Süddeutsche Zeitung

Nikolaus Brender und das ZDF:Vergnügt im Triumph

Weil er der Politik unbequem war, verlor Nikolaus Brender 2009 seinen Job als ZDF-Chefredakteur. Der Fall ging vor das Verfassungsgericht, das Urteil fiel zu Brenders Gunsten aus. Ein Treffen mit einem, der gerade den Rundfunk verändert hat.

Von Claudia Tieschky

Nach dem Urteil frühstückte Nikolaus Brender am Donnerstag auswärts, Spiegeleier mit Schinken und Grünzeug. Anschließend brachte er Hemden zur Wäscherei. Brender, 65, ist gerade einige Tage allein Zuhause in der Altbauwohnung in Berlin-Charlottenburg. In dem hellgrau gestrichenen Esszimmer steht ein großer roter Tisch, der einer ganzen Gesellschaft Platz bieten kann. Auf dem Tisch liegt das Urteil. Es ist mit säuberlichen Unterstreichungen und Bemerkungen versehen. Auf dem Tisch liegt ein Teil von Brenders Leben.

Es ist die Woche, in der das Verfassungsgericht den Rundfunk verändert hat, und das wegen Nikolaus Brender. Aus Karlsruhe erging der Auftrag an die Länder, Gesetze neu zu schreiben. Der Einfluss der Politik auf die Sender, der so groß war und so wunderbar, galt den Parteien all die Jahre als Selbstverständlichkeit. So wird es nie mehr sein. Der Spruch aus Karlsruhe ist ein Auftrag zur Selbstentmachtung. Es kommt die Zeit des Zähneknirschens.

Nach Karlsruhe ist der Freiburger Jurastudent Brender einst gefahren, um höchstrichterliche Urteile zu hören. An diesem Dienstag ging es um seinen eigenen Fall. Wenn man ihn fragt, was er fühlte an diesem Tag, dann spricht Brender erst nicht von sich. Er redet von der Schlichtheit des Gebäudes und des Saals, die ihn beeindruckt habe. Wie viel die neue deutsche Republik doch, sagt Brender fast liebevoll, überwunden habe seit Roland Freislers Volksgerichtshof in der NS-Zeit. Und nun diese "eindrücklichen Autorität des Gerichts, die kein Gepränge braucht". Das spüre man im Übrigen auch an den Formulierungen, sagt der Fernsehmann mit seinem Sprachgefühl und zeigt auf das Urteil, das vor ihm liegt: "Gesprochen hört sich das schöner an als geschrieben."

Natürlich war es für ihn ein großer Augenblick. Seine Ablösung als ZDF-Chefredakteur durch den unionsdominierten ZDF-Verwaltungsrat im November 2009 führte ja erst zur Verfassungsklage. Nach der öffentlichen Empörung darüber war plötzlich all das zu viel, was jahrelang ganz normal war: Die vielen Wege der Politiker in der Senderaufsicht, Einfluss zu nehmen. Hessens damaliger CDU-Ministerpräsident Roland Koch, Mitglied im ZDF-Verwaltungsrat, hatte seine Ablehnung für eine Vertragsverlängerung Brenders vorab öffentlich erklärt. Es war ein Eingriff mit Ankündigung. Und das beste: laut Senderverfassung völlig legal. Nun gibt es eine Quote von 30 Prozent für staatsnahe Gremienmitglieder. Fast wichtiger ist, dass das Gericht mit dem Usus aufräumt, versteckte Parteigänger in Fernsehrat und Aufsichtsrat zu senden und mehr gesellschaftlichen Mix verlangt. Frühling auf dem Lerchenberg?

Zum Leben von Nikolaus Brender wiederum gehört, dass er seinen Vater sehr mochte. Für das ZDF bekam das in gewisser Weise Bedeutung . Ein Spruch des Vaters lautete: "Rückenwind macht Beine, Gegenwind einen festen Stand". Nichts aber hatte den Sohn darauf vorbereitet, einmal zum roten Tuch für die Schwarzen zu werden. In die Schule ging er bei den ganz Schwarzen, bei den Jesuiten von St. Blasien im Schwarzwald, wo auch Heiner Geißler lernte. Mit 20 war Brender stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Union. Eine Tatsache, über die er im Jahr 2000 den damaligen ZDF-Intendanten Dieter Stolte vor seiner Wahl zum Chefredakteur vorsorglich in Kenntnis setzte. Denn schließlich war Brender, der vom angeblich linken WDR zum ZDF kam, nach der Farbenlehre auf dem Lerchenberg für die Roten gekauft worden. Die Machtaufteilung nach alter Bonner Lehre hat Brender gehasst - aus Prinzip.

Streiten kann er leidenschaftlich, das wissen auch seine Mitarbeiter. "Ich mag Auseinandersetzungen", sagt Brender. Die Umbrüche in Lateinamerika kommen ihm in den Sinn. Er hat sie als Korrespondent erlebt - Gesellschaften, die sich gerade von der Diktatur zu Demokratien wandelten. Diejenigen, die es offen und kämpferisch taten, sagt Brender, seien viel weiter gekommen als die Vertuscher. Im Bad der Altbauwohnung bei Brenders in Charlottenburg hängt ein Schild der argentinischen Post neben einem argentinisches Filmplakat mit dem jungen Ronald Reagan als B-Darsteller. Zur Lateinamerika-Zeit passt optisch Brenders Schauzbart und die winzige Tango-Locke, die ihm zuweilen seitlich in die Stirn fällt. Nikolaus Brender war immer ein A-Darsteller.

Das ZDF ist keine Diktatur, das sich zur Demokratie wandelt, aber klar ist auch, dass die ZDF-Story mit diesem dramatischen Schnauzer kein Schmusefilm wurde.

Zuweilen überrascht Brender auch mit Gemütlichkeit: "Die Einflussnahme von Politikern", findet er, "ist normal. Die Frage ist: Wie geht man damit um?" Gegen schwache Intendanten könne man nichts tun. Er macht sich vor allem Sorge ums Programm. Weil der "Korridor des Parteiendenkens", wie er es nennt, den Blick verenge. Diese Stimmung drohe dann auf den Sender überzugreifen. "Das ist dann schlechtes Fernsehen. Das ist eine Bestrafung des Publikums." Er weiß auch: "Der Rundfunk ist einer der letzten Bereiche geblieben, in dem die Politik glaubte, unantastbar zu sein." Dass Brender das anders sieht, bekamen viele zu spüren, am prominentesten der auf Krawall gebürstete Bundeskanzler Gerhard Schröder, den Brender in der Elefantenrunde 2005 zur Ordnung rief. Das geschah höflich, aber es war auch der größtmögliche Affront im deutschen Fernsehen.

Abgang ohne Groll

Am letzten Märztag 2010 verlässt Nikolaus Brender den Sender. Wenig später zieht er mit der Familie auch aus Wiesbaden weg, wo er vom Schlafzimmer aus morgens bei schönem Wetter auf der anderen Seite des Rheins den dicken Kasten des ZDF sieht. Brender sagt, er sei ohne Groll gegangen. Ein Jahr lang nimmt er eine Auszeit, das hat er seiner Frau versprochen. Später moderiert er bei n-tv einen TV-Talk, der nach der Bundestagswahl 2013 endet, hält Vorträge. Er macht familiäre und persönliche Erfahrungen, die ihm sehr viel bedeuten, und die ihn alles andere vergessen lassen. Noch immer aber weiß man bei einer Begegnung mit Brender nie, ob er nun mehr Gemütlichkeit oder Angriffslust ausstrahlt. So sehr hat er sich eigentlich nicht verändert. Aber er hat ein neues Leben.

In das alte bringt ihn nun das Urteil zurück. Es begeistert ihn auch, weil es, wie er findet, etwas von dem aufnimmt, was im Netz passiert: Es schaffe in den Gremien einen breiteren Begriff von Öffentlichkeit. Brender sieht es als Entwicklungsauftrag. "Im Grunde sind das noch Aufsichtsgremien wie aus den 60er Jahren, aus einer stabilen Gesellschaft, in der die Leute ihren Beruf angetreten haben und bis zur Rente darin blieben. Das ist heute aber nicht mehr so. Wenn sich die Lebenswirklichkeiten dieses Landes im Sender nicht mehr wiederfinden, dann wird es schwierig." Wenn Brender von der Senderverfassung spricht, kann man auf die Idee kommen, dass sie viel mit dem Programm zu tun hat, für das ARD und ZDF so kritisiert werden.

Am Nachmittag beglückwünschen ihn in Berlin auf dem Weg zur Buchhandlung fremde Menschen auf der Straße. Er ist für sie der Mann, der die Herrschaft der Politiker über das Fernsehen gebrochen hat.Das Urteil ist der größte Triumph seines Lebens. Aber Brender wirkt nicht wie einer, der triumphiert. Der berühmteste Chefredakteur aller Zeiten ist einfach vergnügt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1924421
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.03.2014/mkoh
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.