Nikolaus Brender talkt auf n-tv:Kontroverse über alles

Nikolaus Brender kehrt mit einem eigenen Format bei n-tv ins Fernsehen zurück. Im Talkshow-Dickicht hätte er eine Chance aufzufallen - was man von dem geschassten ZDF-Chefredakteur mindestens erwarten darf.

Christopher Keil

An diesem Montag meldete der kommerziell betriebene Nachrichtenkanal n-tv, dass der frühere ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender von Februar 2012 an eine Talkshow leiten wird. Ihr Titel: Bei Brender. Mit immer drei Kollegen der Presse will Brender jeden ersten Donnerstag im Monat über 45 Minuten immer einen Gast bearbeiten.

ZDF-Fernsehrat - ZDF-Chefredakteur Brender

Als freigeistiger und unabhängiger TV-Mann wurde Nikolaus Brender im März 2010 verabschiedet. Nun kehrt er auf n-tv zurück.

(Foto: dpa)

Es gibt ein amerikanisches Vorbild, "Meet the press", und da es sich um eine Monatssendung handelt, sollte der Gast ein "Gast des Monats sein", meint Brender. Wie sich das mit den circa 50 anderen Vorabend-, Abend- und Spätabendtalkshows verträgt, ist egal. N-tv hat einen Marktanteil von einem Prozent.

Für den bald 63-jährigen Grimme- und Hanns-Joachim-Friedrichs-Preisträger ist das ein angenehmer Zeitvertreib. Er bleibt im Gespräch, verdient ein wenig nebenher, und er hat sogar die Chance, aufzufallen im durchsichtigen Talkshowgewerbe.

Brender hat den Charakter und das Selbstverständnis, die Kontroverse über alles zu stellen. Er ist, wenn man so will, furchtlos, mit ihm ist, wenn man so will, als Redaktion schwerer zu planen als mit anderen. Das wiederum könnte ein vom Produzenten Küppersbusch kalkuliertes Glück sein.

Brenders größte Moderationsleistung liegt sechs Jahre zurück. Am 18. September 2005 leitete er nach der Tagesschau die Elefantenrunde der Bundestagswahl, offiziell Berliner Runde genannt. Fairerweise muss man erwähnen, dass Hartmann von der Tann als Chefredakteur die ARD vertrat.

Die ersten Fragen richteten Brender und von der Tann damals an die offensichtliche Siegerin, Angela Merkel. Die CDU-Chefin schaute merkwürdigerweise wie eine Verliererin aus und sprach auch so, was sich einem vielleicht einprägte, man aber in den kommenden Minuten völlig vergaß.

Berliner Legende

Brender hatte sich nun nach links gedreht, wo Gerhard Schröder ins Bild gezoomt wurde und wie ein Champion lässig im Sessel federte. "Herr Bundeskanzler", hob Brender an . . . "Ist ja schön, dass Sie mich schon ansprechen", unterbrach ihn der SPD-Kanzler mokant und spitzte den Mund. "Sind Sie jetzt schon zurückgetreten?" högte Brender gedankenschnell. "Überhaupt nicht", blökte Schröder. "Na, ich dachte schon, weil Sie das ("Bundeskanzler") verwundert. Also, ich sage noch einmal: Herr Bundeskanzler", sagte Brender also noch einmal, denn "das sind Sie ja noch, bis zur Wahl eines neuen." "Das bleibe ich auch, Herr Brender. Auch wenn Sie dagegen arbeiten", säuselte Schröder.

Einundzwanzig, zweiundzwanzig - würde es sich um eine Film handeln, hätte Brender in diesem Augenblick genial gespielt. Zwei Sekunden, nachdem Schröder auch wenn Sie dagegen arbeiten erwähnt hatte, drang dieser Satz in seiner Absicht zu Brender durch. Er war bereits auf dem Wege zur nächsten Formulierung, als er sich jäh unterbrach und plötzlich sehr kühl fragte: "Ob wir dagegen arbeiten?"

Der Rest ist Berliner Legende. Am Ende der Medienkanzlerschaft Schröders stand eine politische Talkshow, die in ihrer Art seither nicht mehr übertroffen wurde. Brender nahm die Rolle des widerspenstigen, aufrechten Journalisten ein, der sich dem zynischen Regierungsmanager in den Weg warf - ein bisschen zu aufrecht vielleicht, man hätte ihm jedenfalls an der einen oder anderen Stelle mehr trockenen Humor gewünscht. Doch bitte, es war eine Live-Sendung, nicht Scripted Reality.

Wenn gerade über das höchste Amt im Staate, seine Bedeutung und seine mögliche Beschädigung durch den derzeitigen Bundespräsidenten Christian Wulff diskutiert wird wie am vergangenen Sonntagabend im ARD-Politsalon Günther Jauch, sollte man sich an den 18. September 2005 erinnern. Schröder saß bräsig im Kreis der Platzhirsche, röhrte gegen alle, verhöhnte Merkel, belehrte Westerwelle und nahm die Wahlkampfberichterstattung von Presse, Funk und Fernsehen aufs Geweih.

Ein wie wahnsinniger Auftritt, als ob Schröder sich selbst parodierte. Er irrte ja gewaltig, weil Merkels CDU später mit der SPD eine große Koalition bildete, was der abgewählte Kanzler in der Berliner Runde kategorisch ausgeschlossen hatte. Andererseits auch ein irre lustiger Auftritt, weil Schröder gnadenlos populistisch war. Toll ist allerdings auch gewesen, wie Westerwelle mit kaum gezügelter Empörung zu Schröder den Satz sprach: "Ich weiß nicht, was Sie vor der Sendung gemacht haben."

Nikolaus Brender wurde im März 2010 als freigeistiger, unabhängiger TV-Mann verabschiedet. Die Konservativen - Nutznießer der Elefantenrunde 2005, denn wäre Brender nicht an Schröder geraten, hätte er die verunsichert wirkende Merkel leicht vorführen können - hatten im ZDF-Verwaltungsrat seine Wiederwahl verhindert.

Besser kann es für einen, der gerne auch mal emotional und nicht so richtig überlegt reagierte in manchen Momenten, nicht laufen.Ob er Gerhard Schröder gerne als Gast bei n-tv hätte? Klar, sagte Brender an diesem Montag, "wenn Schröder 2013 gegen Frau Merkel antritt". Vergeben wird alles, vergessen nichts.

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