Presseschau zum Brand von Notre-Dame:"Paris wird dies überleben, wie es schon so vieles überlebt hat"

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Am Morgen danach trauern die französischen Medien um das "gemeinsame Haus" der Nation. Die internationalen Medien sprechen den Parisern und Pariserinnen Mut zu. Eine Presseschau.

"Unsere Dame der Tränen", "Unser Drama", "Das Herz in Asche" - so titeln die französischen Tageszeitungen am Tag nach dem verheerenden Brand in der Pariser Kathedrale Notre-Dame.

Der französische Figaro unterstreicht die symbolische Bedeutung des Gebäudes:

"Notre-Dame ist nicht nur eine Kathedrale, ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der die Menschen in den Himmel geschaut haben: Sie ist das gemeinsame Haus, die Arche unserer Geschichte. Was zerstört wurde, ist ein unschätzbarer Teil Frankreichs."

Le Monde aus Paris macht sich Gedanken über die Reaktion Emmanuel Macrons auf den Brand:

"Die Kathedrale brennt und plötzlich erstarrt die Republik. Vor dem Kirchplatz von Notre-Dame befindet sich der Nullpunkt des französischen Straßennetzes und der Haltepunkt der Politik. Emmanuel Macron hätte am Montag, dem 15. April, um 20 Uhr seine Fernsehansprache halten sollen, die seiner Präsidentschaft wieder Schwung geben und es ihm möglich machen sollte, die Verbindung mit den Franzosen zu erneuern. Doch ab 18.50 Uhr, als die ersten Flammen am Dach des fast tausendjährigen Gebäudes erschienen, wurde alle Aktualität hinweggefegt."

Auch die internationalen Medien zeigen sich berührt von dem Ereignis.

Die amerikanische New York Times beschreibt die Trauer der Pariser und Pariserinnen:

"Der Brand kommt nicht lange nach anderen großen Schocks für Paris, darunter das Seine-Hochwasser im vergangenen Jahr und die Terroranschläge 2015. In seiner Rede an die Nation beschrieb Macron das, was Pariser jetzt fühlen, als "tremblement intérieur" - ein inneres Beben. Das ist eine akkurate Beschreibung unseres Gefühls für Leere und Verlust. Zudem gibt es angesichts des beträchtlichen Schadens eine geteilte Trauer und Enttäuschung, dass wir als eine Zivilisation daran gescheitert sind, die Aufpasser für etwas Unbezahlbares zu sein. In hundert Jahren werden die Menschen noch immer vom Feuer 2019 sprechen."

Der österreichische Standard stellt eine ungewöhnliche Einigkeit in der französischen Politik fest:

"Frankreichs Kirchen darben dahin, sind notorisch baufällig, weil der laizistische Staat für sie kaum Geld freigibt. Aber plötzlich bekannten im Schein des Feuers Spitzenpolitiker von ganz links bis rechts ihren tiefen Schmerz darüber, dass "ein Emblem unserer gemeinsamen Geschichte" zerstört wurde. (...) Nun plötzlich Frieden? Der Brand von Notre-Dame wirkt diesbezüglich tatsächlich wie ein großes Symbol. Die nationale Kulturtragödie scheint nur wenige Wochen vor den Europawahlen eine neue Seite aufzuschlagen - mit einer Warnung: Seht her, kostbarste Güter unserer Kultur, die man über Generationen aufgebaut hat, können binnen Minuten zerstört werden. Das gilt auch für die Demokratie, wenn man nicht aufpasst - so wie mutmaßlich die Arbeiter bei den Renovierungsarbeiten am Kirchendach."

Die belgische Zeitung De Standaard macht sich Gedanken über die Ursachen des Brandes:

"Wenn die Flammen gelöscht sind, wird es eine Untersuchung geben, um alle offenen Fragen zu beantworten. Wie konnte das passieren? Wer war unvorsichtig? War es ein einfacher Kurzschluss? Gab es keine Sprinkleranlagen? Warum ist die Feuerwehr nicht schneller zur Stelle gewesen? Gab es genügend Feuerlöschsysteme, um mit einem Brand dieser Größenordnung fertig zu werden? Vielleicht gibt es zufriedenstellende Antworten, vielleicht aber auch nicht. Wir werden dann nach den Namen derjenigen suchen, die möglicherweise geschlampt haben. Den sprichwörtlichen Sündenböcken. Vielleicht werden Entlassungen folgen, Geldbußen, Strafen. Vielleicht aber auch nicht."

Der britische Guardian wagt einen Blick in die Zukunft:

"Notre-Dame wird wieder auferstehen. Paris wird dies überleben, wie es schon so vieles andere überlebt hat. Und Frankreich wird zusammenrücken. Doch die traumatischen Folgen dessen, was der französischen Lebensweise in der Osterwoche 2019 in Paris angetan wurde, können nicht einfach so abgetan werden. Dem Selbstvertrauen einer Stadt, einer Nation, einer Kultur, eines ganzen Kontinents wurde ein Schlag versetzt. Die Kathedrale wird zu gegebener Zeit wieder auferstehen. Dieser schreckliche Brand ist kein Ereignis, das bagatellisiert oder banalisiert werden sollte. Wie dumm es doch in einem Moment wie diesem erscheint, so zu tun, als wären wir nicht alle Europäer. In Frankreichs Stunde des Kummers stehen wir an seiner Seite. Und wir werden uns niemals abwenden."

Auch die italienische Tageszeitung Corriere della Sera gibt sich optimistisch:

"Der Brand von gestern ist der Höhepunkt einer Identitätskrise der Franzosen (...). Doch das Feuer ist für Frankreich auch die Chance eine neue Zusammengehörigkeit wiederzufinden, die durch die wirtschaftlichen Probleme, die Unsicherheit des Präsidenten und die unfähige und mitunter gewälttätige Opposition auf eine harte Probe gestellt worden war."

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