Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf Nina Gladitz:Aktiv statt radioaktiv

Die Filmemacherin Nina Gladitz arbeitete sich am Atomkraftwerk Wyhl ab und an Leni Riefenstahl. Nun ist sie gestorben.

Von Willi Winkler

Auch wenn Leni Riefenstahl irgendwann ihr Lebensthema wurde, gab es für Nina Gladitz ein Leben davor. Der Film Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv (1976) dokumentierte mit Wackelkamera und in tristem Schwarzweiß den Kampf gegen das Atomkraftwerk Wyhl. Gut eisensteinisch zeigte sie hagere Gesichter und die Gewalt der Polizei: Schäferhunde, Wasserwerfer, Stacheldraht, oben drüber der Hubschrauber. Das war bester Agitprop, und ausnahmsweise mit durchschlagender Wirkung: Das geplante Kernkraftwerk wurde nicht gebaut, weil es "politisch nicht durchsetzbar" war.

Nina Gladitz hatte an der Münchner Filmhochschule studiert und bildete sich in der Langzeitbeobachtung am Kaiserstuhl zur Revolutionärin fort. Den Vorwurf, wie eine neue Riefenstahl zu filmen, falsifizierte sie auf ihre Weise mit Zeit des Schweigens und der Dunkelheit (1982), in dem sie nachwies, dass Hitlers Lieblingsfilmerin Sinti und Roma aus dem Lager Maxglan als Statisten für ihren Film Tiefland geholt hatte, die anschließend in Auschwitz ermordet wurden.

Riefenstahl klagte, Gladitz bekam in fast allen Punkten recht, aber nach eigener Aussage vom WDR keinen weiteren Auftrag mehr. Der Film darf nach Angaben von Gladitz' früherem Anwalt nicht gezeigt werden. In ihrem im vorigen Herbst erschienenen Buch Leni Riefenstahl - Karriere einer Täterin konnte sie detailliert belegen, wie eifrig die Nazi-Propagandistin die Nähe der Macht suchte. Für Joseph Goebbels war sie "die einzige von all den Stars, die uns versteht". Die Gmünder Tagespost meldete Gladitz' Tod und dass sie in der Nacht zum vergangenen Montag 75-jährig in ihrem Geburtsort Schwäbisch Gmünd gestorben ist.

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