben dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auch die Pressefreiheit jederzeit gewahrt". Doch "aufgrund von aktuellen Erkenntnissen" prüfe die Versammlungsbehörde der Polizei Hannover gegenwärtig, "ob die rechtlichen Voraussetzungen für ein Verbot vorliegen." Das stellt die NPD-Demo nun in Frage.

Die Möglichkeit eines Verbots hat laut Pastorius damit zu tun, dass auf Flyern für den 23. November außer einem Foto des SS-Mannes Karl M. und dem Spruch "Gerechtigkeit für Karl" auch der Schriftzug "Rache für Karl" aufgetaucht ist. Das sei "ein unverhohlener Aufruf" dazu, etwas zu tun, was über eine Demonstration hinausgehe, sagt der Minister. Er spricht von "Grenzüberschreitung". Es gebe bei der Versammlungsbehörde eine Prüfung, ob "eine andere Gefahreneinschätzung" vorliege.

Karl M. starb im September 2019, Rechtsextremisten verehren ihn wie ein Idol. Ermittlungen wegen Beihilfe zum Mord beim Massaker von Ascq dagegen waren bei der Staatsanwaltschaft Celle 2017 begonnen und 2018 mit dem Argument eingestellt worden, dass M. schon 1949 in Frankreich verurteilt worden sei. Zweimal könne man für dieselbe Tat nicht belangt werden. M. saß keinen Tag im Gefängnis. Anfang November 2018 wurde er von einem führenden und mehrfach vorbestraften NPD-Funktionär zu einer Veranstaltung in dessen Haus nach Thüringen eingeladen - im NDR-Interview erzählte M. später freudig, er habe Autogramme auf Fotos von sich in SS-Uniform gegeben. "Was haben wir denn Verbrecherisches gemacht?", erwiderte er auf die Frage nach der SS. Auch relativierte er den Holocaust und schwärmte von Hitler.

In Hildesheim wurde M. wegen Volksverhetzung und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener angeklagt, zu einem Urteil kam es vor seinem Tod nicht mehr. Die NPD behauptet in ihrem Text zur Demo, M. habe nicht gewusst, dass er mit einem Journalisten spreche. Doch das Landgericht Hamburg hatte festgestellt, dass das nicht stimmt - die Reporter, die M. interviewten, hätten eindeutig erklärt, dass sie vom NDR-Fernsehen seien und das Gespräch dort ausgestrahlt werde.

Trotz solcher widerrechtlichen Behauptungen sollte die Demo stattfinden. Obwohl ein NPD-Mann, der offenbar mitdemonstrieren will, sogar einmal mit den Worten zitiert worden war, für den Reporter sei bereits ein Revolver geladen. Auch sammeln Neonazis Fotos und Adressen von Journalisten und führen schwarze Listen. "Die NPD-Demonstration in Hannover", schreibt die Gewerkschaft Verdi, "ist der nächste Schritt, um Kollegen das Leben zur Hölle zu machen". Am Mittwochabend beriet die Versammlungsbehörde in Hannover noch darüber, wie mit dieser Demo umzugehen ist.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes wurde die Frage aufgeworfen, warum die Demonstration überhaupt erst genehmigt wurde. Demonstrationen müssen allerdings nicht genehmigt werden, sondern lediglich angemeldet. Wir haben das korrigiert.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2019
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