Norwegens Medien und Breivik:Faktencheck für den Mörder

Anders Behring Breivik hat bereits in seinem "Manifest" deutlich gemacht, dass er auf maximale Propaganda aus ist. Doch Norwegens Medien wollen ihm während des Prozesses in Oslo keine Bühne bieten. Was soll also aus dem Gerichtssaal nach draußen dringen und was besser nicht? Nach anfänglicher Unsicherheit lässt sich ein Sinneswandel beobachten.

Gunnar Herrmann, Oslo

Es ist eine schwierige Frage für die Reporter, die derzeit den Prozess in Oslo beobachten: Was soll aus dem Gerichtssaal nach draußen dringen? Und was besser nicht? Mehr als 70 Minuten hat der Attentäter, der am 22. Juli 77 Menschen ermordete, am vergangenen Dienstag frei im Gerichtssaal gesprochen. Nun wird er mehrere Tage lang verhört. Seine Rede war ein Sammelsurium von rechtsextremem Gedankengut, gespickt mit beleidigenden Angriffen auf die Opfer.

Die Medien in Norwegen berichten umfangreich über den Prozess gegen Anders Behring Breivik, die Titelseiten an Zeitungsständen in Oslo sind voll von dem Thema.

Die norwegischen Medien berichten nach anfänglicher Unsicherheit sehr umfangreich über den Breivik-Prozess, wie auch die Zeitungsstände in Oslo zeigen.

(Foto: REUTERS)

Die Frage, ob man so etwas verbreiten muss, wird in den Verhandlungspausen im Pressezentrum im Hotel Bristol, direkt neben dem Gericht, heftig diskutiert. Niemand möchte dem Täter die Plattform für seine Propaganda bieten, die er sich, so steht es in seinem "Manifest", von dem Prozess erhofft. Zudem fragen sich die Journalisten, wie interessant Breiviks Aussage für Leser und Zuschauer sind - gerne hört dem Mann schließlich keiner zu.

In Norwegen gab es vor dem Prozess Umfragen, denen zufolge fast 70 Prozent der Bevölkerung eigentlich kein Interesse mehr an weiteren Informationen über Breivik hat. Manche Medien reagierten mit Selbstbeschränkung.

Das Boulevardblatt Dagbladet etwa bietet auf seiner Internetseite einen Link an, mit dem man zu einer Breivik-freien Titelseite wechseln kann. Und die linke Zeitung Klassekampen begleitete den Prozessbeginn am vorigen Montag nur mit einem siebenzeiligen Leitartikel ohne Überschrift. Es sei schon zu viel gesagt worden, stand dort. Nun sei Zeit für Stille und Nachdenklichkeit. Am Mittwoch hatte allerdings auch Klassekampen wieder Breivik mit erhobener Faust auf Seite eins, dem Prozess widmet das recht schmale Blatt zwei ganze Doppelseiten.

Satz für Satz, Tag für Tag im Wortlaut

Das Beispiel verdeutlicht den Sinneswandel der norwegischen Medien. Nach anfänglicher Unsicherheit und vereinzelter Zurückhaltung scheinen die meisten Redaktionen zu dem Schluss gekommen zu sein, dass man auf den größten Rechtsprozess, den das Land seit Ende des Zweiten Weltkrieges durchleiden muss, nur auf eine Art reagieren kann: Mit möglichst umfangreicher Berichterstattung.

Die Zeitung VG etwa veröffentlicht auf ihrer Webseite Wortlautprotokolle, die das Geschehen im Gerichtssaal Satz für Satz, Tag für Tag wiedergeben. In den Zeitungen füllen die Breivik-Zitate jetzt mehrere Seiten - und werden dort mit großer Genauigkeit zerpflückt. Denn die Aussagen des Angeklagten sind, wie schon sein "Manifest", voll von fehlerhaften Fakten und falschen Zitaten. Dagbladet etwa unterzog Breiviks Rede einem "Faktencheck" und fand zum Beispiel heraus, dass es einige Zeitungsartikel, aus denen Breivik zitierte, gar nicht gibt.

"Die dämonische Maske zerfällt langsam"

Auch im Fernsehen ist der Massenmörder das zentrale Thema. Der öffentlich-rechtliche Sender NRK hat seine Hauptnachrichtensendung Dagsrevyen wegen des Prozesses verlängert. Am Dienstagabend etwa widmet sich das Programm eine volle halbe Stunde dem Breivik-Prozess, bevor es kurz um das übrige Weltgeschehen geht. Dann: eine Stunde Talk über das Gerichtsverfahren, dann die nächste Nachrichtensendung.

Tagsüber von 8:30 bis 17 Uhr, während der Prozess stattfindet, sendet NRK zudem ununterbrochen live aus einem aus schwarzer Zeltplane zusammengezimmerten Studio direkt vor dem Gerichtsgebäude. Auch am Mittwoch, dem dritten Prozesstag, haben sich dort mehr als ein Dutzend weitere Kamerateams aus aller Welt eingefunden, um live zu berichten.

Aus dem Gerichtssaal selbst gibt es jetzt keine Fernsehbilder mehr. Breiviks Aussage darf nicht gesendet werden, hat ein Gericht entschieden - obwohl die Medien bis wenige Tage vor dem Prozess um die Übertragungsrechte gekämpft haben. Also behilft man sich bei NRK mit eingeblendeten Zitaten des Attentäters, die von einem Sprecher vorgelesen werden. Selbst die unerträglichsten Stellen, wie etwa Breiviks Vergleich der sozialdemokratischen Nachwuchsorganisation AUF mit der Hitlerjugend, sparten die Redakteure von Dagsrevyen nicht aus.

Ob die Entscheidung, keine Kameras zuzulassen, gut war, ist unter Journalisten umstritten. Viele deutsche Fernsehreporter finden das, und meinen, ein komplettes Bildverbot wie in deutschen Gerichtssälen, wo zur Verhandlung nur Zeichner zugelassen sind, wäre vielleicht noch besser gewesen. Die norwegischen Reporter sind dagegen oft anderer Ansicht. "Die letzten Tage haben mich in meiner Meinung bestärkt, dass man Breiviks Aussage hätte senden sollen", sagt Harald Stanghelle, Vertrauensmann der für die im Prozess akkreditierten Journalisten.

Stanghelle, der als Kommentator für die Zeitung Aftenposten arbeitet, meint: "Eine Übertragung hätte das Verständnis dafür vertieft, wie der Strafprozess funktioniert." Dass die Aussagen des rechtsextremen Attentäters andere zum Terror anstiften könnten, fürchtet er dagegen nicht. Vielmehr werde der Straftäter seiner Aura beraubt, wenn man sehe, wie er im Zeugenstand den Staatsanwälten Rede und Antwort stehen muss. "Ich finde", sagt Stanghelle, der das Geschehen jeden Tag im Gerichtssaal mitverfolgt, "die dämonische Maske zerfällt langsam."

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