Süddeutsche Zeitung

Norbert Röttgen in "Berlin direkt":Nette Fragen für den Politiker

Fernsehinterviews sind für Politiker freundliche Routine. Die Moderatoren könnten vom BBC-Kollegen Jeremy Paxman lernen - das zeigt ein ZDF-Gespräch mit Norbert Röttgen.

Stefan Klein

Bei der BBC in London gibt es einen Fernsehmoderator namens Jeremy Paxman. Der hat eine Art, Politiker zu interviewen, dass die sich oft vorkommen dürften, als würden sie bei lebendigem Leibe gegrillt. Oder mit besonders grobem Schmirgelpapier abgerieben. Einmal, da interviewte Paxman den konservativen Politiker Michael Howard. Paxman fragte, Howard wich aus. Paxman wiederholte die Frage, Howard wich wieder aus. So ging das weiter, und als das Interview zu Ende war, hatte Paxman die selbe Frage, wortgleich, zwölf Mal hintereinander gestellt.

Paxman bekam auch nach der zwölften Frage keine Antwort, aber darauf kam es da auch schon nicht mehr an. Entscheidend war, dass Paxman vor großem Publikum den Politiker Howard als einen glitschigen Windbeutel entlarvt hatte, der zu einer ehrlichen Antwort ganz offensichtlich nicht in der Lage war. Es war eine Sternstunde: Democracy in action, ein großartiges Beispiel für kritischen Fernsehjournalismus. Die Wächterrolle der Medien nicht gespielt, sondern ernst genommen. Paxman wurde durch das Interview zur lebenden Legende.

Am Sonntag Abend interviewte der Moderator Thomas Walde in der ZDF-Sendung Berlin direkt Bundesumweltminister Norbert Röttgen, und für einen kurzen Moment dachte man, da hätte sich aus der Riege der lieben, braven Tu-nicht-weh-Fernsehfragesteller endlich mal einer ermannt. Es ging um Gorleben und seine Eignung als Endlager für radioaktive Abfälle. Walde wollte wissen, welche Alternativen es gebe, sollte die Prüfung des Standorts Gorleben ergeben, dass er nicht geeignet sei.

Der Minister begann seine Replik mit den Worten "Also ich bitte Sie!" Dann ruderte er wild herum in der See der großen Worte, und weil er schon mal was zum Dreschen in Händen hielt, ging er damit sogleich forsch auf Rotgrün los und deren angebliche Versäumnisse.

Die Frage beantwortete er nicht. Walde hakte nach und bekam wieder keine Antwort. Er hakte ein zweites Mal nach, und abermals redete der Minister lang und ausführlich um die Antwort herum. Dann kam der Moment, in dem man hoffnungsfroh und überrascht einen Hauch von Paxman zu spüren glaubte, denn Walde hakte tatsächlich ein drittes Mal nach. Doch während der britische Kollege die Frage gereizt von soviel Ausweicherei schroff hingebellt hätte, hatte Walde der Mut vor hohen Thronen da offenbar schon verlassen. Er sagte: "Herr Röttgen, ich muss gestehen, ich habe nicht verstanden, welche Alternative Sie haben..." Gerade dass er sich nicht entschuldigte für seine Begriffsstutzigkeit.

Für Röttgen dürfte in diesem Moment festgestanden haben, dass ihm keine Gefahr mehr drohte, jedenfalls nicht von diesem Interviewer. Er sagte: "Was heißt, die Alternative. Die Alternative der Vergangenheit war Nichtstun." Als hätte jemand nach der Vergangenheit gefragt! Jetzt wurde fröhlich nonesense nach Politikerart aufgetischt, und der Moderator Thomas Walde ließ sich widerstandslos damit abspeisen. Er ging zur nächsten Frage über.

Da war er verpufft, der kleine Moment der Hoffnung, man könnte im deutschen Fernsehen vielleicht doch noch mal so etwas wie ein spannendes und vielleicht sogar gewinnbringendes Politikerinterview sehen. Doch wahrscheinlich war diese Hoffnung ohnehin nur Illusion. Denn es stimmt etwas Grundsätzliches nicht mit der Art und Weise, wie die Klebers, Gottliebs, Buhrows und Illners ihre Interviews führen. Es ist fast immer nur eine Art Schattenboxen, das nicht weh tun, nicht enthüllen und schon gar nicht demaskieren soll. Es ist nette, freundliche Routine und für die Politiker leichtes, sehr leichtes Spiel.

Jeremy Paxman hat übrigens viel später über sein legendäres Interview gesagt, er habe die Fragen nur deshalb so oft wiederholt, weil der anschließende Beitrag der Sendung noch nicht fertig gewesen wäre und er versucht habe, Zeit zu schinden. Das mag glauben, wer will, es war wohl mehr eine kleine Koketterie eines inzwischen recht eitlen Mannes. Doch bei aller Selbstverliebtheit: Ein harter Hund ist Jeremy Paxman bis heute geblieben. Es soll Politiker in Großbritannien geben, die sich coachen lassen, bevor sie sich zu ihm in die Sendung wagen.

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Quelle:
SZ vom 09.11.2010/berr
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