Notare in Fernsehshows:Weiße Weste vom Dienst

'Got To Dance' - 1st Live Show

Die große Show wie bei Got to Dance und die hohe Kunst der Juristerei, so richtig gut passt das eigentlich nicht zusammen.

(Foto: Andreas Rentz/Getty)

"Wenn einer den Notar umgehen will, dann kann er das auch": Als Notar überwacht Jürgen Kallrath die TV-Show "Got to Dance". Ein Besuch sehr weit hinter den Kulissen.

Von Karoline Meta Beisel

Der Raum, in dem das Privatfernsehen seine Seriosität verteidigt, ist mit roter Meterware ausgelegt. Vor dem Fenster ist es schon dunkel. Auf zwei Schreibtischen stehen Laptops zwischen überzähligen Kabeln. In der Ecke läuft auf einem Regal ein Fernseher. Ein Mann beobachtet die Szene ganz genau: Das Bild zeigt, was sich in diesem Moment ein paar Türen weiter abspielt. Der Unterschied zwischen der Bürotristesse hier und dem Spektakel dort könnte kaum größer sein.

Dort, im Studio 30/31 des Kölner Coloneums, wird an diesem Abend eine Livesendung der Tanzcastingshow Got to Dance produziert. Pro Sieben und Sat 1, die Got to Dance im Wechsel ausstrahlen, fahren für diese Show so ziemlich alles auf, was die Effektkiste hergibt: aufwendige Lichttechnik, sehr viele Kameras, eine reizende Moderatorin in silbernen High Heels. Und 1200 Zuschauer im Studio. Wenn alles gut geht, werden die von dem Mann im Nachbargebäude nie etwas erfahren: Jürgen Kallrath ist Notar und überwacht an diesem Abend das Telefonvoting. Wenn er sich bemerkbar machen muss, ist etwas schiefgelaufen.

Fernsehnotare sind keine Schauspieler

Notare wie Jürgen Kallrath gibt es viele im deutschen Fernsehen. Bei Deutschland sucht den Superstar auf RTL, beim Eurovision Song Contest in der ARD, Pro Sieben hat Schlag den Raab. Und eben Got to Dance. Die große Show und die hohe Kunst der Juristerei, so richtig gut passt das eigentlich nicht zusammen. Wenn sie dann doch mal im Bild sind, werden die Notare oft sogar für Schauspieler gehalten. Aber sie sind echt. Tagsüber entwerfen sie Testamente und Eheverträge. Am Abend prüfen sie, ob nach einem Voting der richtige Gewinner verkündet wird oder bei einem Spiel faire Punkte verteilt werden.

Und dann gibt es noch die Sendungen, bei denen kein Notar dabei ist.

Beim ZDF gab es in den vergangenen Wochen einen riesigen Skandal. Die Redaktion der Sendung Deutschlands Beste! hatte betrogen und die Ergebnisse einer Publikumsabstimmung verfälscht. Die Prominenten, die am Ende im Studio saßen, bekamen auf der Bestenliste bessere Plätze, als ihnen nach dem Zuschauer-Voting zugestanden hätten. ZDF-Köpfe wurden vor RTL-Konkurrenten geschoben. Auch beim NDR gab es, wie seit Freitag bekannt ist, Manipulationen bei Rankings. Wie konnte das passieren? Und vor allem: Wie kann man verhindern, dass es wieder passiert? Der Vorschlag, der zum ZDF kam, ist naheliegend: Ein Notar muss her. Aber was für einen Unterschied würde das machen?

Der berühmteste unter den Fernsehnotaren - wenn man ehrlich ist, der einzig bekannte - ist Jens Fleischhauer aus Köln. Seit der dritten Staffel ist er bei den Livesendungen von Deutschland sucht den Superstar (DSDS) dabei. Er überwacht die Telefonabstimmung und bringt den Umschlag mit dem Ergebnis auf die Bühne. In der Show gehört Fleischhauer fest zum Ablauf. Vorgeschrieben ist seine Anwesenheit aber nicht: "In keinem Gesetz steht, dass bei einem Telefonvoting ein Notar zugegen sein muss", sagt Fleischhauer. Also die Frage an den Sender: Warum der Aufwand? "Mit dem Notar wollen wir unterstreichen, dass wir nichts zu verbergen haben und dass es bei dem Voting korrekt zugeht", sagt eine RTL-Sprecherin.

Klingt gut, Manipulationsvorwürfe gab es ja schon vor Deutschlands Beste!, auch und gerade bei DSDS. Der Schönheitsfehler an der Sache: Der Notar kann nur überprüfen, was er sieht.

Jürgen Kallrath ist an diesem Freitag gegen 21 Uhr im Regietrakt des Kölner Studios angekommen, die Sendung läuft schon. Auch ein Techniker der Telekom ist im Raum. Die Firma richtet die Leitungen ein, auf denen die Zuschauer später anrufen können. Die Laptops zeigen, welche Kandidaten weiterkommen. Auf dem Bildschirm sieht man eine Tabelle. Die Spalten neben den Namen füllen sich gleich mit Zahlen: Anrufe und SMS, aufgeschlüsselt nach Zuschauern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Welchen Wert hat der Notar?

Noch stehen überall Nullen. Die Telefonnummern werden erst am Ende der Sendung bekanntgegeben. Mit einem Klick öffnet der Techniker die Leitungen aber schon vorher, damit Kallrath das System testen kann. Mit seinem Handy wählt er eine der Nummern - auf dem Bildschirm erscheint in der passenden Spalte eine "1".

Dann werden die Endziffern auch in der Sendung eingeblendet. Kallrath hört zu, ob sie richtig vorgelesen werden. Sofort werden aus der "1" andere, größere Zahlen. Wie groß genau, das halten die Sender unter Verschluss. In Österreich und der Schweiz tut sich nicht viel. "Das kenne ich schon aus der vergangenen Staffel", sagt Kallrath. In der Sendung werden nur die deutschen Nummern durchgesagt, Anrufer aus den anderen Ländern müssen die Nummern im Videotext nachlesen.

Warum aus Österreich und der Schweiz so wenige anrufen, ist damit geklärt. Was sich nicht klären lässt, ist der Weg der Zahlen auf den Bildschirm. Kallrath kann nur bestätigen, was er sieht. Nicht, warum er etwas sieht. Sein Testanruf war zwar erfolgreich. Wenn aber jemand die Zahlen im System beeinflussen würde, bevor sie auf dem Bildschirm erscheinen, wäre das für Kallrath kaum zu entdecken. "Wenn einer den Notar umgehen will, dann kann er das auch", sagt er. Wenn sich aber nicht die ganze Kette überwachen lässt: Welchen Wert hat dann der Notar?

Notare in Fernsehshows: Jürgen Kallrath überwacht für Pro Sieben Got to Dance.

Jürgen Kallrath überwacht für Pro Sieben Got to Dance.

(Foto: Pro Sieben)

In den Siebziger- und Achtzigerjahren gehörte Der Große Preis mit Wim Thoelke zu den beliebtesten Sendungen im deutschen Fernsehen. Schon damals überwachte ein Notar als "Schiedsrichter" das Quiz, so ähnlich wie heute bei den Spielen von Schlag den Raab. Zunächst war das Eberhard Gläser. Sein Nachfolger Nils Clemm sagt, dessen Ablösung 1983 habe vor allem logistische Gründe gehabt. In den Archiven findet sich aber auch die Geschichte, dass Gläser eine unglücklich vorgetragene, aber richtige Antwort als falsch deklarierte. Der Kandidat verlor 25 000 Mark.

Auch beim Großen Preis war nicht jede Form von Einflussnahme ausgeschlossen, die Kandidaten hätten die Fragen vorher kennen können. Clemm, heute Partner in einer großen Wirtschaftskanzlei, erklärt seine Rolle von damals so: "Die wollten einfach jemand Seriöses dabei haben, damit das Ganze glaubhafter wird."

Anders als Clemm damals und Fleischhauer heute steht Jürgen Kallrath nicht auf der Bühne, er bleibt in diesem hässlichen Büro. Kurz bevor die Zählung der Anrufe gestoppt wird - erneut per Klick des Technikers - kommt ein Texter dazu. Er hat zwei identische Moderationskarten dabei, darauf ein Lückentext, in dem er die Namen der Gewinner ergänzt. Der Texter lässt Kallrath einen Blick darauf werfen: Stehen wirklich die Richtigen auf dem Zettel? Der Notar gibt sein Okay. Eine Karte wird sofort zur Moderatorin ins Studio gebracht. Die andere bekommt die Regie. So kann sie bei der Verkündung den richtigen Kandidaten zeigen. Wenn hier irgendwo manipuliert wird, dann jedenfalls nicht, solange Jürgen Kallrath dabei ist.

Bei DSDS ist man überzeugt, dass jede Art von Schiebung ans Licht kommen würde. "Und es wäre der Tod der Show, wenn die Glaubwürdigkeit angetastet würde", sagt die RTL-Sprecherin. Nicht zuletzt, weil jeder Anruf und jede SMS Geld kosten, bei Got to Dance etwa 50 Cent. Wer die zahlt, will auch das Ergebnis beeinflussen.

Während der Notar sich einen Screenshot für die Dokumentation schicken lässt, wird im Studio schon gefeiert. Man könne sich durchaus fragen, ob ein Notar bei so einer Veranstaltung eigentlich etwas zu suchen habe, sagt der Notar. "Aber ich finde: ja." Tatsachen zu beobachten und zu bescheinigen, das gehöre zu seinen typischen Aufgaben, wie etwa auch bei der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft die Beschlüsse zu beurkunden. Für ihn ist klar: "Wer pfuschen will, der holt sich keinen Notar ins Haus." Oder anders herum: Wer sich kontrollieren lasse, zeige, dass er Pfusch verhindern will.

Auch beim ZDF will man Manipulationen bei Rankings künftig ausschließen, der Programmdirektor hat neue Regeln angekündigt. Im Moment gibt es dort nur beim Quiz-Champion einen Notar. Vielleicht bekommt der also bald Gesellschaft.

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