Nina Kunzendorf im Gespräch:Scientology - eine "faschistoide Welt"

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Schauspielerin Nina Kunzendorf über Persönlichkeitstests, perfide Scientology-Regeln und ihre TV-Rolle als Sekten-Angehörige.

Christina Maria Berr

Schauspielerin Nina Kunzendorf über Ihre Rolle als Ethikoffizierin der Scientology-Sekte in dem ARD-Film Bis nichts mehr bleibt und die perfiden Strategien der Sekte.

sueddeutsche.de: In Bis nichts mehr bleibt, einem Film über Scientology, spielen Sie eine sogenannte Ethikoffizierin der dubiosen Organisation. Sind Sie persönlich schon von Scientologen angesprochen worden?

Nina Kunzendorf: Als ich in den neunziger Jahren an der Hamburger Schauspielschule studiert habe, standen die da immer herum und haben Zettel verteilt. Aber ich habe denen das Papier wieder in die Hand gedrückt. Ich wusste nur, dass man mit denen möglichst nichts zu tun haben sollte. Wie perfide das im Detail ist und was für eine Dimension das hat, hab ich erst bei der Vorbereitung auf diesen Film erfahren.

sueddeutsche.de: Inwieweit haben Sie sich in der Vorbereitung für Ihre Rolle mit Scientology beschäftigt?

Kunzendorf: Der Kern der beteiligten Schauspieler hatte eine Art Coachingwochenende mit einem Scientologieaussteiger. Der hat uns sozusagen in die Theorie und Praxis von Scientologie schnuppern lassen. Für mich und Felix Klare ...

sueddeutsche.de: ... der im Film als Frank Reiners der Scientology-Sekte beitritt ...

Kunzendorf: ... gab es Gespräche mit Experten und Aussteigern. Da sitzen dann Leute vor einem, die teilweise schon lange Jahre weg sind von Scientology - und denen man das Trauma immer noch ansieht.

sueddeutsche.de: Die im Film ausgebreiteten Fakten sind über jeden Zweifel erhaben?

Kunzendorf: Es ist bis ins Detail recherchiert - und leider wahr. Der Film ist auch abgesegnet von Leuten, die es wissen müssen. Also von Aussteigern und von Experten.

sueddeutsche.de: Der Film schildert ja keinen identischen Fall, sondern ist eine Fiktion, die auf recherchierten Fakten beruht. Ist das die richtige Art damit umzugehen?

Kunzendorf: Sicherlich kommt man so am ehesten an die Menschen heran. Wer den Film anschaut, der geht hinterher sicher erst mal nicht zum Persönlichkeitstest der Scientologen.

sueddeutsche.de: Haben Sie selbst diesen Test gemacht?

Kunzendorf: Nein, aber ich kenne die Fragen. Ich wäre schon neugierig, mal einen Fuß in so ein Zentrum zu setzen, aber meine Abscheu ist größer als meine Neugierde.

sueddeutsche.de: Ihre Figur steigt am Schluss aus - und es wird nicht klar, ob sie am Ende darüber glücklich ist oder es sogar bereut ...

Kunzendorf: ... und dann vielleicht sogar wieder eintritt. Das war auch im Drehbuch schon so. Natürlich hätte mich dieser Teil der Figur sehr interessiert. Da hätte ich sicher gerne mehr Spielraum gehabt. Aber da bin ich ganz pragmatisch: Es ist nicht an erster Stelle die Geschichte meiner Figur, die erzählt wird. Dass ihr Weg am Ende offen bleibt, scheint mir jedoch realistisch.

sueddeutsche.de: Inwiefern?

Kunzendorf: Einen Ausstieg bei Scientology muss man sich wohl vorstellen, wie einen Drogenentzug. Es ist schwierig, einen eingefleischten Scientologen aus dieser Welt rauszuholen. Besonders, wenn er da hineingeboren wurde. Diese Menschen sind sehr gefährdet, "rückfällig" zu werden.

sueddeutsche.de: Für Außenstehende bleibt die Frage: Wie passiert es, dass man Scientology anheimfällt?

Kunzendorf: Das war so ziemlich die erste Frage, die ich den Experten gestellt habe. Erwischt es nur labile Menschen? Und die einhellige Antwort war: Nein. Bei diesem Persönlichkeitstest wird ja immer der sogenannte Ruinpunkt aufgespürt, also ein Trauma oder eine Blockade, ein Schwachpunkt. Den findet man ja wirklich bei jedem - auch bei stabilen Menschen. Aber ich denke der Verführungspunkt sitzt bei jedem woanders. Der eine erhofft sich Rettung oder Heilung, der andere hat ein bestimmtes Machtbedürfnis. Und schließlich hat die Anziehungskraft auf einige ganz banal damit zu tun, dass das Koordinatensystem von Scientology eine starke Struktur im Alltag vorgibt. Das allein ist für viele sehr verführerisch in einer Welt, in der vermeintlich alles möglich ist.

sueddeutsche.de: Die Sekte funktioniert ja sehr stark über Psychospiele. Ihre Figur arbeitet im TV-Film vor allem über durchdringende Freundlichkeit.

Kunzendorf: Ja. Die Übungen oder Kurse, die man zu Beginn bei Scientology durchmacht, erinnern am Anfang sogar ein bisschen an Übungen, die ich von der Schauspielschule kenne. Da lernt man dann zunächst ein vermeintlich sicheres Auftreten oder eine geschickte Rhetorik. Das verführt so, dass man gar nicht merkt, wie man in eine menschenverachtende, faschistoide Geldabzockewelt hineingezogen wird.

sueddeutsche.de: Ihre Figur Helen Berg lebt in einer gewissen Schizophrenie: Einerseits begeistert sie sich für die Ideologie, anderseits weiß sie, dass es falsch sein muss.

Kunzendorf: Ich weiß gar nicht, ob sie das weiß. Ich dachte mir, dass sie keine zartbesaitete Person ist - sondern es genießt, Macht auszuüben. Die ist wirklich wie eine Geheimdienstchefin oder Stasioffizierin. Auf ihren Tisch wandern ja die ganzen Wissensberichte - wer sich wann, wo und wie falsch verhalten hat. Das ist eine ganz ekelhafte Machtposition, die man da hat.

sueddeutsche.de: Haben Sie schon einmal - in Folge der Dreharbeiten - überlegt, ob jemand, den Sie kennen, Scientology-Anhänger ist?

Kunzendorf: Manchmal blitzt das schon auf. Das ist ja in Deutschland viel verdeckter und versteckter als in den USA. Es gibt auch hierzulande beispielsweise reichlich Organisationen, etwa Unternehmensberatungen oder Nachhilfevereine, denen man nicht sofort ansieht, dass sie zu Scientology gehören.

Schauspielerin Nina Kunzendorf - mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet - gelingt der Spagat zwischen Theater und Film: Immer wieder ist sie vor allem bei den Münchner Kammerspielen in Hauptrollen auf der Bühne zu sehen. Vor der Kamera stand sie für Jo Baiers Nachkriegs-Drama Verlorenes Land und reüssierte unter anderem bei Rainer Kaufmann in der preisgekrönten Sendung Marias letzte Reise, außerdem drehte die 38-Jährige für den Tatort und den Polizeiruf .

Bis nichts mehr bleibt, Mittwoch 31. März, 20.15 Uhr in der ARD.

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