"News of the World": Sean Hoare:Wer auspackt, kann einpacken

Mit seinen Enthüllungen wurde der ehemalige Murdoch-Reporter Sean Hoare zum Tippgeber, doch lange hörte ihm niemand zu. Nun starb der Journalist einsam in seiner Wohnung. Sein Schicksal zeigt, wie schnell der Hinweis auf kriminelle Machenschaften als Verrat empfunden wird.

Hans Leyendecker

Sean Hoare war kein Feingeist, sondern einer der vielen Hooligans des britischen Boulevard-Journalismus. Er nahm Drogen, trank zu viel, und was er schrieb, spielte vorzugsweise unter der Gürtellinie. Also ein Gossenreporter, dessen Spezialgebiet das Wer-auf-Wem des Showbusiness war. Aber Hoare wurde über seiner Arbeit krank und verlor seinen Job, was draußen kaum jemand bemerkte. Normalerweise interessiert sich die Öffentlichkeit nicht für die Arbeitsbedingungen und die Lebensumstände eines Reporters, der für die Murdoch-Blätter Sun und News of the World geschrieben hat.

BRITAIN-MEDIA-POLITICS

Mit Sean Hoares Schicksal macht der Daily Telegraph seine Titelseite auf. Der Journalist starb am Montag in seinem Wohnort Watford nördlich von London.

(Foto: AFP)

Aber am Montag schaffte es der Ex-Reporter Hoare in die Spitzenmeldungen der Abendnachrichten. Seine Leiche war in seiner kleinen Wohnung in Watford nahe London gefunden worden. Die Autopsie ergab keinen Hinweis auf ein Fremdverschulden, dennoch bewegt sein Ende eine ganze Nation. Denn der Ex-Reporter Hoare, der nicht einmal fünfzig Jahre alt wurde, war zum Whistleblower geworden. So nennt man Leute, die Alarm schlagen, weil sie illegale Praktiken öffentlich machen.

Hoare hatte als erster der ehemaligen Reporter über die dreckigen Abhörpraktiken der inzwischen eingestellten Zeitung ausgepackt, und er hatte dafür mit seinem Namen gestanden. Er hatte seinen ehemaligen Chefredakteur Andy Coulson, mit dem er einmal befreundet war, beschuldigt, nicht nur von illegalen Recherchepraktiken bei dem Blatt gewusst, sondern diese sogar aktiv gefördert zu haben. Für diese Beichte brauchte es Mut.

Als Hoares Aussagen am 1. September 2010 in einer gründlich recherchierten Hintergrundgeschichte in der New York Times erschienen, war Coulson noch Regierungssprecher von David Cameron und ein mächtiger Mann. Coulson hat die Vorwürfe seines früheren Mitarbeiters vehement dementiert und ist dann im Januar dieses Jahres zurückgetreten. Einige konservative Parlamentsabgeordnete haben damals Geschichten über den Drogenkonsum von Hoare verbreitet und erklärt, dieser sei ein Lügner. Beamte von Scotland Yard haben sich nach dem Bericht in der Zeitung auch bei ihm gemeldet, aber sie wollten ihn nicht als Zeugen vernehmen, sondern als Beschuldigten.

Opfer, in vielfacher Hinsicht

Als in den vergangenen Wochen immer neue Ungeheuerlichkeiten über die früheren Abhörpraktiken der britischen Gossenblätter ans Licht kamen, hat Hoare weiter über die Missstände geredet. "Da kommt noch mehr, das geht nicht mehr weg" fügte Hoare hinzu. Dem investigativen Veteranen des Guardian, dem Reporter Nick Davies - der zäh genug war, sich jahrelang auf die Wucherungen einer solchen Affäre einzulassen und der von einem hohen Berufsethos erfüllt ist -, hat Hoare erzählt, warum er im vergangenen Jahr ausgepackt habe: Er wolle den Deckel heben, der über dieser ganzen kaputten Zeitungskultur von Murdochs britischen Boulevardblättern gelegen habe. "Ich weiß, alle wissen", dass das Hacking von Telefonen einst "endemisch" gewesen sei, hat er hinzugefügt. Es habe ein Klima der "Einschüchterung" geherrscht. Wer nicht mitgemacht habe, sei ein Außenseiter gewesen.

Andererseits habe es den Reportern auch ein Machtgefühl gegeben, Gespräche belauschen zu können. Sie konnten Gott spielen mit dem Leben der Leute, hat ein früherer Chef von News of the World einmal gesagt. Und: Man brauche dafür "die Haut eines Rhinozerosses".

Vor allem darf man offenbar kein Herz und keinen Anstand haben, und es scheint, als habe Hoare, der Trinker, Anstand gehabt. Bei allen Nachrufen spielt sein Alkoholkonsum eine Rolle, aber es gibt viele Trinker im britischen Boulevard-Geschäft, in dem Kerle vor allem für andere Kerle aggressive, witzige, brutale Geschichten basteln.

"Alkohol und Boulevardblätter gehören zusammen". Dieser These hat Murdochs Biograph Michael Wolff in dem 2008 erschienenen Buch über den Medienmogul und dessen Gefolge fast ein ganzes Kapitel gewidmet, und er hat viele Beispiele geschildert. Murdoch habe zwar einmal den Konsum von Alkohol in den Londoner Büros verboten, aber er scheine "dennoch manchmal Ehrfurcht vor großen Trinkern zu haben", so Wolff.

Hoare ist also in vielfacher Hinsicht zum Opfer geworden. Für einen Hinweisgeber ist sein Schicksal allerdings nicht sehr ungewöhnlich. "Das gesellschaftliche Umfeld des Whistleblowers ist gewöhnlich nicht auf seiner Seite", hat ein ehemaliger Bundesverfassungsrichter über den Status solcher Tippgeber geschrieben: "Sein Verhalten wird als Verrat eingestuft, gilt als illoyal".

Wer sich - auch im Interesse von "höchstrangigen Rechtsgütern" - zum Bruch der Verschwiegenheit entschließe, werde häufig von Freunden gemieden. Damit müsse so einer klar kommen.

Der Ex-Boulevardmann Hoare, der ein treuer Anhänger des Fußballklubs Arsenal war und in seinem Leben immer Labour gewählt hat, ist wohl ziemlich einsam gestorben. Ein langjähriger Kollege brachte das Besondere von Sean Hoare mit folgendem Twitter-Eintrag auf den Punkt: "Immer im Pub, aber immer mit einer Geschichte im Block."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: